
Hitlergruß im Landsberger Gefängnis?
Ein 36-jähriger Insasse der Justizvollzugsanstalt Landsberg steht wegen der Geste vor Gericht. Es ist jedoch nicht das einzige Delikt, für das er sich verantworten muss. Was der Angeklagte zu den Vorwürfen sagt
Ein Mann zeigt den Hitlergruß – ausgerechnet im Gefängnis in Landsberg. Dort, wo Adolf Hitler 1924 mehrere Monate inhaftiert war und wo er Teile seines Buches „Mein Kampf“ verfasst hatte. Was zunächst wie ein Verfahren gegen einen mutmaßlichen „Rechten“ aussah, nahm vor dem Augsburger Amtsgericht eine unerwartete Wendung. Nachdem der 36-jährige ehemalige Gefangene die Tatumstände aus seiner Sicht erzählt hatte, sah das Gericht weiteren Nachermittlungsbedarf gegeben. Das Verfahren wurde entsprechend ausgesetzt und soll später neu aufgenommen werden.
Zwei Anklagen lagen gegen den 36-jährigen gelernten Glasbauer vor, der einen Teil einer Haftstrafe wegen schwerer räuberischer Erpressung bis Mitte 2020 im Gefängnis in Landsberg abgesessen hatte. Zunächst jene wegen des Hitlergrußes. Den habe er laut Anklageschrift auf dem Gang des Gefängnisses derart – nach oben ausgestreckte rechte Hand, die linke an der Hosennaht, die Hacken zusammenschlagend – gezeigt, dass ihn mehrere Insassen und Bedienstete gesehen haben.
Falsch, sagte jetzt der Angeklagte vor Gericht. Er sei an jenem Mittwochmittag im Januar dieses Jahres auf dem Weg zu seiner Zelle gewesen, um dort schnell etwas abzulegen. Denn er habe eilig wieder zur Arbeit gemusst. Im Rondell vor den Zellen habe er einen Mitgefangenen entdeckt, dem er ein schnelles „Servus“ zugerufen habe. Und er habe ihm – in der linken Hand eine Brotzeittüte haltend – mit der rechten Hand zugewunken, alle fünf Finger weit gespreizt. Von wegen Hitlergruß, so der Angeklagte: Das bekomme einem angesichts der großen Zahl arabischer, osteuropäischer oder afrikanischer Häftlinge im Gefängnis nicht gut. Der Angeklagte entlastete mit seiner Schilderung gleichzeitig einen Mithäftling, dem ein Antwort-Hitlergruß vorgeworfen wurde. Nein, auch der habe dieses verbotene Zeichen nicht getan, sondern er habe mit dem „Peace“-Zeichen, einem ausgestreckten Zeige- und Mittelfinger, geantwortet.
Die zweite Anklage bezog sich auf einen Vorfall einige Monate zuvor. Im Oktober 2019 habe sich der Angeklagte gegen das Verschließen seiner Zellentür gewehrt, indem er den Fuß nicht zurückzog, so der Vorwurf. Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, wie der Jurist sagt. Stimmt, bestätigte der Angeklagte, um sodann zu einer ausführlichen Erklärung der Umstände auszuholen. Er sei nämlich – ärztlich attestiert und im Gefängnis bekannt – chronisch krank. Unter anderem benötige er ein Hormon-Nasenspray, das er, ärztlich verschrieben, zweimal täglich einatmen müsse, um keine gravierenderen gesundheitlichen Folgen zu erleiden. Dieses Spray sei ihm aber im Arrest des Gefängnisses weggenommen worden. Er habe es jedes Mal anfordern, ja erbitten müssen, per Notruf-Knopf – und dennoch teils tagelang nicht bekommen. So auch im Vorfeld jenes Tages im Oktober 2019. Um wegen des wieder einmal abgeschalteten Notrufs auf sich aufmerksam zu machen, habe er mit einer Zudecke das Zellenfenster verhängt – ein probates Mittel, um Besuch vom Aufsichtspersonal zu erreichen. Von den Justiz-Mitarbeitern, die bei ihm in der Zelle erschienen waren, um die Decke vom Fenster abzunehmen, habe er aber sein Spray auch nicht bekommen. Er sei vielmehr misshandelt und niedergeschlagen worden.
Als er sich dennoch gegen das Verschließen der inneren von zwei Zellentüren gewehrt habe, um seine Medizin zu bekommen, sei ein Disziplinarverfahren samt Anzeige gegen ihn eingeleitet worden. Das Medikament habe er seiner Erinnerung nach erst später von einer Hospital-Mitarbeiterin ausgehändigt bekommen, die zu ihm gekommen war, um Verletzungen zu behandeln und einige Wunden zu dokumentieren.
Möglicherweise gelinge es ja dem Gericht, so der Angeklagte, an die Videoaufnahmen der von ihm geschilderten Vorgänge zu kommen. Schließlich habe er ja seinerzeit in einer sogenannten Kamera-Zelle gesessen. Und vielleicht stimme es ja gar nicht, dass zwar sämtliche Übergriffe von Häftlingen aufs Gründlichste dokumentiert, Übergriffe von Justizmitarbeitern aber schnell wieder gelöscht würden?
Obwohl drei Zeugen vor dem Gerichtssaal und ein vierter in der Zelle des Gerichtsgebäudes auf ihre Einvernahme warteten, stand für Richterin Alena Weidemann fest: Hier sind weitere Ermittlungen nötig. An den Angeklagten und seinen Verteidiger Timo Westermann erging die Kritik der Richterin, dass derartige Umstände nicht schon früher geschildert worden seien. Dann hätten Krankenakten des Angeklagten, Beweisfotos oder Videoaufnahmen rechtzeitig zur Hauptverhandlung zusammengetragen werden können. Das müsse nun nachträglich erfolgen. Weidemann setzte das Verfahren für Nachermittlungen aus. Es soll dann, möglicherweise im Herbst, neu aufgenommen werden.
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