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BL-Romane aus China: Jung, schwul, asiatisch

Literatur

Jung, schwul, asiatisch: "Boys' Love"-Romane sind der neue Trend auf dem Markt der Bücher

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    Danmei - chinesische Romane über die Liebe zwischen zwei Männern werden auch erfolgreich verfilmt, hier: The Untamed von 2019. Unter den strengen Bedingungen der staatlichen Zensur bleibt es jedoch bei sehnsüchtigen Blicken.
    Danmei - chinesische Romane über die Liebe zwischen zwei Männern werden auch erfolgreich verfilmt, hier: The Untamed von 2019. Unter den strengen Bedingungen der staatlichen Zensur bleibt es jedoch bei sehnsüchtigen Blicken. Foto: Screenshot Vikirakuten

    Kennen Sie BL? Wenn Sie diese Frage mit „nein“ beantworten, dann sagen Ihnen auch MXTX, SVSSS, JJWXC, 7S nichts. Was wie Bezeichnungen aus einem DIN-Katalog aussieht, sind Akronyme in internationalen Online-Foren, in denen sich – meist – Leserinnen von schwulen chinesischen Romanen austauschen. Wer hat auch so viel Zeit, die Titel der Romane und ihre Autoren auszuschreiben, wenn man doch lieber gleich wieder offline geht, um weiterzulesen. Man möchte nur schnell ein Foto posten mit dem letzten Kauf, der letzten erschienenen Übersetzung, Gerüchte zu dem noch nicht veröffentlichten vierten Roman von Mo Xiang Tong Xiu – das ist MXTX. Ihren ersten Webroman veröffentlichte sie auf der chinesischen Onlineplattform JJWXC im Jahr 2015. Die offizielle englische Übersetzung erschien 2021 beim New Yorker Verlag Seven Seas Entertainment (7S) als „The Scum Villain‘s Self Saving System“ (SVSSS, auf Deutsch in etwa: Das System, mit dem sich der Abschaum-Böse selbst rettet). 2022 waren alle ihre drei Romane auf der New York Times Bestsellerliste. BL wiederum ist „Boys‘ Love" und steht für Romane, Comics, Fernsehserien, Filme und mehr, solange nur die Liebe zwischen erwachsenen oder jungen Männern thematisiert ist. BL ist die Sparte in der deutschen Buchlandschaft mit den meisten Neu-Veröffentlichungen, so Benjamin Spinrath vom Buchverlag Tokyopop in einem Interview. 

    BL-Romane erreichen eine internationale Fangemeinde

    Die Anfänge des Phänomens BL liegen im Japan der 70er-Jahre als eine Untergattung der Mangas (japanische Comics), die junge weibliche Leser anvisierte. Dargestellt wurden dabei schöne Knaben und junge Männer, nicht nur in romantischen, sondern auch erotischen und sexuellen Situationen. Die kulturelle und geografische Nähe zu China, Taiwan und Südkorea erwies sich als fruchtbar, es entstanden dort ähnliche, sowie eigene Gattungen. Die Comic-Sparte wirkte für BL wie ein Zugmotor über die nationalen Grenzen hinweg, inzwischen ist BL an die Mediengattung nicht mehr gebunden. Wenn

    In den internationalen Online-Foren kennt man vor allem die Titel der englischen Übersetzungen, neben dem chinesischen Original. Mo Xiang Tong Xius großes Oeuvre ist „Grandmaster of Demonic Cultivation“ (Großmeister auf dem dämonischen Pfad der Kultivierung). Für viele Danmei-Liebhaber ist dieses Werk der Einstieg, ein Großteil nimmt den Umweg über die epische Verfilmung von 2019 in einer Fernsehserie. Man sieht die fernöstliche fantastische Mantel-und-Degen-Welt, in der Magie und Kampfkunst alltägliche Begebenheiten sind. Männer (und Frauen), die auf Schwertern fliegen, Talismane, die wiederkehrende Tote abwehren, Jenseits und Reinkarnation, mal mit Göttern, mal ohne. Die Verfilmung heißt „The Untamed“ (Die Ungezähmten) und liefert die ikonischen Bilder des Genres. Der weißgekleidete, etwas zu tugendhafte Lang Wangji ist vom pragmatischen und über Bande spielenden Wei Wuxian in Schwarz fasziniert, beide ergänzen sich zu einem dynamischen Duo von Yin und Yang. 

