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Salzburger Festspiele: Als ob wir im Theaterhimmel wären: Die Uraufführung "Verrückt nach Trost"

Salzburger Festspiele

Als ob wir im Theaterhimmel wären: Die Uraufführung "Verrückt nach Trost"

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    Starbesetzt: Ursina Lardi und Devid Striesow.
    Starbesetzt: Ursina Lardi und Devid Striesow. Foto: APA / Barbara Gindl / Barbara Gindl

    Was für ein wunderbarer, was für ein wunderlicher Salzburger Schauspielertheaterabend! Es bleibt nicht allzu gewagt, ihm eine gute Chance für die Nominierung zum nächsten Berliner Theatertreffen einzuräumen – so wie sein Regisseur Thorsten Lensing schon 2019 mit der David-Foster-Wallace-Produktion „Unendlicher Spaß“ und mit denselben Schauspielern in Berlin reüssierte.

    Nun aber hat Lensing (*1969), der sich und seiner erlesenen Besetzung die nötige Zeit gibt, um fortschreitend und präzise zu arbeiten, ein erstes eigenes Stück verfasst: „Verrückt nach Trost“. Die Uraufführung im Salzburger Mozarteum – also in der Hochschule für Musik – geriet in einem Wort: hinreißend.

    Es ist die reine Freude: mal wieder begeisterndes Schauspielertheater bei den Salzuburger Festspielen

    Es gibt sie eben weiterhin neben dem partizipativen Diskurstheater: die rückhaltlose Begeisterung und Bewunderung für Schauspielertheater von Könnern ihres Fachs. Wie es – unabhängig von aller Popularität – Ursina Lardi, Devid Striesow, André Jung und Sebastian Blomberg sind. Es ist die reine Freude. Über den Abend spannt sich ein so beseelter wie tragikomischer Himmel der Intuition und des „Als ob“.

    Strandtag. Charlotte ist zehn, Felix elf. Früh haben die Geschwister ihre Eltern verloren, und zur Bewältigung dieses Verlusts spielen sie altklug: Mama und Papa. Deren Liebe, deren Schimpfen, deren ordinäre Auswüchse, deren Küsse. Als ob sie die Eltern wären. Gleichsam über Bande jubeln die herb-verständnisvolle Charlotte (Ursina Lardi), und der unsichere, um Zuneigung flehende Felix (Devid Striesow) sich ihre Kritik aneinander unter und erziehen sich gegenseitig.

    Bis ein Taucher auftaucht, entrückt und verzückt noch immer vom Tiefenrausch, von der Unterwasserstille, von der Schönheit maritimer Flora und Fauna. Entschieden fanatischen Blicks spielt ihn Sebastian Blomberg, der vollkommen aufgehen möchte in der Meereswelt, später auch eine imaginäre Diashow moderiert und mit einem Oktopus (die in sich verschlungene Ursina Lardi) gegenseitig Leid austauscht. In seinen Strand-Utensilien findet sich eine Erzählung. Um diese nachzuspielen, muss Felix zum schreienden Baby mutieren, Charlotte macht die Mutter, der Taucher den Prolo-Vater.

    Die frühe Krönung des Abends bringt ein Orang-Utan in "Verrückt nach Trost"

    Und so folgt eine skurrile Aneignung, absurde Verwandlung der anderen – und keiner im Publikum kann seinen Blick abwenden, wenn André Jung mit kunstvoll verrenkten Gliedmaßen, trägem Blick, hier zeitlupenhaft, dort impulsiv ausbrechend, fasziniert – als ein Orang-Utan. Die frühe Krönung des Abends.

    Charlotte und Felix werden älter, werden alt. Er sucht Zuneigung und Liebe weiterhin – und bleibt doch gefühllos. Im Bett tut er nur so „als ob“. Eine harte Nuss für André Jung als einfühlsam-homosexuellem Lover, der nicht darüber hinweg kommt, dass ihm ein anderer Felix zuvor den Laufpass gegeben hatte.

    Ursina Lardi, Devid Striesow, André Jung und Sebastian Blomberg sind komisch, tragisch, mirakulös

    Charlotte ihrerseits wendet sich im hohen Alter einem Pflege-Roboter zu (wiederum André Jung). Freundlich, illusionslos, abgeklärt ist sie es dann, die in finaler Ansprache dem Publikum Trost spendet: Wohl befinde sich unter ihm eine(r) mit Diagnose Krebs, eine(r) mit verlorener Seele, eine(r) voller Angstschweiß, eine(r) mit der Erfahrung von Demütigung durch die Eltern. Aber: „Alle werden erlöst. Alle werden erlöst.“ Das kann man spirituell verstehen – oder nach dem geistlosen Regelwerk der Natur.

    Was aber hat Thorsten Lensing hier – in den theatralen Spuren René Polleschs – dramatisiert und mit bestechendem Schauspielerquartett weiterentwickelt? Es ist ein mal trivialisierendes, mal überhöhendes Vexierbild vom Lebenskreislauf, von den Paketen, die Menschen (und Tiere) tragen. Vor allem aber ist es ein Vexierbild von den Unzulänglichkeiten, Verstrickungskisten und Sehnsüchten in uns. Und zu diesen Sehnsüchten in uns gehört auch das tragische und das urkomische Als-ob-Spiel zur Bewältigung der Wirklichkeit. Auf Thorsten Lensings Bühne: die ganze Welt – und zwar in dreieinhalb Stunden, die mirakulös wirken als wären’s eineinhalb. Ernst, vergnüglich, großartig.

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