
Rieser im Dritten Reich (6)
Flucht aus dem damaligen NS-Nördlingen nach Palästina

Plus Überlieferungen der jüdischen Nördlinger Familie Levite geben Einblicke in eine Flucht aus dem nationalsozialistischen Deutschland.
Eine Hadernsortieranstalt hat es in Nördlingen in der Möttingerlandstraße, D358, gegeben, welche heute die Augsburger Straße 40 ist. Seit 1910 war diese Sortieranstalt für Lumpen und alte Stoffe in den Händen der jüdischen Familie Levite – jedoch nur bis zum Beginn des "Dritten Reiches". Die Ausstellung „13 Jahre – 13 Dinge“ im Stadtmuseum Nördlingen zeigt 13 Jahre Nationalsozialismus mit passenden Biografien aus dem Ries auf. Wie berichtet, begleiten wir diese Ausstellung mit der Artikel-Serie „Rieser Biografien aus dem Dritten Reich“.
Darunter ist auch die Geschichte von Friedrich Levite, der 1888 in Mönchsroth geboren wurde. Mit Informationen von Dr. Hermann Keßler und Ralf Hofmann konnte Andrea Kugler diese Biografie aus der NS-Zeit nacherzählen.
Die Sortieranstalt für alte Stoffe wurde arisiert
Die Kaufmannswitwe Klothilde Levite, eine geborene Löwenstein, kam 1910 mit ihren beiden erwachsenen Söhnen Friedrich und Elkan, der sich später „Eugen“ nannte, nach Nördlingen, schreibt Kugler. Die Mutter starb bereits am 25. Juli 1934 in München, wurde aber dennoch in Nördlingen auf dem jüdischen Friedhof bestattet.
Der Sohn Friedrich Levite wurde ursprünglich als David Ben Nathanael Halevi geboren. Seit 1910 betrieb er zusammen mit seiner Mutter in Nördlingen die Sortieranstalt für „Hadern“, was Lumpen und alte Stoffe sind. Mit einem Bahnanschluss verschickte Friedrich Levite seine sortierten Hadern zur Papierverarbeitung nach Augsburg.
Die Repressalien gegen jüdische Gewerbetreibende im "Dritten Reich" bekam auch Familie Levite zu spüren. Denn im Einwohnerbuch von 1936 wurde die Familie zwar aufgelistet, im „Gewerbe- und Geschäftsnachweis“ ist unter der Rubrik „Hadernhandlung“ jedoch lediglich der „arische“ Betrieb von Heinrich und Guido Hubel genannt, schreibt Kugler.
Friedrich Levite war ein dekorierter Soldat im Ersten Weltkrieg
Friedrich Levite war im ersten Weltkrieg Soldat und 1918 mit einer Tapferkeitsmedaille ausgezeichnet worden. 1938 wurde er in das Konzentrationslager nach Dachau in „Schutzhaft“ gebracht. Daraus kam er jedoch aufgrund seiner Kriegsauszeichnung wieder frei.
Mit seiner Hausangestellten Selma Benedikt exilierte Friedrich Levite nach Tel Aviv in Palästina. Dort heiratete das Paar und bekam zwei Söhne: Samuel im Jahr 1940 und Harry Levite im Jahr 1941, berichtet Kugler.
Rückkehr nach Nördlingen nach dem Krieg
1951 kam die junge Familie aufgrund der gesundheitlichen Einschränkungen von Samuel Levite zurück nach Nördlingen. Dort erhielt er in Reimlingen lindernde Mittel. Nach Angaben von Andrea Kugler lebten die Levites als letzte jüdische Familie nach dem Zweiten Weltkrieg in Nördlingen – und das betont orthodox mit koscherem Essen und jüdischen Gebetsbüchern.
Im Alter von 63 Jahren starb Friedrich Levite. Das Ehepaar wurde auf dem jüdischen Friedhof in Nördlingen bestattet. Harry Levite kehrte daraufhin wieder nach Israel zurück. Sein schwerkranker Bruder Samuel wurde erst in einem Pflegeheim in Ditterswald untergebracht, später dann in Pappenheim. Dort starb er am 17. September 1986. Sein Begräbnis war die letzte Bestattung auf dem jüdischen Friedhof in Nördlingen, schreibt Andrea Kugler. Nach dem Tod der beiden Söhne wurde das Haus der Levites abgerissen.
Die aktuelle Ausstellung „13 Jahre – 13 Dinge“ ist im Nördlinger Stadtmuseum dienstags bis sonntags von 13.30 bis 16.30 Uhr zu sehen.
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