
Wie Gehörlose aus der Region um Gerechtigkeit kämpfen

Welche besonderen Probleme Gehörlose haben, schildert Nina Endrös. Über eine Online-Petition wollen sie jetzt um Gerechtigkeit kämpfen.
Sich Gehör zu verschaffen, stellt für die meisten Menschen kein größeres Problem dar. Sie erheben einfach ihre Stimme, um die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Einer kleinen Gruppe von Personen ist das verwehrt: den Gehörlosen. Gehörlose Menschen oder Menschen mit starker Beeinträchtigung des Hörvermögens sind von der üblichen zwischenmenschlichen Kommunikation ausgeschlossen. Fast immer ist die Einschränkung beim Hören auch mit einer Behinderung beim Sprechen verbunden, denn wer nicht hört, hört auch sich selbst nicht, tut sich schwer, seine Lautstärke zu regulieren und die Lautbildung der mündlichen Sprache nachzuvollziehen.
Ihre Art zu sprechen stößt in der Gesellschaft oft auf Unverständnis. Und deshalb bleiben sie stumm, haben ihre eigene Sprache, die der Gebärden, doch die wird von fast niemandem verstanden. „Blindheit trennt von den Dingen, Taubheit von den Menschen“, erkannte bereits Helen Keller, die 1968 verstorbene, taubblinde Schriftstellerin. Gehörlose Menschen sind isoliert, ihre Anliegen werden von der Gesellschaft nicht gehört, nicht wahr- und nicht ernst genommen. Mit einer Petition, Gehörlose finanziell den Blinden gleichzustellen, wollen sie nun etwas mehr gleichberechtigte Teilhabe erringen und damit auch ein wenig aus ihrer Isolation herauskommen.
Dafür setzt sich Nina Endrös aus Krumbach aktiv ein. Sie gehört unter den 15000 Betroffenen in Bayern zu den glücklichen Ausnahmen, die sich gut verständlich machen können. Sie ertaubte mit etwa zweieinhalb Jahren nach einer Mittelohrerkrankung. Doch ein Cochlea-Implantat ermöglicht ihr eingeschränktes Hören. „Ich muss meinen Gesprächspartner direkt vor mir haben, ihm auf den Mund schauen können, dann kann ich ihn verstehen.“ Das ist viel mehr als bei ihrem Partner. Der verlor im Kleinkindalter das Hörvermögen durch eine Hirnhautentzündung, die seinen Hörnerv geschädigt hat. Ein Implantat kann da nicht helfen. Nina Endrös hatte dagegen doppeltes Glück. Denn sie hatte auch Eltern, die alles daran setzten, um ihrem Kind ein möglichst normales Leben zu ermöglichen. Sie hat gelernt zu kommunizieren und eine qualifizierte Ausbildung erhalten, die es ihr erlaubt, von ihrem Arbeitseinkommen anständig zu leben. „Ich habe von klein auf ständig logopädische Unterstützung bekommen und war immer wieder in Rehaeinrichtungen“, erklärt Nina Endrös, warum man ihr die massive Hörbehinderung nicht anmerkt. Sie hat die Mittlere Reife geschafft und danach in einer Inklusionsklasse am Bodensee eine Ausbildung zur Heilerziehungspflegerin erfolgreich absolviert. Heute arbeitet die gebürtige Augsburgerin in einer Gruppe mit mehrfach behinderten Gehörlosen.
Gehörlose wie Nina Endrös werden öffentlich kaum bemerkt
Alles gut, könnte man meinen. Doch wenn Nina Endrös von ihrem Alltag erzählt, wird schnell klar, wie extrem einschränkend ihre Art der Behinderung ist. Da sie nicht „normal“ kommunizieren können, bleiben Gehörlose üblicherweise unter sich, im Freundeskreis und bei der Partnerwahl, erklärt Nina Endrös. Diese Isolierung verstärkt aber ihr grundlegendes Problem. Gehörlosen Menschen sieht man ihre Behinderung nicht an. Blinde nutzen einen weißen Stock, Gehbehinderte einen Rollstuhl. Gehörlose haben keine Hilfsmittel, Hörgeschädigte tragen ein Implantat, dessen äußerer Teil von den Haaren verdeckt ist. Und weil ihre Sprache keine akustische ist, reden sie nicht. Deshalb werden Gehörlose in der Öffentlichkeit kaum bemerkt.
