
Nach 96 Jahren: Letzter Milchviehbetrieb in Klingsmoos macht dicht

Plus Fast 100 Jahre lang hat die Familie von Ludwig Rieß eine Milchviehhaltung in Klingsmoos betrieben. Nun sind die letzten Tiere verkauft. Warum der 60-Jährige beschlossen hat, aufzuhören.
Seit einigen Tagen gibt es keine frische Milch mehr auf dem Rieß-Hof, dem letzten von einst zahlreichen Milchviehbetrieben in Klingsmoos. Die letzten Kühe wurden zum Schlachten verkauft – nach 96 Jahren ununterbrochener Milchviehhaltung. So hat es Ludwig Rieß (60) in der Familiengeschichte recherchiert. Eigentlich wollten er und Ehefrau Roswitha (54) die 100 Jahre noch voll machen. „Aber was nützt es, wenn wir noch fünf Jahre Kühe haben und ich körperlich kaputt bin?“, erklärt er die Entscheidung für Kreuz und Knie – und gegen die Kühe. Schließlich muss er noch bis 2027 arbeiten, ehe der Ruhestand winkt.
Der gelernte Landwirt hat den Hof 1986 von seinen Eltern übernommen und bis 1992 im Vollerwerb geführt. Seitdem arbeitet er hauptberuflich als Polier und Baggerfahrer im Straßenbau. Um die Kühe kümmerte sich in erster Linie seine Frau, die aus einer Landwirtschaft in Winkelhausen stammt und Industrienäherin gelernt hat. „Einen Bauern heirate ich nie, so blöd wie meine Mama bin ich nicht“, pflegte sie als 17-Jährige noch zu sagen. Dann war sie im damaligen Trendlokal Octagon in Karlshuld mit einer Freundin und sah ihren Ludwig zum ersten Mal. 14 Tage später fuhr er für sie völlig überraschend in Winkelhausen auf den Hof und lud sie zum Tanzen ein. Am 16. Mai 1987 heirateten die beiden kirchlich und am 17. Mai lag ein neugeborenes Kälbchen im Stall.

Letzter Milchviehbetrieb in Klingsmoos hört auf
Ein gutes Omen, das sich im Mai 2014 wiederholte, als Tochter Anita (32) standesamtlich heiratete, wie Roswitha Rieß gerne erzählt. Vom Tag ihrer Hochzeit an war das Melken ihre Aufgabe, weil ihre Schwiegermutter mit der modernen Absaugmelkanlage nicht zurechtkam und der frischgebackene Ehemann froh war, die Arbeit abgeben zu können. „Daheim musste ich nie melken, auch Bulldog konnte ich nicht fahren“ erinnert sich die heute 54-jährige, „ich bin in den Stall rein, bekam alles gezeigt und hab einfach angefangen“. 16 Kühe und drei bis vier Nachzuchttiere standen damals im alten Anbindestall. Dazu gab es zwei Mastschweine und zehn bis 15 Hühner sowie Katzen auf dem Hof. Angebaut wurden Roggen, Mais und Kartoffeln, mehr als die Hälfte der bewirtschafteten Fläche war Wiese und wurde für die Kühe gemäht. Sechs Jahre später baute Ludwig Rieß, der nach Aussage seiner Frau „schon immer moderner eingestellt und auch einer der ersten war, der eine Rundballenpresse anschaffte“, einen Laufstall für 29 Kühe mit Doppeldreier-Melkstand. Daneben war Platz für sechs bis sieben Stück Jungvieh. Ein herber Rückschlag folgte im Jahr 2000, als eine Schlachtkuh BSE-positiv getestet worden war und alle Tiere im Stall gekeult werden mussten. Damals hätten sie beinahe die Milchviehhaltung aufgegeben. „Am schlimmsten war es, als das kleine, erst fünf Wochen alte Kalb, abgeholt wurde“, erinnert er sich. „Ich bin sechs Wochen lang in die Arbeit gegangen und im Landwirtschaftsamt wurden schon Wetten abgeschlossen, ob ich weiterarbeite oder doch bei den Kühen bleibe“, ergänzt sie.
Die externe Arbeit habe ihr schon gefallen, aber die Kinder waren noch klein. Alle miteinander seien es gewöhnt gewesen, dass die Mutter zu Hause war. „Und plötzlich war sie weg – für Kinder in der sechsten oder siebten Klasse ist es nicht gut, wenn die Regierung nicht da ist“, meint Ludwig Rieß schmunzelnd. Also riefen sie beim Zuchtverband an und bekamen Jungkühe über den Zuchtviehmarkt. Mehr als 17 oder 18 Kühe gleichzeitig wurden es von nun an nicht mehr, stattdessen legte die Familie bei den Tieren mehr Wert auf Leistung als auf Masse.
Der Blick auf die Familiengeschichte lässt das Ehepaar wehmütig werden. Sozusagen aus dem Nichts hatten Ludwig Rieß’ Großeltern Anna und Ludwig Rieß den Hof aufgebaut. Sie heirateten 1921, kurz vor ihrem 21. Geburtstag, wofür die Braut noch die Unterschrift ihrer Eltern brauchte – und sie bekam sie.

