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Literatur: Das Unsagbare erzählen: Barbara Yelins neue Graphic Novel "Emmie Arbel"

Literatur

Das Unsagbare erzählen: Barbara Yelins neue Graphic Novel "Emmie Arbel"

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    Emmi Arbel, gezeichnet von Barbara Yelin
    Emmi Arbel, gezeichnet von Barbara Yelin Foto: Reprodukt Verlag

    Emmie Arbel mag es nicht, wenn man sie auf die Shoah anspricht. Das Erinnern muss man schließlich aushalten und mit der Befreiung aus dem Konzentrationslager Bergen-Belsen war es noch lange nicht vorbei. Aber will man mit 86 Jahren immer nur auf diesen Wahnsinn reduziert werden, auf die Gewalt, die Angst, den Schmerz? Ewiges Opfer sein, auch das kann einem mächtig zusetzen. Und

    Barbara Yelin und Emmie Arbel trafen sich zum ersten Mal in der Gedenkstätte Ravensbrück

    Das macht diese Graphic Novel mit dem Titel "Emmi Arbel. Die Farbe der Erinnerung" allerdings sehr authentisch, zumal Yelin die Annäherung an die Frau aus dem israelischen Haifa zum eigenen Thema weitet. Die beiden trafen sich zum ersten Mal vor vier Jahren in der Gedenkstätte Ravensbrück. Man war sich sofort sympathisch, aber das heißt noch nicht, dass sich das Gegenüber dann wirklich öffnet. Im Comic tauchen genauso die plausiblen Ressentiments auf und natürlich die Überlegung, ob dieses Genre überhaupt angemessen sein kann. Es ist eine Gratwanderung und freilich auch eine Frage des Stils. 

    Die Münchner Zeichnerin und Autorin Barbara Yelin
    Die Münchner Zeichnerin und Autorin Barbara Yelin Foto: Martin Friedrich

    Yelin hat sich mit Büchern übers Mitläufertum ("Irmina"), Zwangsarbeit oder die Serienmörderin Gesche Gottfried ("Gift") einen Namen gemacht und besonders in ihren Illustrationen den richtigen Ton getroffen. Im aktuellen Band ist das der raffinierte Wechsel zwischen dokumentarischer Wiedergabe und Andeutungen, die oft genug im Ausfließen der Wasserfarben noch weiter ins Ungefähre driften. So, wie das mit Erinnerungen geschieht. Und die Farben tun ein Übriges.

    Eine Therapie war die Rettung

    Arbels Erinnerungen sind schwarz, Yelin findet hier zum eindringlichsten Bild in dieser berührenden Geschichte, wenn sie die Zeitzeugin aus himmlisch hellem Blau immer weiter ins Dunkle sinken lässt. Zu viel lastet auf dieser Seele. Nachdem weder Eltern noch Großeltern das KZ überlebt haben, muss sich die Achtjährige mit den Brüdern durchschlagen. In einer Pflegefamilie wird sie – obwohl an Tuberkulose erkrankt – vom Ersatzvater vergewaltigt. Immer wieder. Emmie bleibt lange Zeit nur das Verdrängen, bis sie 1977 zusammenbricht. Ihre Rettung, sagt Arbel, sei die Therapie gewesen; quälend fand sie zu einem Umgang mit der traumatischen Vergangenheit. Auch daraus schöpft sie Kraft, das Unsagbare zu erzählen. Nicht nur Barbara Yelin, sondern jungen Menschen, die sie seit 20 Jahren in deutschen Schulen oder in KZ-Gedenkstätten trifft. 

    Dunkel sind die Erinnerung der Holocaust-Überlebenden Emmie Arbel.
    Dunkel sind die Erinnerung der Holocaust-Überlebenden Emmie Arbel. Foto: Reprodukt Verlag

    Zu einer solchen Veranstaltung war Emmie Arbel auch wieder am 8. Oktober unterwegs, am Tag zuvor hatten Hamas-Terroristen die Grenzanlagen von Gaza nach Israel durchbrochen. Hunderte Zivilisten wurden getötet und ausgerechnet auf deutschem Boden und im ehemaligen Konzentrationslager Ravensbrück befand sich Arbel in Sicherheit. Also dort, wo bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs fast 30.000 Menschen ihr Leben gelassen hatten. Barbara Yelin, die mit der alten Dame von Israel nach Berlin gereist war, konnte beobachten, wie sehr sie dieser plötzliche Gewaltausbruch schockierte, wie sehr sie sich um ihre Familie 3000 Kilometer weiter im Südosten sorgte und ständig Nachrichten verfolgte. "Für Emmie ist dieser Zustand schwer erträglich", sagt Yelin, "der Terror und der Krieg holen auch die alten Erinnerungen hervor." Die seien nie wirklich verschwunden, aber eine "reale Kriegssituation und in dieser Brutalität löst ganz reale Angstgefühle aus".

    Aufklärungsarbeit ist ein großes Anliegen von Emmie Arbel

    In Ravensbrück hat sich Emmie Arbel trotz allem tapfer den Fragen im Workshop gestellt, sie blieb sechs Wochen, sprach in dieser Zeit viel mit Schülern, dann hielt sie es nicht mehr aus und kehrte zurück zur Familie nach Israel. Nicht für immer, die Aufklärungsarbeit ist ihr ein tiefes Anliegen: "Solange noch welche von uns leben – jedes Jahr werden es weniger – müssen wir das tun", betont Arbel im Buch. Man kann ihr nicht widersprechen.

    Barbara Yelin: "Emmie Arbel. Die Farbe der Erinnerung" (Reprodukt, 192 Seiten, 29 Euro)

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