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Weltlinkshändertag: Aktivistin: "Linkshänder bekommen immer noch zu wenig Unterstützung!"

Weltlinkshändertag

Aktivistin: "Linkshänder bekommen immer noch zu wenig Unterstützung!"

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    Linkshänder-Schere, Linkshänder-Füller, Linkshänder-Computermaus: Produkte erleichtern deutlich den Alltag. Was fehlt Linkshändern eigentlich noch? Eine Aktivistin sagt: vieles.
    Linkshänder-Schere, Linkshänder-Füller, Linkshänder-Computermaus: Produkte erleichtern deutlich den Alltag. Was fehlt Linkshändern eigentlich noch? Eine Aktivistin sagt: vieles. Foto: Christina Sabrowsky, dpa

    Am Montag ist Weltlinkshändertag. Wie gleichberechtigt können Linkshänder mittlerweile den Alltag bestreiten? Umerzogen wird heute kaum mehr einer. Trotzdem liegt noch einiges im Argen - sagt zumindest Aktivistin Johanna Barbara Sattler.

    Frau Sattler, Sie haben 1985 Deutschlands erste Beratungsstelle für Linkshänder gegründet. Was hat sich seitdem getan?

    Johanna Barbara Sattler: Das Bewusstsein der Gesellschaft für Linkshänder hat deutlich zugenommen. Es gibt heute mehr Rücksicht und auch viele Produkte, die Linkshänder als Hilfsmittel im Alltag nutzen können. Doch wir sind noch nicht so weit, wie manche glauben. Das ist ja das Dilemma: Je mehr sich die Situation der Linkshänder verbessert, desto eher glaubt so mancher, man brauche gar nichts mehr zu unternehmen.

    Was fehlt Linkshändern denn noch?

    Sattler: Ich finde, Linkshänder bekommen immer noch zu wenig Unterstützung im Alltag! Das geht schon in Kindergärten und Grundschulen los – da wird kaum auf die Linkshändigkeit eingegangen. Die Kinder werden nicht so berücksichtigt, wie es notwendig wäre. Dabei sollten Erzieher und Lehrer darauf achten, dass gerade Linkshänder die richtige Schreibhaltung möglichst früh vorbereiten und  einüben. Sonst verwischen sie alles mit der Hand wieder oder eignen sich eine Hakenhaltung an, wie man sie etwa bei dem ehemaligen US-Präsident Barack Obama sieht. Außerdem sollte sich links von einem Linkshänder auch kein Rechtshänder hinsetzen. Das ist schlecht für beide, sie behindern sich nämlich beim Schreiben lernen.

    Weltlinkshändertag: Diese Probleme haben Linkshänder in ihrem Alltag

    Welche Probleme haben Linkshänder als Erwachsene in ihrem Alltag?

    Sattler: Ob am Arbeitsplatz, im Haushalt oder im Öffentlichen Nahverkehr: Es ist alles auf Rechtshänder ausgerichtet! Beim Parkscheinautomaten und am Fahrkartenverkauf etwa ist der Geldeinwurf rechts, auch Elektrogeräte wie Mikrowellen und Spülmaschinen lassen sich mit rechts besser bedienen. Linkshänder müssen mit ihrer dominanten Hand oft einmal über Kreuz greifen. Und fassen sie bei einem Wasserhahn mit zwei Griffen intuitiv zum linken, verbrennen sie sich beim Händewaschen, weil den Rechtshändern zuliebe das kalte Wasser mit rechts bedient wird.

    Sind das die Ärgernisse, die Linkshänder in Ihrer Telefonberatung ansprechen?

    Sattler: Viele Linkshänder haben sich mit den Herausforderungen längst arrangiert, sie passen sich an und nehmen es häufig selbst gar nicht mehr wahr, wie kompliziert ihr Alltag manchmal ist. Kein Linkshänder wird sagen: Ich schaffe das nicht. Alle kommen auf ihre Weise mit der Situation klar.

    Gewöhnen sich Linkshänder nicht an die Umstände, wenn sie es ein Leben lang nicht anders kennen?

    Links und rechts: Die lustigsten Fakten zum Weltlinkshändertag

    Linkshänder gibt es seit Menschengedenken. Archäologische Funde von Waffen und Werkzeugen belegen das. Und doch ist die Welt heute vor allem für Rechtshänder konstruiert, sie sind in der Überzahl.

    Im Sport sind Linkshänder oft gefürchtete Gegner - besonders in Zweikämpfen wie Tennis, Tischtennis, Fechten oder Boxen. Sie seien einfach schwerer einzuschätzen, meinen Fachleute.

    Mythologie und Religion haben stark zum historisch gesehen eher negativen Image der linken Seite beigetragen. Der christliche Segen wird mit der Rechten gespendet, der Teufel agiert mit der Linken.

    Die alten Römer hielten Linkshändigkeit für einen Makel und neigten dazu, linkshändige Sklaven als "beschädigte Ware" zurückzugeben. In einer Schrift wies der römische Jurist Ulpian allerdings eigens darauf hin, es handele sich dabei nicht um ein Gebrechen.

    Der griechische Philosoph Anaxagoras empfahl im 5. Jahrhundert vor Christus, den linken Hoden zum Zeugen eines Stammhalters mit einem Faden abzuschnüren, Denn auf der rechten Seite vermutete er den "männlichen" Samen.

