
Pfuhler Kebab-Betreiber verliert 70 Verwandte beim Erdbeben in der Türkei

Plus Yusuf Dogan und seine Söhne verlieren beim Erdbeben zahlreiche Familienangehörige. Jetzt wollen sie von Deutschland aus so viel helfen, wie es möglich ist.

Wenn Yusuf Dogan in seinem Kebab-Imbiss in Pfuhl sitzend erzählt, was er und seine Familie die vergangenen Wochen durchgemacht haben, kommen ihm immer wieder die Tränen. Seine Stimme stockt. 70 Menschen aus seiner Verwandtschaft, sagt er, haben beim Erdbeben in der Türkei Anfang Februar ihr Leben verloren. Darunter die Mutter seiner beiden Söhne. Wie das Leben nun weitergehen kann? "Es muss", sagt er. "Für meine Söhne. Ich bin jetzt Mama und Papa."
Es war gegen 5 Uhr, als er an jenem Montag, 6. Februar, von seinem Bruder einen Anruf bekam: "Hast du es schon gehört? Es hat ein Erdbeben gegeben", habe er ihm berichtet. Und dass er seine frühere Frau nicht erreiche. Zahlreiche Häuser in seiner türkischen Heimatstadt Besni seien zum Teil eingestürzt. Er solle umgehend kommen.
Yusuf Dogan und seine Söhne fahren nach dem Erdbeben in die Türkei
Sofort packen der 52-Jährige und seine Söhne Mustafa, 28, und Mehmed, 22, ihre Sachen. Der Dönerladen in der Hauptstraße wird für zwei Wochen dichtgemacht und alles Geld abgehoben, das sie auf dem Konto haben. Flüge seien alle ausgebucht gewesen, also setzen sie sich ins Auto und fahren los. 14 Stunden brauchen sie bis zur türkischen Grenze. Dann ist der Weg ins Krisengebiet versperrt. Nach einem Umweg von gut 500 Kilometern kommen sie am Dienstagabend, gegen 22 Uhr, am erst 2006 errichteten Haus und der Wohnung ihrer Mutter an. "Alles platt", sagt Dogan.

Ständig hätten sie auf der Fahrt mit Bekannten vor Ort telefoniert. Nach dem ersten Beben sei das Haus zwar schon beschädigt und zum Teil eingestürzt gewesen. Es seien aber noch Stimmen zu hören gewesen. Bei einem erneuten Beben neun Stunden später sei es dann komplett in sich zusammengefallen. Und hier setzt Dogans deutliche Kritik an: Man hätte helfen können. Doch die Hilfe sei nicht vorbereitet und schlecht organisiert gewesen. Während die Menschen vor Ort zusammengehalten und sich gegenseitig mit Essen und Trinken unterstützt hätten – egal ob Kurde oder Türke. "Die Regierung hat einfach gefehlt."
Yusuf Dogan bringt seine Frau noch ins Krankenhaus, aber sie ist schon tot
Als seine Ex-Frau leblos geborgen wird, ist Dogan dabei. Er zeigt ein Foto, das sie von Betonschutt zerdrückt auf dem Sofa liegend zeigt. "Sie hat nach dem Einsturz noch gelebt", sagt er und deutet auf Blutflecken und Kratzspuren an den Trümmern. Dogan selbst fährt sie noch ins Krankenhaus. Doch dort helfen die Ärzte ihr nicht mehr, sie ist schon tot. In der Wohnung lebte auch die Schwiegermutter und Oma von Mustafa und Mehmed. Nach 36 Stunden hätte man sie noch lebend mit zahlreichen Rippenbrüchen bergen können. Nach einer Woche im Krankenhaus starb aber auch sie.
Für Dogan und seine Familie sind das nicht die einzigen, schmerzhaften Verluste. Er berichtet von zahlreichen toten Cousins und Cousinen, Tanten und Onkels. Und einem Neffen, der in einem Haus in der Stadt Adiyaman verschüttet wurde. Einem Bruder soll er eine SMS geschrieben haben: "Mama liegt tot neben mir. Aber ich fühle meine Beine nicht." Nach 50 Stunden hätten sie ihn geborgen, seine Beine mussten amputiert werden.
"Ich schlafe nur noch zwei, drei Stunden in der Nacht"
Nach zwölf Tagen kam Dogan wieder zurück in die Neu-Ulmer Region. Seine Söhne blieben noch eine Woche länger. Während im Krisengebiet riesiges Leid herrscht, sie dort nicht wissen, wie es weitergehen soll – ohne Strom, Wasser und Unterkunft – verkaufen sie nun wieder Döner und Pizza. Doch die Gedanken sind ständig in der Türkei. "Ich schlafe nur noch zwei, drei Stunden in der Nacht." Von Deutschland aus will er nun so viel helfen, wie es ihm möglich ist. So habe er zum Beispiel im Fernsehen von einem Kind erfahren, das an Epilepsie erkrankt ist, aber das dringend benötigte Medikament nicht mehr bekommt. In einer Neu-Ulmer Apotheke habe er so viel besorgt und hinbringen lassen, dass es für die nächsten 13 Monate reicht.

Schülerinnen und Schüler der Karl-Salzmann-Mittelschule in Pfuhl haben ihm kürzlich eine Spende vorbeigebracht. "Ich schäme mich eigentlich dafür", sagt er. Doch die Jugendlichen wollen, dass es wirklich da ankommt, wo es gebraucht wird. Die Fußballer des TSV Pfuhl wollen alle Einnahmen vom Spieltag an diesem Sonntag ihm übergeben. Dogan erzählt, dass die Tradition es eigentlich vorsehe, dass 40 Tage nach dem Tod eines Familienangehörigen ein großes Fest mit vielen Gästen und reichlich Essen veranstaltet wird. Dieses Fest wird es nicht geben. Stattdessen ist einer seiner Söhne wieder in die Türkei gereist und verteilt dort gerade Essen – finanziert durch die Spenden von hier. Sein anderer Sohn hätte dieses Jahr heiraten wollen. Aber auch das Fest wird es vorerst nicht geben.
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