
Mit der Nase sehen: Museum Ulm bietet nun Duftführungen an

Plus Wer kräftig schnuppert kann im Museum Ulm nun einen neuen Zugang zu Bildern finden. Geruchsexpertinnen haben Düfte zu ausgewählten Kunstwerken kreiert.

Wissen Sie eigentlich, wie Myrrhe riecht? Dieses etwas dubiose dritte Geschenk der Heiligen Drei Könige für das neugeborene Christuskind. Die Antwort darauf lautet bei Vielen vermutlich "Nein". Ändern kann sich das nun mit einem Besuch des Museums Ulm. Bei Führungen unter dem Motto "Der Nase nach!" erschnuppern sich die Teilnehmer völlig neue Perspektiven auf bekannten Bildern – manchmal wird es sogar ein wenig stinkig.
Duftführungen zeigen auch Gerüche aus der Vergangenheit
Bei der Myrrhe ist das allerdings noch nicht der Fall. Das wertvolle Baumharz, das wie Weihrauch bereits in der Antike bei Räucherritualen als Opfer verbrannt wurde, verströmt einen warmen, angenehmen Duft, den man als würzig süß beschreiben könnte. Das Bild "Anbetung der Könige" von Jörg Stocker und Martin Schaffner aus dem Jahr 1480 ist eines von acht Werken, die Teil der neuen Führung sind. Neben Myrrhe gibt es dort auch Weihrauch zu riechen.

Kunst durch die Nase erlebbar zu machen ist eines der erklärten Ziele dieses Projekts, das von dem EU-Forschungsprojekt "Odeuropa" mit initiiert wurde. Die Amsterdamer Professorin und Odeuropa-Leiterin Inger Leemans erklärt per Videobotschaft: "Der Geruchssinn kann die Wirkung des kulturellen Erbes verstärken." Das traditionell monosensorische Erlebnis einer Museumsführung soll durch die Düfte ein lebhafteres werden. Nicht nur die Augen, auch die Nase wird gebraucht. Den Teilnehmern werden vor den Werken Proben ausgeteilt, an denen sie während der Erläuterungen zum Bild riechen können.
Düfte sollen zum Diskutieren anregen
Bei Testführungen vor dem offiziellen Start am kommenden Sonntag hat das Konzept schon mal gut funktioniert. Kuratorin Eva Leistenschneider sagt: "Es wurde öfter diskutiert als bei normalen Führungen." Die Gerüche scheinen mehr als das bloße Betrachten der Bilder zu Assoziationen einzuladen. Vor dem Porträt des Ulmer Patriziers Eitel Besserer etwa beginnt das lustige Rätselraten: Was steckt drin in dem Duft, der aus den kleinen Plastikfläschchen der Betrachter strömt?

Noten von herben Gewürzen wie Nelken und Muskat, Kräuter wie Rosmarin und teure tierische Komponenten wie Moschus und Amber reizen die Nasen der Museumsbesucher. Wie das mit dem reichen Ulmer Ratsherren auf dem Porträt zusammenhängt, erklärt Kuratorin Leistenschneider. Im Zentrum der olfaktorischen Betrachtung steht ein Objekt, das bei der visuellen Betrachtung meist wenig Beachtung findet: eine kleine silberne Kugel, die am Rosenkranz Besserers hängt. In diesem sogenannten Bisamapfel trugen die Menschen der Frühen Neuzeit allerlei wohlige Gerüche mit sich. Der Bisamapfel war gleichsam ein Statusobjekt und eine medizinische Präventionsmaßnahme. Denn nach Ansicht der damaligen Gelehrten verbreiteten sich Krankheiten durch schlechte Gerüche. Der Bisamapfel sollte diese vertreiben. Die Führung bietet den Teilnehmern so auch einen Einblick in die Lebens- und Glaubenswelt der damaligen Ulmer Bevölkerung, der sonst verborgen geblieben wäre.
Verantwortlich für die Düfte sind drei Parfumeurinnen von IFF (International Flavors and Fragrances). Den Inhalt von Eitel Besserers Bisamapfel haben die Expertinnen nach einem Originalrezept aus dem 17. Jahrhundert gemischt. Schwieriger ist da ein Werk Daniel Spoerris. Der Schweizer Künstler entwickelte in den 1960er seine sogenannten Fallenbilder, in denen häufig die Reste einer Mahlzeit in Kunstharz sozusagen eingefroren werden. Essensreste, schaler Wein, ein alter Aschenbecher und ein kleiner Blumenstrauß finden sich auf dem Werk Spoerris wieder, das im Museum Ulm ausgestellt ist. Einen gewissen Ekel können sich die meisten Betrachter da nicht verkneifen.

Auch für die IFF-Expertinnen, die einen passenden Geruch dazu suchen sollten, war das Werk eine Herausforderung. Parfumeurin Rebecca Kirchmeier räumt ein, dass es schon ein bisschen Überwindung kostet. Etwa zwei bis drei Monate hätten sie an den Düften dazu gearbeitet. Zwei haben es in die Ausstellung geschafft, beide auf ihre Art scheußlich und zum Bild passend. Einmal treten kalter Zigarettenrauch und schaler Wein in den Vordergrund, einmal die fauligen Noten der verdorbenen Essensreste. Seine Wirkung verfehlt der unangenehme Duft nicht. Er verstärkt das Gefühl, das einen beim ersten Betrachten des Bildes beschleicht.
Museum Ulm soll Vorbild für andere Museen werden
Es ist ein durchaus spannender Versuch, den das Museum Ulm gemeinsam mit internationalen Expertinnen und Experten mit dieser Art von Duftführung unternimmt. Dass die Mitarbeiter von Odeuropa ausgerechnet auf das Museum Ulm als Kooperationspartner zugekommen sind, ist auch Museumsleiterin Stefanie Dathe zu verdanken, die in der Villa Rot bereits eine Duftausstellung veranstaltet hatte. Ulm soll, wenn das Konzept gut ankommt, auch eine Blaupause für andere Museen werden, um solche Führungen zu gestalten. Eine glückliche Fügung war nun auch, dass die Maskenpflicht pünktlich zum Ausstellungsbeginn offiziell aufgehoben wurde, wenn auch das Museum darum bittet, die Masken nur zum Riechen abzunehmen.
Termine: Die nächsten öffentlichen Führungen ohne Voranmeldung gibt es am 10. April um 11 und 15 Uhr, am 24. April um 15 Uhr, am 15. Mai um 11 Uhr, am 29. Mai um 15 Uhr. Weitere Termine unter museumulm.de. Die Führungen sind für Gruppen zudem frei buchbar.
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