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Special Olympics: Ein Erisrieder erobert den Westen

Special Olympics

Ein Erisrieder erobert den Westen

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    Radrennfahrer Matthias Dangl fährt zu den Weltspielen nach Los Angeles.
    Radrennfahrer Matthias Dangl fährt zu den Weltspielen nach Los Angeles. Foto: Axel Schmidt

    Matthias Dangl war etwa zwölf Jahre alt, als er seiner Mutter seinen großen Traum eröffnete: „Irgendwann will ich einmal nach New York.“ Mutter Marianne Dangl tat das als Hirngespinst ab. Schließlich wusste sie, dass es für ihr jüngstes von drei Kindern schwer werden würde, überhaupt einmal alleine nach Österreich zu fahren. Denn Matthias Dangl ist geistig behindert. Nicht so stark, dass er seine Umgebung nicht einschätzen könnte oder in einer stationären Einrichtung betreut werden müsste. Doch eine Entwicklungsverzögerung lässt den mittlerweile 26-Jährigen eben auch nicht vollkommen selbstständig schalten und walten. Der Erisrieder arbeitet seit seinem 18. Lebensjahr in den Unterallgäuer Werkstätten in Mindelheim als Metallbauer.

    Doch nun erfüllt sich sein Traum – zumindest teilweise. Es wird zwar nicht New York sein. Dafür geht es am heutigen Dienstag noch weiter westwärts: Los Angeles in Kalifornien wird Matthias Dangl erwarten. Denn dort finden vom 25. Juli bis 2. August die Special Olympics, die Weltspiele für geistig behinderte Menschen, statt. Und Matthias Dangl ist einer der rund 7000 Athleten. Er startet für das deutsche Team als Rennradfahrer.

    Seit vier Jahren trägt er das Trikot des Velo Club Mindelheim

    Angefangen hat alles vor vier Jahren. 2011 tritt Matthias Dangl dem Velo Club Mindelheim bei. Der älteste Radsportverein Bayerns hat eine Kooperation mit den Unterallgäuer Werkstätten in Mindelheim und seit 2007 eine Special-Olympics-Abteilung. „Damals wollten wir unsere Fahrer zunächst für die Paralympics (Spiele für körperlich behinderte Menschen, Anm. d. Red.), klassifizieren. Doch das ging nicht“, erinnert sich Joachim Schuster. Der Westernacher ist zusammen mit Josef Hämmerle die treibende Kraft bei den Special Olympics, sein Sohn Anton ist geistig behindert und ist seit 2002 Mitglied im Velo Club.

    Erst durch die Absage bei den Paralympics werden die Mindelheimer aufmerksam auf die Special Olympics. Dann geht alles ganz schnell: Die Gruppe wächst auf sechs Radrennfahrer an, erste Erfolge stellen sich ein. Bei den nationalen Special-Olympics-Wettkämpfen 2008 in Karlsruhe holt Anton Schuster eine Silber- und zwei Bronzemedaillen und qualifiziert sich damit für die Weltspiele 2011 in Athen. Ein Jahr später, bei den nationalen Spielen in München, sind es schon elf Medaillen, die nach Mindelheim gehen. Erfolgreichster Fahrer in den Reihen des Velo Club ist Matthias Dangl mit zwei Goldmedaillen und einem dritten Platz. Dieses Ergebnis toppt er im vergangenen Jahr. Bei den nationalen Spielen in Düsseldorf fährt er in drei Rennen zum Sieg – und sichert sich damit die Nominierung für die Weltspiele.

    Für seinen Teamkollegen Frank Gelhart hat es letztlich nicht gereicht. Der 44-Jährige aus Dorschhausen stand bis Mai zwar als Ersatzmann auf der Nominierungsliste – doch Ersatz brauchte man schließlich nicht. Als Trostpflaster bekam er unlängst ein neues Rennrad vom Velo Club Mindelheim.

    Für eine Nominierung sind nicht nur sportliche Erfolge ausschlaggebend

    Doch nicht nur sportliche Leistungen sind für die Nominierung ausschlaggebend. Ein weiteres Kriterium ist das Rotationsprinzip: Ist die Bewerberzahl größer als die Quote für die jeweilige Sportart, dann werden zunächst Sportler bevorzugt, die noch nicht an Europa- oder Weltspielen teilgenommen hatten. Aus diesem Grund etwa fiel Dangls Teamkollege Anton Schuster heuer durch das Raster. Auch er hätte die sportlichen Voraussetzungen erfüllt, war aber 2011 eben schon in Athen am Start.

