
Gedenken im Livestream

Junge Menschen erinnern in Landsberg an die Gräueltaten vor 75 Jahren
Gedenken kann weder verschoben noch abgesagt werden. Das ist die Meinung der rund 15 jungen Menschen, die dem Verein „Gedenken in Kaufering“ angehören. Vor 75 Jahren wurden die KZ-Außenlager bei Landsberg und Kaufering befreit. Für viele Häftlinge zu spät: Rund 7000, die in zwölf Monaten verstorben sind, sind heute namentlich bekannt, sagte Tyll-Patrick Albrecht bei der Gedenkfeier im kleinen Kreis im Sitzungssaal des Landratsamts, der zahlreiche Überlebende oder deren Nachfahren aus Israel und weitere Teilnehmer live zugeschaltet waren.
Die Namen der Toten werden am Donnerstag und Freitag im Rahmen eines Jugendprojekts über 24 Stunden vorgelesen und online übertragen, wie auch die Gedenkveranstaltung. Die geplante Gedenkwoche, zu der rund 30 Personen erwartet worden waren, Besuche in Dachau sowie in Schulen standen an, können jedoch nicht stattfinden, bedauerte Stefan Albrecht. Drei Jugendreisen gab es seit 2017 nach Israel. Per Video wurden dabei viele Besuche und Gespräche mit Überlebenden aufgezeichnet, Ausschnitte davon wurden bei der Gedenkfeier gezeigt. Sie waren nicht weniger berührend als „live“ erzählt. Die Jugendlichen haben klar erkannt, dass die Zeit, in der wir Zeitzeugen lauschen können, bald vorbei sein wird. Mit ihren Videoaufzeichnungen seien sie der Zeit voraus.
So sprachen Max Volpert, Zwi Katz, Avigdor Neumann und Solly Ganor, und bereits wenige Worte reichten, um die Schreckensbilder wieder lebendig zu machen. Transporte in Viehwaggons, der Rauch von verbranntem Fleisch, die armselige Ernährung mit Suppe und Brot, der verstorbene Vater im Massengrab, die vielen Erschießungen und Läuse, Läuse, Läuse und dann hält Avigdor Neumann seinen Arm mit seiner Häftlingsnummer in die Kamera. Auch 75 Jahre danach sind die Gräuel unfassbar und das müsse so bleiben, sagte Albrecht in seiner Ansprache und machte Hoffnung: „Die jungen Menschen wollen nicht vergessen, sie haben „niemals wieder“ begriffen.“
Um die Gedenkfeier möglich zu machen, haben die Mitglieder des Vereins „Gedenken in Kaufering“ den Sitzungssaal mit einer Menge an modernem Equipment ausgestattet: mehrere Computer, Bildschirme, Kameras und Leuchten wurden aufgefahren, Kabel durchzogen den Raum, vier Leute waren unablässig mit Ton und Bild beschäftigt. Ansprachen von Landrat Thomas Eichinger, Landsbergs Zweiter Bürgermeisterin Doris Baumgartl, Kauferings Bürgermeister Thomas Salzberger und Landtagsabgeordnetem Alex Dorow wurden vorab aufgenommen und eingespielt. Live im Saal war Landtagsabgeordnete Gabriele Triebel aus Kaufering. Sie zog einen Vergleich zwischen dem Coronavirus, das die Welt derzeit fest im Griff habe, und dem „Virus“, der Rassismus, Antisemitismus und antidemokratische Gedanken auslöse. Dieser greife um sich und ihm sei mit solchen Feiern zu begegnen. Demokratische Kräfte dürften den rechten Kräften keinen Millimeter Raum geben, so Triebel.
Auch Dorow verwies auf die Zunahme antisemitischer Straftaten, neu sei, dass der Antisemitismus in der Bürgerlichkeit angekommen sei. Baumgartl las aus einem Brief eines Befreiers über die Gräuel, die er in den Außenlagern vorgefunden hatte. „Man kann nur Lehren ziehen aus dem, was man nicht vergisst“, mahnte Eichinger. Es gelte durch Gedenkfeiern ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass Menschen zu Allerschlimmstem fähig seien. „Wir versprechen, eure Geschichte der nächsten Generation zu erzählen und wünschen euch allen Frieden“, sagte Stefan Albrecht zum Abschluss, viel Winken aus den Kameras in den Wohnzimmern aus Israel, und so ging eine der ungewöhnlichsten Gedenkfeiern, der Geistliche verschiedener Konfessionen sowie drei Musiker einen würdigen Rahmen gegeben hatten, nach der Kranzniederlegung zu Ende. (küb)
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