Flüchtlinge in Türkheim: „Nur gemeinsam kriegen wir das hin!“
Vor einer Entscheidung im Gemeinderat wurden die Türkheimer über geplante Standorte für Notunterkünfte informiert. Die Bürger-Info war sachlich, aber emotional.
Die Gemeinde Türkheim hat drei mögliche Standorte für Notunterkünfte für je rund 30 Flüchtlinge gesucht und – nach intensiver Prüfung und Abwägung aller Vor- und Nachteile – auch gefunden: eine Teilfläche am sogenannten Festplatz neben dem Wertachstadion, eine Teilfläche auf dem Parkplatz an der Hochstraße und eine Teilfläche im östlichen Bereich des Parkplatzes am Bahnhof Türkheim. Diese Flächen könnten dann mit Containern Platz für jeweils rund 30 Personen bieten, so Kähler, der schon im Vorfeld der Bürger-Info gegenüber unserer Redaktion deutlich gemacht hatte: „Wir wollen keine zentrale Unterkunft, kleinere dezentrale Unterkünfte sind besser, aber dies muss zunächst beschlossen werden.“
Und diesen Beschluss will der Gemeinderat Türkheim in seiner Sitzung am Donnerstag, 18. April, um 19 Uhr im Sieben-Schwaben-Saal treffen. Eine schwierige Entscheidung, die in ganz Türkheim seit Wochen für Diskussionen sorgt und auch die Verantwortlichen im Rathaus und Gemeinderat keineswegs kaltlässt. Um die eigene Entscheidung auf ein solides, demokratisches Fundament zu stellen und auch um die Bürgerinnen und Bürger vorab in die Entscheidungsfindung einzubinden, hatte Bürgermeister Christian Kähler am Montagabend zu einer „Bürger-Info zum aktuellen Stand einer möglichen Asylunterbringung in Türkheim“ in den Sieben-Schwaben-Saal eingeladen.
Entscheidung über Standorte für Notunterkünfte trifft der Gemeinderat
Und wie sehr das Thema die Türkheimerinnen und Türkheimer umtreibt, zeigte der enorme Andrang: Gut 200 Interessierte drängelten sich im bestuhlten Sieben-Schwaben-Saal, um zu diskutieren und ihren Sorgen und Hoffnungen, Nöten, Bedenken und Ängsten freien Lauf zu lassen. Um Sachlichkeit und gegenseitigen Respekt hatte Kähler daher vorab gebeten, denn auch ein hitziger, emotionsgeladener Streit war nicht ausgeschlossen.
Es sollte anders kommen – und das lag nicht zuletzt an der klaren Haltung, die Bürgermeister Christian Kähler von Beginn an zeigte und sich nicht aus der Ruhe bringen ließ. Verwaltung und Gemeinderat hatten laut Kähler intensiv gesucht und nicht weniger intensiv geprüft, wo die Gemeinde Türkheim Flächen zur Unterbringung von Flüchtlingen zur Verfügung stellen könnte. Es kamen mehrere gemeindeeigene Grundstücke unter die Lupe, am Ende blieben die drei genannten Flächen übrig, alle anderen Alternativen hätten sich als ungeeignet erwiesen.
Türkheim setzt auf „dezentrale“ Unterbringung von Flüchtlingen
Und Kähler ließ auch nicht daran rütteln, dass Türkheim grundsätzlich dazu verpflichtet sei, für Notunterkünfte zu sorgen – nicht nur, weil das Landratsamt Unterallgäu entsprechend Druck macht. Mindestens genauso wichtig ist ihm die moralische Verpflichtung, sich dieser Herausforderung erneut zu stellen. Landrat Eder wies dann auch darauf hin, dass derzeit rund 2100 Flüchtlinge im Landkreis Unterallgäu leben und zwei Kommunen die „Hauptlast“ tragen müssten: In Bad Wörishofen sind rund 700 Flüchtlinge untergebracht und in Mindelheim 620. In Türkheim sind es derzeit etwa 20 – und auch wenn der Druck momentan nicht mehr ganz so hoch sei, so rechnet Eder spätestens im Sommer wieder mit steigenden Flüchtlingszahlen.
Zur Erinnerung: Schon in den Jahren 2015 und danach schwappte eine Flüchtlingswelle durch das Land und stellte die Gemeinden und Landkreise vor scheinbar unlösbare Probleme und spaltet die Gesellschaft in Deutschland bis heute. Noch immer mag da bei vielen der Satz „Wir schaffen das“ in den Ohren klingen – doch gerade der Markt Türkheim war damals ein eindrucksvolles Beispiel, wie die Unterbringung und Integration der Flüchtlinge – bei allen auftretenden Schwierigkeiten – am Ende tatsächlich erfolgreich geschafft werden konnte.
Der Helferkreis Türkheim erwies sich damals als Schlüssel zur Integration – und daher will die Gemeinde auch diesmal rechtzeitig wieder einen solchen Helferkreis auf die Beine stellen: „Anders wird es nicht funktionieren. Wir kriegen das hin, aber nur, wenn wir zusammenhalten“, appellierte Kähler ein ums andere Mal. Myriam Erhardt war damals die Leiterin des Helferkreises, der angesichts der überwiegend weiblichen Unterstützer wohl besser „Helferinnen-Kreis“ genannt werden muss. Und Myriam Erhard – inzwischen Gemeinderätin für die Wählervereinigung Türkheim – sorgte mit ihren angenehm besonnenen und Mut machenden Erfahrungen und Beiträgen bei der Infoveranstaltung immer wieder dafür, dass die Sorgen und Ängste der Türkheimerinnen und Türkheimer nicht in Panik oder Hass umschlagen konnten.
