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Schach: Wenn plötzlich sogar Kaffee schmeckt

Schach

Wenn plötzlich sogar Kaffee schmeckt

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    Hermann Hipp ist der einzige Schachspieler, der in der 35-jährigen Geschichte des Schachfestivals in Bad Wörishofen immer dabei war. Der 57-jährige Marktoberdorfer wird heuer seine 315. Schachrunde absolvieren.
    Hermann Hipp ist der einzige Schachspieler, der in der 35-jährigen Geschichte des Schachfestivals in Bad Wörishofen immer dabei war. Der 57-jährige Marktoberdorfer wird heuer seine 315. Schachrunde absolvieren. Foto: Max Kramer

    Ein Hauch von Spitzensport weht dieser Tage durch die Kneippstadt: Im Kurhaus tummeln sich seit vergangenem Freitag knapp 400 Schachspieler aus aller Welt, um sich beim 35. ChessOrg Schachfestival in insgesamt neun Runden miteinander zu messen. Ein neunjähriger Bub sitzt dort genauso am Brett wie der Großmeister aus Osteuropa – oder Hermann Hipp.

    Der 57-Jährige ist das einzige echte Urgestein des internationalen Turniers, außer ihm hat kein Spieler alle 35 Ausgaben erlebt. „Es hätten ruhig mehr durchhalten können“, sagt Hipp und lacht. „Aber das muss man erst einmal durchhalten, so ein Turnier ist Anstrengung pur.“ Der Marktoberdorfer tritt in der qualitativ stärksten Klasse des Turniers, dem Open, an.

    Bad Wörishofen galt einmal als bedeutendstes Turnier Europas

    Vergleicht er die Turniere von 1985 und heute, stellt Hipp vielerlei Unterschiede fest: „Damals waren sehr viele Leute aus der Umgebung dabei, das Turnier war insgesamt aber natürlich dünner besetzt. Das kann man mit der Dimension von heute nicht mehr vergleichen.“ Auch das Niveau habe sich ständig verändert: „Am Anfang war es nicht so brutal stark, dann gab es zwischendurch nur Leute aus der Weltrangliste.“ Inzwischen sei das Niveau an der Spitze wieder gesunken: „Das bedeutendste Turnier in Europa, wie früher gesagt wurde, ist es heute leider nicht mehr.“

    Auch die Bedenkzeit beim Turnier ist reduziert worden – standen früher noch zweieinhalb Stunden für 40 Züge zur Verfügung, sind es bei der diesjährigen Ausgabe nur noch eine Stunde und vierzig Minuten. Pro Zug gibt es dreißig Sekunden zusätzlich. „Das ist für Leute wie mich, die nicht ganz so stark sind, schon ein Einschnitt. Der durchtrainierte Großmeister ist da einfach besser dran“, so Hipp, der mit einem Elo-Wert von 2009 zu den besten Spielern im Allgäu zählt. Und das, obwohl er kaum noch trainiert. Sein letztes Turnier war 2018 – in Bad Wörishofen.

    Trotz Süßigkeiten fünf Kilo abgenommen

    Der besondere Reiz des Turniers liegt für Hipp in den Räumlichkeiten: „Die Atmosphäre ist es wahrscheinlich, dass manche Leute wiederkommen – und ich auch. Das hat etwas, deshalb komme ich auch unter dem Jahr ab und zu vorbei.“ Im Lauf der Jahre hat er sich ein spezielles Ritual angeeignet: „Um das durchzustehen, gehe ich nach der Anmeldung immer zum Bäcker und hole mir da Kalorienbomben. Pro Partie gibt es dann ein, zwei Pralinen, manchmal auch Bananen.“ Für die Energiezufuhr sorgen außerdem Energy Drinks – und ausnahmsweise Kaffee, „normalerweise ist das Gift für mich.“

    Hilfsmittel, die notwendig sind. Die stundenlange Konzentration geht den Spielern an die Substanz – Routinier Hipp weiß davon nur allzu gut zu berichten: „Nach sechs, sieben Runden tut es nicht da oben weh“, sagt der Allgäuer und deutet auf seinen Kopf, „sondern in den Armen. Man bekommt Muskelkater, das zehrt einen aus, das ist unglaublich.“ Beim ChessOrg in Bad Wörishofen habe er trotz seiner kalorienreichen Ernährung einmal über fünf Kilo in neun Tagen abgenommen.

    Aufregung vor einem Turnier kommt bei Hipp, der in Marktoberdorf als Kaufmann selbstständig ist, nicht auf. „Das ist nicht mehr so wie beim ersten Kuss. Es passiert ja auch nichts: Ich verliere kein Geld, sondern ein Spiel – auch wenn das manchmal ziemlich schrecklich ist.“ Der Alltag hole ihn nach den einzelnen Runden schnell wieder ein. „Zuhause öffnet man die Post, füttert die Tiere. Erst am nächsten Tag bin ich dann wieder geistig in Wörishofen.“

    Selbst mit Fieber saß Hipp am Tisch

    Eine Partie ist ihm besonders in Erinnerung geblieben: Vor rund 25 Jahren, über elf Stunden – „gegen einen echten Psychopaten, muss ich sagen. Er hat immer meine Uhr gedrückt, als ich aufgestanden bin. Als ob ich es vergessen hätte. Dann hat er sich aufgeführt, rumgebrüllt und wollte das Brett umwerfen.“ In der Aufregung habe er einen Bauern verloren und elf Stunden kämpfen müssen. Das Spiel endete letztlich mit einem Remis. Auch das eine spezielle Erfahrung in diesem speziellen Turnier, bei dem Hipp manchmal sogar mit Fieber spielte. „Die meisten von ganz früher sind nicht mehr da, viele gestorben. Ich aber werde hier meine insgesamt 315. Schachrunde spielen, das schaffen manche in ihrem ganzen Leben nicht“, sagt er und fügt an: „Eigentlich Wahnsinn.“

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