    „Am Ende ernennt das Präsidium den Kader“, sagt Isabel Dassdorf, Referentin Sportentwicklung beim nationalen Special-Olympics-Verband (SOD). Allerdings gibt es auch Sonderquoten. Im Fall der Radfahrer dürfen noch je ein männlicher und ein weiblicher Sportler zusätzlich mit nach Los Angeles, die im Zeitfahren über zehn Kilometer eine bestimmte Zeit unterbieten konnten. Das kann dann auch ein Sportler sein, der schon einmal internationale Luft geschnuppert hat. „Der hat dann aber für die nächsten Spiele, egal ob Europa- oder Weltspiele, keine Chance mehr auf eine Nominierung“, sagt Dassdorf.

    Der Nationaltrainer hält viel von ihm

    Matthias Dangl benötigte die Sonderquote nicht. Die sportliche und persönliche Qualifikation hat er in der Tasche, ebenso die Fremdbetreuung. Die wurde Ende März beim Trainingslager der für die Weltspiele nominierten Radsportler auf Mallorca getestet. Eine Woche lang trainierten und lebten die zehn Athleten mit fünf Betreuern zusammen. Die meisten Teamkollegen hat er bereits gekannt, die Eingewöhnung in die Gruppe fiel dementsprechend leicht. „Nur an einem Tag hat es geregnet. Dann haben wir eben eine Höhle und ein Museum angeschaut“, sagt Matthias Dangl.

    Und sportlich? „Matthias ist ein echter Bergtiger. Wenn wir in Los Angeles nur Berge fahren könnten, wäre er ganz vorn dabei“, sagt Reinhard Morys aus Schleusingen/Thüringen. Der 54-jährige Motopäde ist Vorsitzender des Thüringischen Special-Olympics-Landesverbandes und gleichzeitig Nationaltrainer der Radrennfahrer. Er wird einer von vier Trainern sein, die die Radrennfahrer in Los Angeles betreuen. Für Morys sind die Weltspiele in Los Angeles seine vierten Sommerspiele. Er räumt Dangl beim Zeitfahren und Straßenrennen Medaillenchancen ein.

    Nur die Hemmungen beim Überholen muss er ablegen

    „Vielleicht reicht es ja für eine Medaille. Aber die Hauptsache ist, er ist dabei“, sagt Dangls Mutter Marianne. Eine Medaille ist tatsächlich nicht ausgeschlossen. Denn eine der großen Stärken von Matthias Dangl ist seine Fähigkeit, ein Rennen taktisch zu fahren. Viele Konkurrenten verlassen sich auf ihre Kraft und Ausdauer. „Aber Matthias kann auch an einem dranbleiben und im Windschatten fahren“, sagt Joachim Schuster, der ihn seit 2011 beim Velo Club Mindelheim betreut und trainiert. Auch Dangls Willenskraft, seine körperlichen Voraussetzungen und Fitness lassen Schuster auf eine Medaille hoffen. Und wären da nicht auch einige Schwächen, Matthias Dangl könnte glatt als Favorit auf Gold gelten. Denn wenn er sich einen Vorteil erarbeitet habe, dann gebe er ihn noch recht leicht her, sagt Schuster. Auch beim Überholen habe er manchmal noch eine Hemmschwelle: „Da braucht’s dann immer mal wieder einen Schrei vom Trainer“, sagt Schuster. In Los Angeles muss das eben Reinhard Morys bei Bedarf übernehmen. Es sind jedenfalls viele Vorschusslorbeeren, die Matthias Dangl an die Westküste der USA begleiten. Doch die Lobeshymnen sind durchaus groß einzuschätzen, schließlich hat sich die Konkurrenz in den vergangenen Jahren erheblich gesteigert. „Mittlerweile gibt es rund 220 Radrennfahrer für die Special Olympics in Deutschland“, sagt Morys.

    Vor vier Jahren vertrat Anton Schuster den Velo Club Mindelheim bei den Weltspielen der Special Olympics in Athen. Zu einer Medaille hat es damals nicht ganz gereicht, ein vierter und ein sechster Platz standen für den Westernacher zu Buche. Doch in seiner Erinnerung sind weniger die Platzierungen geblieben, sondern vielmehr das Drumherum: „Das Meer war ganz schön salzig. Und heiß war’s, mannomann“, sagt er heute. Heiß wird es auch für Matthias Dangl in Los Angeles. Das weiß er. Von seiner älteren Schwester hat er schon ein Buch über Los Angeles bekommen. Englisch kann er auch schon etwas, bleibt also nur noch, erfolgreiche Rennen zu fahren. „Eine Medaille wäre ein Traum“, sagt Matthias Dangl. Und mit Träumen, die wahr werden, kennt er sich ja aus.

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