Dass viele Bürgerinnen und Bürger in Türkheim tatsächlich Angst haben, sich ihrer Emotionen unsicher sind und sich angesichts des drohenden Zuzugs von Flüchtlingen vor negativen Auswirkungen wie einem Anstieg der Kriminalität fürchten, wurde am Info-Abend mehrfach deutlich. Gerade Anwohner aus Türkheim-Bahnhof sehen ihren Ortsteil schon jetzt überlastet, wie es eine Rednerin deutlich machte: Schließlich sei gegenüber der Staatsstraße schon heute ein Schwerpunkt von kriminellen Vorgängen, die Frau beschrieb den Parkplatz rund um die Tankstelle als Ort, an dem „Prostitution und Drogenhandel“ gang und gäbe seien.
Mit zitternder Stimme schilderte eine Mutter aus Türkheim-Bahnhof, dass sie um ihre und vor allem um die Sicherheit ihrer Kinder fürchte – schon heute, weil sie sich in der Dunkelheit nicht sicher fühle. Und wie werde das denn erst sein, wenn 30 Flüchtlinge oder mehr dort untergebracht werden?
Es waren mehrere Anwohner aus Türkheim-Bahnhof, die ihren Ortsteil als ungeeignet sehen, um angesichts der bereits bestehenden Probleme mit einer Flüchtlingsunterkunft noch weiter belastet zu werden. Doch auch eine Anliegerin beim Festplatz machte deutlich, dass sie Angst um ihre Sicherheit habe, wenn in der Nachbarschaft eine Notunterkunft errichtet werde. Sie sei sich der Schwierigkeiten und Herausforderungen bewusst, nachdem sie 2015 als Helferin im Helferkreis aktiv war. Deshalb bevorzuge sie auch definitiv eine dezentrale Lösung. "Ein großes Zelt mit 100 jungen Männern würde mich als Frau und Helferin abschrecken, aber eine kleinere Gruppe von 30 Personen, die ich alle persönlich kenne, ist gut handelbar", so die Anwohnerin zu unserer Redaktion. Sie will ihre Aussage als "ein Plädoyer für die dezentrale Lösung aus Helfersicht" verstanden wissen, mit dem Standort an sich habe das nichts zu tun.
Störer werden zum Schweigen gebracht – auf charmante „Türkheimer Art“
So konnten die unterschiedlichen Standpunkte vermittelt werden – und genau das war Kähler von Beginn an wichtig. Unterstützt von Landrat Alex Eder (Freie Wähler), dem Zweiten Bürgermeister Franz Haugg (Freie Wähler), der Dritten Bürgermeisterin Gudrun Kissinger-Schneider (Grüne) und Myriam Erhard (Wählervereinigung) gelang es, die Diskussion in einem zwar vereinzelt emotionalen, aber immer auch respektvollen und anständigen Rahmen zu halten. Der plumpe Versuch von zwei offensichtlich politisch motivierten Teilnehmern, gleich zu Beginn mit unflätigen Zwischenrufen und dämlichem Geklatsche und Gejohle die Veranstaltung zu stören, wurde auf charmante und gleichzeitig eindeutige Art gelöst: CSU-Gemeinderat Christian Schreiber setzte sich kurzerhand und demonstrativ direkt neben die beiden Querulanten – und nicht zuletzt seine eindrucksvolle Gestalt brachte das seltsame Pärchen schnell zur Räson. Irgendwann war denen das dann zu bunt, und sie gingen nach Hause.
So konnte sich eine Diskussion entwickeln, die dem Anspruch der Organisatoren gerecht wurde: Wer etwas zu sagen hatte, konnte seine Meinung sagen. Wer seine Ängste schildern wollte, konnte dies tun. Und nur ein Diskussionsteilnehmer bemängelte, dass er sich nicht ausreichend informiert und „mitgenommen“ gefühlt habe. Kähler und andere verwiesen auf die in diesem Fall durchaus offensive Öffentlichkeitsarbeit der Gemeinde und nicht zuletzt auch auf die umfangreiche Berichterstattung in unserer Zeitung.
Landratsamt liegen konkrete Angebote für große Flüchtlingsunterkünfte vor
Kähler blieb standhaft, unterstützt von Landrat Eder, und verwies immer wieder auf die Zwänge, in der er seine Gemeinde sehe: Wenn jetzt dem Landratsamt keine geeigneten Flächen vorgeschlagen werden, dann werde sich das Landratsamt – notgedrungen – anderweitig umsehen. Zwei konkrete Angebote liegen bereits auf dem Tisch: eine Fläche an der Ettringer Straße, eine Fläche in einem Gewerbegebiet – beide durchaus geeignet, um hier ein großes Zelt aufzustellen, um mehr als 100 Flüchtlinge zentral unterzubringen. „Dann haben wir es nicht mehr selber in der Hand“, warnte Kähler und betonte immer wieder entschlossen, dass er und der Gemeinderat in den drei „dezentralen Standorten“ die weitaus bessere Lösung sehen.
Ob am Ende nach gut zweieinhalb Stunden Diskussion alle restlos zufrieden nach Hause gingen? Wohl kaum, denn naturgemäß konnten nicht alle Ängste und Vorurteile beseitigt werden. Aber zum Schluss der Bürger-Info zeigte sich, dass die hör- und sichtbare Mehrheit der Türkheimerinnen und Türkheimer zwar kritisch, aber auch positiv mit dem Thema Flüchtlingsunterkünfte umgehen. Oder, wie es mehrere Rednerinnen und Redner formulierten: „Es sind doch Menschen und keine Monster, die zu uns kommen! Sie zu integrieren, ist eine Aufgabe der ganzen Tükheimer Bevölkerung. Wir kriegen das hin – aber nur alle gemeinsam!“
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