
Alles eine Frage der Haltung beim Kunstverein Ulm

Eine neue Ausstellung im Schuhhaussaal handelt von der Fähigkeit, als Künstler Contenance zu bewahren. Eine vielseitige Schau, bei der es auch mal verspielt zugehen darf.
Wenige Berufe sind so unsicher wie der eine freien Künstlers. Zwischen dem großen Glück der selbstbestimmten Arbeit und dem Elend der Ungewissheit – dieses Spannungsfeld müssen alle durchlaufen, die als Künstler arbeiten. Zugleich ist es die Aufgabe eines Künstlers, Spannungsfelder, offene Fragen, unsichere Sprünge künstlerisch umzusetzen. Mit diesen Fragen beschäftigt sich die Ausstellung „Contenance – Haltung bei ungewissem Sprung“ (bis 23. Juni 2019) im Kunstverein Ulm, die letzte unter der Ägide von Kuratorin Katharina Ritter, die im April als künstlerische Leiterin zu den Künstlerhäusern in Worpswede wechselte (wir berichteten).
„Contenance“, das ist die Kunst der Bescheidenheit, der Zurückhaltung im Angesicht ernster Schwierigkeiten, auch der Selbstdisziplin. „Haltung bei ungewissem Sprung“ zeigt in dieser Gruppenausstellung das Thema einer ständigen Schwebe – wo stehen wir, wie geht es weiter? Dieser Frage haben sich die Macherinnen des Kunstmagazins Lowland aus Stuttgart, Anne Pflug, Christiana Teufel und Damaris Wurster, auf ganz eigene Art gestellt. Eine Künstlerin lädt eine andere Künstlerin ein, zu einer ausgewählten Arbeit eine eigene künstlerische Antwort zu finden. Dieses Ping-Pong der Positionen, das auch literarische Aspekte einschließt, macht Fragen von Unsicherheit und Selbstzweifeln zu einem kreativen Prozess.
Daniel Wogenstein trifft auf Franziska Degendorfer
In ihren Arbeiten zeigen die Künstler sehr unterschiedliche Positionen, die sich erstaunlich gut ergänzen, ja sogar Parallelitäten offenbaren. Etwa die großformatigen Malereien von Daniel Wogenstein, dessen Geometrien ein direktes Echo in den Materialcollagen von Franziska Degendorfer finden – die ihrerseits offen lässt, ob sie „steigende“ oder „fallende“ Formen zeigt. Das Spiel mit de n Unsicherheiten kann nur durch Offenheit und Spiel beantwortet werden – zumindest in der Kunst. Damaris Wurster etwa legte mittels Photoshop mindestens 20 durch ein Kaleidoskop aufgenommene Fotografien übereinander und erzeugt so schillernde Tiefenräume in allen Farben.
Anne Pflug zeigt einen im Raum schwebenden dünnen Seidenstoff, auf den Begriffe aufgedruckt sind, die im assoziativen „Ecriture Automatique“-Verfahren entstanden sind. Eine subtile Arbeit, die auf jeden Lufthauch reagiert, dabei gerade im Vergleich zur raumdominierenden Wandmalerei von Joni Majer hart am Rande der Unsichtbarkeit balanciert. Majers schwarz-weiße Figur „Haltung“ zeigt eine liegende Frauenfigur, abstrahiert. In Brusthöhe ist ein Spiegel angebracht, durch den sich der Betrachter selbst sieht: Hier ist ein Moment der Irritation in eine ansonsten sehr visuelle, ansprechende Arbeit eingezogen.
Madeleine Linden treibt die Frage um, wie „Sinnlosigkeit mit Interessantem“ zu füllen ist „ohne mich um Angst oder Sicherheit kümmern zu müssen“. Entstanden sind so kleine Künstlerbücher, die mit vorgefundenem Bildmaterial Geschichten andeuten, die der Betrachter auserzählen kann. Paulette Penje spielt mit dem begriff Haltung ganz anders, sinnlich, körperlich: Sie versuchte, jeden Körperteil abzulecken - was bei allen erdenklichen Haltungsänderungen doch nicht möglich ist, aber in höchster Konsequenz durchgespielt wird. Und Christiana Teufel entfremdet einen Höhenblick auf ein Alpenmassiv, indem sie es als filigranen Print auf Glas so stark auflöst, dass der Betrachterblick lange suchen muss, um die Haltung der Fotografin und damit den ursprünglichen Aufnahmewinkel auszumachen. „Contenance - Haltung bei ungewissem Sprung“ zeigt, wie junge Künstler sich zwischen tradierten Techniken, heutiger Lebenswirklichkeit und künstlerischem Experiment die Welt reflektieren, wobei es durchaus auch mal augenzwinkernd und verspielt zugehen darf.
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