Aber sie benötigen zahlreiche Hilfsmittel, um ein selbstbestimmtes Leben zu führen. „Heute gibt es Gott lob viele technische Möglichkeiten, beispielsweise solche, mit denen akustische Signale in optische umgesetzt werden“, sagt Endrös. Das beginnt mit der Türklingel und endet beim Brandmelder. Ein hörender Mensch weiß nicht, wie intensiv er Töne nutzt. Aber Geräte, die Töne für Gehörlose erkennbar machen, sind teuer. Das Internet und die Möglichkeiten der Onlinekommunikation erleichtern den Gehörlosen zwar das Leben, aber die von ihnen benötigten großen Datenvolumen sind auch heute noch kostspielig. Solche Investitionen sind für Gehörlose nur schwer zu stemmen, denn die Mehrheit muss unabhängig von ihren geistigen Fähigkeiten mit einfachen Hilfsjobs vorliebnehmen. „Wir werden nur bei der Erstausbildung finanziell unterstützt. Für Weiterqualifikationen gibt es keine Hilfe. Viele von uns kommen kaum über die Runden und werden in der Altersarmut enden“, sagt Endrös.
In ihrer Inklusionsklasse zur Berufsausbildung, erzählt Nina Endrös, waren drei Hörgeschädigte. Die aus Franken bekam von der ersten Klasse an einen Sprachcomputer, sie selbst ab der zweiten Klasse und die Dritte ging leer aus. Der Grund: Die Bewilligung solcher Hilfsmittel ist Sache des Bezirks, eine allgemeingültige gesetzliche Vorgabe gibt es nicht. Die Bedürftigen müssen stets mit Anträgen und Hilfeersuchen um Unterstützung betteln.
Nina Endrös: Ist man gehörlos, steht man im Alltag vor hohen Hürden
Auch als Nina Endrös, die bald ihr erstes Kind erwartet, Hilfe suchte, um eine der heute üblichen Informationsveranstaltungen für Schwangere in der Klinik besuchen zu können, wurde sie abgewiesen. Weder die angefragten Kliniken noch die Krankenkasse fühlten sich für eine Übersetzung der Informationen zuständig. „Wenn ich einen Gebärdendolmetscher buche, muss ich 75 Euro in der Stunde bezahlen, plus An- und Abfahrt. Das kann ich mir nicht leisten.“ Solche Hürden stehen für Gehörlose auf der Tagesordnung. „Wir müssen ständig Verwandte und Freunde behelligen, immer um Hilfe betteln. Wir können keine Hotline anrufen, kein Amt besuchen, zu keinem Arzt gehen oder eine öffentliche Veranstaltung besuchen ohne die Unterstützung von Dritten. Oder wir müssen finanzielle Hilfen beantragen und das Ergebnis abwarten.“
Ganz anders sieht das bei blinden Menschen aus. Die bekommen nach dem Bayerischen Blindengeldgesetz eine monatliche Zuzahlung, die sie ganz nach ihrem persönlichen Bedarf verwenden können. „Die Grünen haben einen Gesetzesentwurf im Landtag eingebracht, um uns Gehörlose mit den Blinden gleichzustellen. Das würde auch dem europäischen Gleichheitsgrundsatz und der Forderung nach gleichberechtigter Teilhabe entsprechen. Der Gesetzesentwurf wurde aber von der CSU-Mehrheit abgelehnt“, sagt Endrös. Nun wollen die Gehörlosen noch einmal mit einer Petition auf ihr Problem hinweisen und für mehr Gerechtigkeit kämpfen. Es sind nur 9000 Gehörlose und insgesamt 15.000 Menschen in Bayern, die dieses spezifische Problem haben: Zu wenige, um eine politisch relevante Masse darzustellen, aber 15.000 Schicksale zu viel, um ihren Hilferuf zu missachten.
Die Petition kann online auf der Website von „openpetition“ unter „Laufende Sammlungen“ Unterordner „Soziales“ aufgerufen und direkt dort unterzeichnet werden. Unterschriftenblätter liegen außerdem in der Krumbacher Bahnhofsapotheke, dem Irgendwie, bei Hörgeräte Lengdobler und im Café Nimm Platz (ab 27. August). Außerdem hat Nina Endrös einen E-Mail-Account unter gehoerlosengeld.bayern@web.de angelegt, wo Fragen rund um die Petition gestellt und Unterschriftslisten angefordert werden können.
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