    Umerziehen sollte man Linkshänder auf keinen Fall, lautet die einhellige Meinung heute. Sonst drohten seelische und neurologische Störungen. So führen manche das Stottern des britischen Königs Georg VI. darauf zurück, dass der Linkshänder als Kind umgeschult wurde.

    Weinbergschnecken tragen in der Regel ein rechtsdrehendes Gehäuse mit sich herum. Linksdrehende Gehäuse sind so selten, dass entsprechende Artgenossen auch Schneckenkönige genannt werden.

    Helmkakadus sind überzeugte Linkshänder, Schimpansen bevorzugen eher die rechte Seite. Wenn Gorillas nach ihrem Futter greifen, tun sie das mit beiden Pfoten.

    Immanuel Kant beschrieb, dass auch Pflanzen eine bestimmte Seite bevorzugen: "Aller Hopfen windet sich von seiner Linken gegen die Rechte um seine Stange; die Bohnen nehmen aber eine entgegengesetzte Wendung", schrieb der Philosoph 1768.

    Louis Pasteur fand 1848 bei Experimenten mit Weinsäure heraus, dass es so etwas wie links- und rechtshändige chemische Verbindungen gibt - in ihrem Aufbau gleichen die Moleküle Original und Spiegelbild.

    Die Erde dreht sich, wie die meisten Planeten unserer Galaxis, in östlicher Richtung um die eigene Achse - von einem über dem Nordpol liegenden Punkt im All betrachtet also gegen den Uhrzeigersinn. In dieselbe Richtung kreist sie übrigens auch um die Sonne.

    Naturvölkern ist die Unterscheidung von links und rechts mitunter gar nicht bekannt. So orientieren sich einige australische Ureinwohner allein an der Himmelsrichtung. Etwa: "Rück doch mal den Sessel ein Stück nach Süden!"

    Wendeltreppen in mittelalterlichen Burgen winden sich meist rechtsherum. Nicht ohne Grund: Mit dem Schwert in der Rechten hatten die Angreifer Nachteile, die von oben kommenden Verteidiger aber mehr Bewegungsfreiheit.

    In der französischen Nationalversammlung saßen seit der Revolution von 1789 die Progressiven vom Präsidenten aus gesehen links, die Konservativen rechts. Diese Regelung gilt in vielen Parlamenten noch heute - zum Beispiel im Bundestag.

    Pferde könnten ein Grund dafür gewesen sein, dass der Linksverkehr in früheren Jahrhunderten auf den Straßen überwog. Die meisten Reiter bevorzugen es wohl, den linken Fuß auf den Steigbügel zu setzen und dann das rechte Bein über den Pferderücken zu schwingen.

    Supermärkte präsentieren ihre Waren oft so, dass der Kunde einer Linkskurve folgt. Denn Studien belegen, dass Rechtsfüßer in der Mehrheit sind - und daher eher mit leichtem Linksdrall unterwegs. Auch Leichtathleten sprinten gegen den Uhrzeigersinn durchs Stadion.

    Den Linkshänder-Whopper präsentierte eine Schnellimbisskette in den USA 1998 als Aprilscherz. Um ihn für die 32 Millionen US-Linkshänder handlicher zu machen, sei der Hamburger um 180 Grad gedreht, warb man. Kein Witz: Die Nachfrage war enorm.

    Sattler: Genau das ist wieder das Dilemma: Die wenigsten Hindernisse für Linkshänder gehen über die Schmerzgrenze hinaus, vieles ist einfach nur nervig. Aber wenn in einer öffentlichen Bibliothek Computermäuse so kurz verkabelt sind, dass Linkshänder sie nicht mit links nutzen können, ist das eine Zumutung!

    Beratungsstellen setzen sich für Chancengleichheit für Linkshänder ein

    Hilft der Linkshändertag, auf solche Missstände aufmerksam zu machen?

    Sattler: Mit einem Tag der Offenen Tür nutzen wir als Beratungsstelle diesen Tag, um auf die Schwierigkeiten hinzuweisen. Die Aufmerksamkeit für Linkshänder ist am Internationalen Linkshändertag natürlich größer. Da muss es doch möglich sein, die Dinge des Alltags mittig zu positionieren, sodass ergonomische Chancengleichheit besteht. Kein Mensch darf wegen einer körperlichen Eigenschaft wie der Linkshändigkeit derart körperlich beeinträchtigt sein.

    Welche Ziele haben Sie konkret, damit sich die Situation der Linkshänder bessert?

    Sattler: In bayerischen Bildungs- und Erziehungsplänen muss die Händigkeitserziehung endlich verankert werden. Für eine richtige Schreibhaltung sollten Lehrer und Erzieher viel mehr Zeit investieren. Außerdem wäre es wünschenswert, einen Fonds einzurichten, aus dem Unternehmen gefördert werden, die Arbeitsmaterialien speziell für ihre Mitarbeiter kaufen, die Linkshänder sind. Denn auch am Arbeitsplatz sollen sie endlich zugeben dürfen, dass sie Linkshänder sind. Viele befürchten heute noch, dass sie deshalb diskriminiert und nicht eingestellt werden.

    Johanna Barbara Sattler ist die Gründerin von Deutschlands erster Beratungsstelle für Linkshänder. In ihrem Büro analysiert sie in unklaren Fällen, welche Hand bei Kindern die dominante ist und organisiert Rückschulungen für umerzogene Linkshänder. Außerdem setzt sich die Linkshänder-Aktivistin für mehr Gleichberechtigung ein und hat über ganz Deutschland verteilt ein Netzwerk für die Linkshänder-Beratung aufgebaut.

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