    Aus gleichgeschlechtlicher Liebe wird in der Verfilmung brüderliche Freundschaft

    Die Verfilmung steht auch exemplarisch dafür, wie die chinesische Zensur mit LGBTQ-Themen – in diesem Fall mit dem homosexuellen Protagonistenpaar – umgeht: Was nicht sein darf, wird ausgelöscht oder umgedeutet. Aus der tiefen Liebe mit einer sexuellen Dynamik im Webroman wird in der Serie eine „Bromance“ (brüderliche Freundschaft). 

    Bei MXTX und anderen Autoren finden sich Referenzen auf die chinesische jahrtausendealte Kultur, die Übersetzer dem westlichen Leser in Fußnoten erklären. Danmei sind aber nicht auf die historisierende Fantasy-Welt beschränkt. Es gibt E-Sport-Romane, es gibt Popmusik-Romantik, Weltraum-Abenteuer, Military-, Mecha-Geschichten, es gibt Gottheiten, Tiermenschen … 

    Größtenteils lesen Mädchen und Frauen BL-Romane

    Die Leserschaft der BL besteht zum größten Teil aus Frauen und Mädchen und diese wiederum meistens heterosexuell orientiert. Über die Gründe liest man in Foren und Studien, dass sie gerne erwartbar Romantisches lesen wollen, sich aber mit den üblichen Frauenrollen unwohl fühlen. Bei einer rein männlichen Paarung können sie sich jedoch die Rolle und die Projektion des eigenen Ichs aussuchen, ebenso den erträumten Partner. 

    Es bleibt aber die Frage bei Danmei: Warum „chinesisch“, warum nicht nur Boys‘ Love? Vielleicht liegt es daran, dass der chinesische Markt so groß ist, das Genre dort so beliebt, dass sich schon aus statistischen Gründen viele lesenswerte Bücher finden lassen. Die heutigen Möglichkeiten, sich schnell und überall auf der Welt zu vernetzen, auszutauschen und sich gegenseitig mit (Fan-)Übersetzungen zu helfen, können die Dynamik der Verbreitung erklären. (Ost-)Asien liegt im Trend und China ist größer als Japan und Südkorea. Die Foren offenbaren, dass dieser Trend alle Kontinente und jede Region der Welt mehr oder weniger erfasst hat. 

    Auch in Deutschland ist BL angekommen

    In Deutschland ist BL auch längst angekommen, wenn auch immer noch vorwiegend im japanischen Manga-Bereich. In der Buchhandlung Thalia in Augsburg geht die „asiatische Ecke“ über einige Regale, darüber steht auf Japanisch Manga, auf Koreanisch Manhwa und auf Chinesisch Manhua. Man fühlt sich als Leser(in) damit als Kenner eines Geheimcodes zu einer eigenen Welt. Simon Schulz, Fachberater der Young Adult-Sparte, schätzt die Demografie der Leser als meist, aber nicht nur weiblich ein, von Schülerinnen bis Frauen im mittleren Alter ist aber dann doch alles dabei. In der Pandemie seien ihnen die Neuerscheinungen bei Danmei „aus den Händen gerissen“ worden, das habe sich inzwischen aber beruhigt, erzählt Schulz. Der BL- und Manga-Bereich wachse stetig weiter, Danmeis allerdings stagnieren etwas, so Schulz. Das aktuelle Werk von Mo Xiang Tong Xiu ist im Moment die Phalanx der Danmei-Welt. In den Foren wird aber schon über das baldige Erscheinen des vierten Romans geflüstert. 

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