
"Lost Places": Vom Adrenalinkick an einsamen Orten

Plus Die Leidenschaft für „Lost Places“ treibt einen Memminger an – und lässt ihn manchmal die Grenze der Legalität überschreiten.
„Ich war in einem Bunker, der mehrere Ebenen hatte. Im ersten Stockwerk war alles voller Wasser. Aber mir war klar, es musste noch ein weiteres geben.“ Umkehren kommt für Ted M. (Name von der Redaktion geändert) und seinen Begleiter in dieser Situation nicht in Frage: Beide entscheiden sich für den Sprung ins Wasser und tauchen zum Grund auf der anderen Seite des Raumes. „Dort haben wir einen Eingang zum Stockwerk darunter gefunden, der wasserdicht verschlossen war.“ Sie gelangen hinein – und machen eine Entdeckung: „Dort habe ich tatsächlich alte, geschlossene Konservendosen und echte Dokumente aus dem Zweiten Weltkrieg gefunden. Das war für mich sehr faszinierend. Ich habe sie aber liegen gelassen, weil ich nichts verändern möchte. Ich glaube, sowas sieht man nicht alle Tage.“ Solchen Augenblicken und solchen Orten gilt die Leidenschaft von Ted M: Der 27-Jährige liebt die Jagd nach „Lost Places“.
Besuchen von „Lost Places“ im Trend
Schaurige, dunkle Ecken, längst verlassene Gebäude und einsame Plätze in der Natur oder in der Stadt: All das zieht Menschen an, die diese Begeisterung teilen. Die Leidenschaft für „Lost Places“ – der Begriff steht für „verlorene, verlassene Orte“ – liegt im Trend: Den Beweis liefern unzählige Videos auf Internet-Plattformen. Auch in Memmingen gibt es eine Szene von jungen Menschen, die sich regelmäßig auf die Suche nach Abenteuern an vergessenen, einsamen Orten machen.
Ted M. ist einer von ihnen. Die besonderen, wegen der Gefahren und teils auch wegen Gesetzesbrüchen umstrittenen Erkundungstouren haben ihn seit elf Jahren gepackt: Seither spürt er in Memmingen und überall in der Bundesrepublik Plätze und Bauten mit einer ganz besonderen Atmosphäre auf.
Erster Besuch: Verlassene Villa im Dorf
„Angefangen habe ich mit einer verlassenen Villa bei uns im Dorf. Dort war ich mit sechzehn Jahren das erste Mal“, erzählt Ted. Die Mischung aus Nervenkitzel, Neugier und außergewöhnlicher Stimmung an aufgegebenen Orten hat ihn nicht mehr losgelassen: Mittlerweile versucht er wöchentlich neue „Lost Places“ zu finden. „Ich war hier in der Umgebung in einer verlassenen Fabrik, in Bunkern, alten leerstehenden Nervenheilanstalten und einsamen Häusern im Wald.“ Genaue Orte nennt er nicht, um Vandalismus zu vermeiden. Auch wenn es ihnen nicht um das Zerstören, sondern im Gegenteil um das Wiederentdecken geht: Viele „Lost Place“-Jäger nehmen bei ihrem umstrittenen Tun in Kauf, dass sie die Grenze des Legalen übertreten.
Hausfriedensbruch, Abenteuer oder sogar beides?
Denn wer ein Gebäude betritt, begeht damit möglicherweise Hausfriedensbruch – auch wenn es ungenutzt ist und leersteht. „Handelt es sich um ein Gebäude mit einem außen klar abgetrennten Bereich, liegt ein Hausfriedensbruch vor, wenn sich die Betroffenen gegen den Willen des Befugten darin aufhalten“, macht Polizeikommissar Thomas Hodruss klar. Diese Handlung ist nach Paragraf 123 im Strafgesetzbuch strafbar. Ein klar abgetrennter Bereich lässt sich etwa durch Pflanzen, einen Zaun oder eine Mauer erkennen. Wenn ein Abenteuersuchender diesen dennoch betritt, hat der Eigentümer des Gebäudes das Recht, den unerwünschten Gast wegen Hausfriedensbruch anzuzeigen. „Für die strafrechtliche Bewertung spielt es keine Rolle, ob es sich um städtisches Gelände oder Privatgelände handelt. Bei beiden Objekten kann Hausfriedensbruch begangen werden“, sagt Hodruss. In den vergangenen drei Jahren kam es in Memmingen und dem Unterallgäu zu 738 Hausfriedensbrüchen. Davon sind heuer bisher 105 Anzeigen eingegangen.
Privatgelände dürfen nicht ohne Weiteres betreten werden
Privatgelände dürfen „Lost Place“-Jäger nur nach Absprache betreten. Nur wer sich vor dem Ausflug die Einverständniserklärung des Eigentümers holt, geht also auf Nummer sicher. „Wenn ich sehe, dass das Gebäude mit einem Zaun geschützt ist, gehe ich nicht rein. Ich möchte nichts kaputtmachen und keinen Einbruch begehen“, sagt Ted M. Er versuche aber dennoch, einen Weg zu finden, das Gelände zu betreten, ohne etwas zu beschädigen. Dabei haben ihn schon mehrmals Eigentümer erwischt. Eine Anzeige bekam der Memminger jedoch noch nicht. Ted M. sagt: „Mit einem Freund war ich vor einem Jahr bei Nacht an einem Ort mit vielen leerstehenden Wohnblöcken. Dort hat uns ein Wachmann gesehen. Wir erklärten ihm, dass wir friedlich Fotos machen möchten und uns für verlorene Orte interessieren. Es ist wichtig, das ehrlich zu erklären.“ Vandalismus lehnt der 27-Jährige ab: „Ich hoffe, Randalierer werden erwischt. Das macht den Ruf unserer Community kaputt.“
Verletzungsgefahr an "Lost Places"
Bei den Erkundungstouren ist nach seinen Worten außerdem Vorsicht geboten: An ungenutzten, längst verlassenen Orten droht erhöhte Verletzungsgefahr – noch dazu befänden sich diese oft in einem abgelegenen Gebiet. Darum ziehen viele der Abenteuersuchenden auch nicht allein los.
Wenn er eine neue Erkundungstour plant, fährt der Memminger vorher zu dem Ort, um zu sehen, ob der Platz begehbar ist. „Es ist so spannend, die Vergangenheit zu sehen und zu beobachten, wie es an diversen Orten ausgesehen haben muss.“ Dennoch gilt: Wer „Lost Places“ betritt, den begleitet stets das Risiko, eine Straftat zu begehen.
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