
Sie helfen Schwerstkranken im Unterallgäu

Plus Vor einem Jahr startete an den Unterallgäuer Kliniken ein einmaliges Projekt für Schwerstkranke. Nun ziehen die Verantwortlichen Bilanz.

Rund 170 schwerstkranke Patienten der Unterallgäuer Kliniken und ihre Angehörigen konnten im vergangenen Jahr ein Angebot nutzen, das in dieser Form bislang deutschlandweit einmalig ist: Kommt ein Schwerstkranker ins Krankenhaus, können die jeweilige Station oder der Erkrankte selbst die Unterstützung des Pallium Palliative Care Teams Memmingen-Unterallgäu anfordern.
Die Unterallgäuer beraten auch die Angehörigen
Dieser externe Palliativmedizinische Dienst berät und unterstützt nicht nur das Stationsteam mit seinem Fachwissen über Palliativmedizin, Schmerztherapie und psychosoziale Begleitung, sondern auch den Kranken und seine Angehörigen. So kümmern sich die Experten beispielsweise um sehr komplexe Symptome wie etwa Atemnot, Angst und Schmerzen, die mit der Verordnung eines stärken Schmerzmittels nicht zu beheben sind. Daneben helfen sie aber auch dabei, die weitere Behandlung zu planen, Notfallpläne, eine Patientenverfügung und eine Vorsorgevollmacht zu erstellen, informieren über Hilfsmittel und Pflegegrade und bereiten mit den Angehörigen die Entlassung nach Hause und die weitere Pflege dort vor.
In ganz Schwaben gibt es vergleichbare stationsübergreifende Angebote nur in den Kliniken in Augsburg und Kempten, die über einen eigenen palliativmedizinischen Dienst im Haus verfügen. Die Unterallgäuer Kliniken können die Leistungen des externen Dienstleisters – und das macht das Angebot eben deutschlandweit einmalig – mit den Krankenkassen abrechnen, die dafür jährlich 165.000 Euro zur Verfügung stellen. Weil dieser Betrag jedoch nicht ausreicht, hatte sich der Kreistag vor rund einem Jahr bereiterklärt, das Defizit mit maximal 50.000 Euro pro Jahr abzudecken.
„Wir haben sehr gekämpft, um diesen Dienst zu etablieren“, sagt Chefarzt Dr. Manfred Nuscheler, der zugleich ehrenamtlicher Geschäftsführer der Pallium gGmbH und Vorstandsmitglied beim Sankt Elisabeth Hospizverein Memmingen-Unterallgäu ist. Dass es gelungen sei, sei auch der massiven politischen Unterstützung zu verdanken. So habe der Landtagsabgeordnete Klaus Holetschek sich im Landtag für das Vorhaben starkgemacht und auch Landrat Hans-Joachim Weirather und die Kreisräte haben mit der Zusage finanzieller Unterstützung dazu beigetragen, dass es das Angebot gibt.
Damit die Leute nicht in eine Versorgungslücke fallen
Dieses sei auch für viele Angehörige eine große Entlastung, ist die Erfahrung von Monika Gaßner, einer der Palliativ-Care-Fachkräfte im Team. „Wir haben Zeit für die Angehörigen und die Patienten – was so auf einer Akutstation eigentlich nicht möglich ist“, sagt sie. Es gehe darum, ihnen und den Patienten ein Gefühl der Sicherheit zu vermitteln und ihnen die Angst davor zu nehmen, wie es zuhause weitergehen soll, erklärt Nuscheler. „Die Leute fallen nicht in eine Versorgungslücke.“
In weniger schweren Fällen kann es mit einer einmaligen Beratung getan sein, in komplexeren begleitet das Team den Patienten teils wochenlang, bis das Symptom aufgelöst ist, er entlassen wird oder auch bis zu seinem Tod. „Wir sind nicht einmal kurz dort, sondern bleiben aktiv dran“, sagt die Palliativmedizinerin Dr. Ruth Sittl, die das Palliativteam ärztlich leitet. Sie spricht von einer „intensiven Arbeit am Patienten und seinem Umfeld“, betont aber auch, dass ihr Team nicht die Behandlung übernimmt. Dafür ist nach wie vor die jeweilige Station zuständig, mit dem sich das Palliativteam eng austauscht.
Immer wieder hört das Team: „Ach hätten wir doch schon früher gewusst, dass es Sie gibt.“ Andere neigen dazu, den baldigen eigenen Tod oder den eines nahen Angehörigen zu verdrängen. Dabei wäre es laut Ruth Sittl und Manfred Nuscheler hilfreich, sich möglichst frühzeitig mit dem Palliativteam in Verbindung zu setzen – auch wenn es noch nicht akut ist. „Palliativmedizin ist nicht nur die Begleitung Sterbender“, so Nuscheler. Dann nämlich bleibt Zeit, um sich auf das Kommende vorzubereiten und Probleme anzugehen. „Wir können das Leben nicht verlängern“, sagt Ruth Sittl. „Aber wir können schauen, dass es gut wird.“ Und auch Manfred Nuscheler betont: „Die Hoffnung stirbt nicht mit einer schlechten Diagnose. Da sind noch viele Dinge möglich.“ Er verweist außerdem auf eine Studie, wonach Patienten, die palliativmedizinisch betreut werden, weniger depressiv sind und oft länger leben, „weil sie nicht an den Komplikationen einer Therapie sterben, die vielleicht gar nicht mehr sinnvoll ist“.
Im Unterallgäu könnten rund 200 Patienten mitbetreut werden
Ruth Sittl weist zudem darauf hin, dass sich das Angebot nicht nur an Krebspatienten richtet, sondern an alle, die an einer tödlichen Krankheit leiden. Sie und ihr Team haben im vergangenen Jahr mehr als 100 komplexere Fälle betreut, rund 70 Patienten wurden in kleinerem Umfang beraten. Ziel ist es, bis zu 200 Schwerstkranke mitzubetreuen. Gleichzeitig stellt Nuscheler aber klar: „Wir haben nicht den Anspruch, jeden Sterbenden zu begleiten.“ Bei einfacheren Verlaufsformen könnten das Hausärzte, Pflegedienste oder ein ambulantes Palliativteam leisten. Denn um jeden Patienten mit einer schweren Diagnose zu betreuen, reichen die Kapazitäten nicht aus. „Auch wenn wir uns das wünschen würden“, wie Ruth Sittl sagt.
Laut Nuscheler sterben nur 20 Prozent aller Schwerstkranken zuhause, wünschen würden sich das aber fast alle. „Das wollen wir ermöglichen.“
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