Zeitreise in die 80er: Villa Rot zeigt Werke der "Jungen Wilden"
Die Villa Rot lässt mit explosiver, bunter Kunst die 1980er wieder auferstehen und bietet einen seltenen Einblick in die bemerkenswerte Privatsammlung des Laupheimer Unternehmers Friedrich Rentschler.
Nina Hagens schrille Stimme tönt aus dem Radio, zu "Wetten, dass...?" und "Knightrider" versammeln sich die Familien vor der Mattscheibe, der Kalte Krieg droht zum Atomkrieg zu eskalieren und die Friedensbewegung treibt die Massen auf die Straße. Die 80er waren ein ereignisreiches Jahrzehnt, in das die Villa Rot nun zu einer künstlerischen Zeitreise einlädt. Um "die explosive Malerei der jungen Wilden" dreht sich die aktuelle Ausstellung, die diesen Sonntag eröffnet wird.
Aus dem Depot der "FER Collection" in die Villa Rot
Für ihren Ausflug in die 80er durfte sich Kuratorin Sabine Heilig im Depot der "FER Collection" bedienen. In der bemerkenswerten Privatsammlung bündelte der Laupheimer Pharma-Unternehmer Dr. Friedrich E. Rentschler zeitgenössische Kunst. Im ehemaligen Wohnhaus des 2018 verstorbenen Unternehmers sind Werke der Minimal Art, Konzeptkunst oder auch Op-Art - kuratiert von Stefanie Dathe - in Führungen zu sehen. Die wilde Malerei der frühen 1980er hatte dort jedoch keinen Platz. Den findet sie nun bis zum Sommer in der Villa Rot.
Ein Fokus des Sammlers lag Anfang der 80er wohl auf der Kölner Ateliergemeinschaft "Mühlheimer Freiheit", die auch in der Ausstellung in Rot viel Raum einnehmen. Die "Mühlheimer Freiheit" waren sechs junge Künstler, die sich 1980 gemeinsam einen Dachboden als Atelier gemietet haben. Hans Peter Adamski, Walter Dahn, Jiří Georg Dokoupil, Peter Bömmels, Gerard Kever und Gerhard Naschberger vereinte zwar kein gemeinsamer Stil oder gar ein gemeinsames Manifest, wie es sich andere Künstlergruppen gegeben haben, doch in Interesse und Einstellung waren sich die Sechs nahe. Der aufkommende Punk und New Wave wurden zur Inspiration, manch Maler griff auch selbst zum Musikinstrument. Und vor allem war die Freiheit in Ausdruck, Farbwahl und Idee für ihre Werke ein verbindendes Element. Ihre antikommerzielle Haltung zeigen die Künstler auch in der Wahl ihres Materials - statt teurer Leinwand griffen sie gerne auf günstigere Alternativen zurück.
Einblick in das Kölner Atelierleben
Einen Einblick in das Atelierleben der "jungen Wilden" gibt ein großes Bild, das über der Bühne im Hoenes-Saal hängt. Es zeigt zwei nackte Frauen, "Heike F. und Brigitte S." laut Bildtitel, mutmaßlich bei einem Besuche in der Künstlerwerkstatt. Die richtigen Großformate begrüßen den Betrachter dann in der Kunsthalle. Drei Werke reichen diesmal, um den größten Ausstellungsraum der Villa Rot zu füllen. Allein Dokoupils umfangreiches titelloses Abstract VI vermag den Betrachter mit bunten geometrischen Formen und Symbolen lange Zeit zu fesseln. Und dabei musste Kuratorin Sabine Heilig sogar auf zwei Werke verzichten, die sie gerne in der Ausstellung gehabt hätte: Sie waren zu groß für die Türen der Villa Rot.
Zwischendurch lädt eine kleine Leseecke in der Ausstellung ein, sich mit der entsprechenden Literatur und Musik in das längst vergangene Jahrzehnt zu vertiefen. Kuratorin Heilig war es wichtig, die Bilder im Kontext ihrer Entstehungszeit zu zeigen und die prägenden Entwicklungen dieser Zeit in Erinnerung zu rufen: Drohender Krieg, wirtschaftliche Stagnation, saurer Regen und Waldsterben lassen die Sorge um die Umwelt wachsen, das Massenmedium Fernsehen erobert die Wohnzimmer, musikalisch stehen sich Punker und Popper unvereinbar gegenüber und künstlerisch gibt es nach einer Phase intellektueller Konzeptkunst von Künstlern wie Beuys einen großen "Hunger nach Bildern".
"Mühlheimer Freiheit" traf den Puls der Zeit genau
So ist es nicht verwunderlich, dass die "Mühlheimer Freiheit" schon mit ihrer ersten Ausstellung 1980 den Nerv der Zeit und der Kunstkritiker perfekt trafen. Der sich schnell einstellende Erfolg besiegelte aber auch das baldige Ende der "Mühlheimer Freiheit". Die sechs Mitglieder der Künstlergruppe starteten eigene Karrieren und schon 1984 löste sich die Ateliergemeinschaft auf. "Es waren wenige, aber sehr intensive und fruchtbare Jahre", erklärt Kuratorin Heilig.
Weitere Zentren der "wilden Malerei" der 80er waren Westberlin und Hamburg. Die beiden Städte sind mit Werken von Rainer Fetting und Werner Büttner in der Ausstellung vertreten. Im Vergleich zu seinen Zeitgenossen zeigt sich deutlich, warum Fetting als Vertrete der sogenannten "heftigen Malerei" gilt. Er pflegt einen vergleichsweise besonders expressiven Stil, wie sich etwa in den kräftigen Farben und Kontrasten seines "Indianers" zeigt.
Ein Tipp aus dem Begleitprogramm zur Ausstellung: Am 7. Juni treten Kai Havaii und Stefan Kleinkrieg von der Band Extrabreit mit einer Lese- und Akustikshow im Hoenes-Saal auf.
Termin: Die Ausstellung "Gewaltige Kraft – die explosive Malerei der Jungen Wilden" wird am Sonntag, 3. März, um 11 Uhr eröffnet, Kuratorenführung um 14 Uhr. Die Schau läuft bis zum 16. Juni.
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