Milchbauer Ludwig Rieß aus Klingsmoos gibt seine Landwirtschaft auf
Sie betrieben eine Landwirtschaft in Ludwigsmoos. Ihr jüngerer Sohn Ludwig und seine Frau Anna, Ludwig Rieß’ Großeltern, begannen ihren gemeinsamen Lebensweg in Klingsmoos in Miete. Mit einem Torfeisen und einer Nähmaschine verdienten sie sich den Lebensunterhalt. Er handelte mit Torf, sie arbeitete als Störnäherin. Trotzdem gelang es ihnen, ein erstes Feld zu kaufen. Ihr Heiratsgut, einen Bauplatz, tauschten sie gegen den an jenes Feld angrenzenden Platz und bauten dort den Hof, wo er heute noch steht. Die ersten Tiere waren eine Ziege und eine Kuh. „Meine Großmutter musste die Kuh überlisten, denn die trank das Moorwasser anfangs nicht, sondern brüllte vor Durst“, erzählt Ludwig Rieß aus der Familiengeschichte.
Ludwig Rieß’ Vater Friedrich und Ehefrau Rosalia übernahmen den Hof 1953 und erbauten zunächst ein neues Wohnhaus, 1961 einen Anbindestall für zehn Milchkühe und fünf Nachzuchttiere. „Damals fragten sie meinen Vater in der Wirtschaft, ob er jetzt größenwahnsinnig geworden ist“, erinnert sich Ludwig Rieß lachend. Vergangene Woche waren es wieder nur noch zehn Kühe im Stall, die Anzahl wurde seit Jahresbeginn 2021 nach und nach abgebaut, Kühe, die gekalbt hatten, nicht mehr neu belegt und wenn die Milchleistung nachließ, zum Schlachter verkauft, die letzten zehn Tiere vergangene Woche. Sohn Matthias hat kein Interesse an der Milchviehhaltung, er wird weiter Ackerbau im Nebenerwerb betreiben, einige Hektar bewirtschaftet er bereits eigenständig. Ludwig Rieß hat nun mehr Zeit für sein Ehrenamt als Kirchenpfleger für St. Josef Klingsmoos, seine Frau für ihre Ehrenämter als Lektorin, Pfarrgemeinderätin, Dekanats- und Pastoralrätin. Und auch spontane Reisen sind nun möglich.
Immer mehr Landwirte nehmen von der Viehhaltung Abschied. Im Landkreis Neuburg-Schrobenhausen gab es im vergangenen Jahr laut Daten des Landwirtschaftsamtes Ingolstadt-Pfaffenhofen insgesamt 218 Betriebe mit Kühen. Allerdings wird dabei nicht zwischen Milch- und Mutter- oder Ammenkühen unterschieden. Insgesamt gibt es 8162 Kühe im Kreis, somit werden durchschnittlich 37 Kühe pro Betrieb gehalten. In Königsmoos waren es 2021 zehn Betriebe mit Kuhhaltung, nun also neun, davon laut dem Untermaxfelder BBV-Ortsobmann Karl Klink noch fünf Milchviehhalter. Zum Vergleich: Im Jahr 2007 hielten noch 36 Landwirte Kühe, im Landkreis waren es noch 612, aktuell nur noch 219 (Stand 2021).
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