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Blutgrätsche an der Tastatur

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Blutgrätsche an der Tastatur

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    Ich kann Jonglieren, auf einem Bein stehend Zähne putzen und ohne Kameraassistenten rückwärts einparken. Lauter solche Sachen – weshalb ich mich bezüglich Koordinationsfähigkeit für durchschnittlich und passabel ausgestattet halte. Doch jetzt weiß ich es besser. Eine Stunde Computerspiel 4.0, Fußball, offenbart mir: Ich bin überfordert, heillos überfordert, wenn 17 Tasten gleichzeitig zu bedienen sind. Oder sind es 23? Ein Simultangewitter, in dem ich hilflos untergehe, während mein Gegenspieler, 17 Finger am Abzug, schon wieder 4:0 führt und die Kommentatorstimme raunt: „Eine einseitige Angelegenheit, diese Partie.“ Klar, du Idiot.

    Ich verwechsle ja auch vorwärts und rückwärts in der Hitze des Alles-gleichzeitig-Gefechts – und mein Torwart bolzt zum neunten Mal die Kugel hoch ins Seitenaus. Sanft drücken, dann geht der Pass nicht so weit. Oder war das der Schuss? Was passiert noch mal, wenn die Taste mit dem Dreiecksymbol gedrückt wird? Blutgrätsche? Schön wär’s! Da kommt schon wieder der Gegner, und mein Spieler, der aktive mit dem blauen Pfeil überm Kopf, irrt umher wie ein Flitzer – dabei macht er ja nur, was ich mit dem Joystick mache. Als Testperson für die Qualität und verblüffende Komplexität von Computerspielen, deren Realitätssättigung plattmacht vor Staunen, gelte ich als Idealbesetzung. Denn im Vorgespräch habe ich wahrheitsgemäß angegeben, dass Zeitlupen-Tennis mit Balken und pixeligem Pünktchenball meine letzte Spielerfahrung auf dem Fernsehschirm sind.

    Jahrzehnte her, man drehte an einem Knopf, das war alles. Hingegen der schwarze, tastenbestückte Knochen, den ich jetzt halte: Mehr Optionen als die Bundesliga Vereine hat. Nach dieser Lehrstunde wundere ich mich eigentlich nur über eines noch: dass man die Gelfrisuren der Spieler nicht per Tastenkombination ein wenig durcheinanderstrubbeln kann.

    So ziemlich alles andere geht. Du kannst auswechseln, passen, schießen, foulen, tricksen und rennen. Besser gesagt: Es gibt Tasten und Tastenbefehle dafür. Und die Kulisse: täuschend echt. Es gibt sogar Nebelwölkchen vor den verschwitzten Spielern. Die Simulation ist gespenstisch. Ronaldo gockelt wie in echt, und Pep Guardiola verhält sich wie Pep Guardiola. Ich darf sogar Kaiserslautern sein. Rote Teufel werden unter meinen Fingern aber zu toten Hosen.

    Fußball mit der Playstation ist wie Klavierspielen oder Schlagzeug: Du musst lernen, jede Hand autonom zu bewegen – und jeden Finger. Und dann das ganze noch geschmeidig koordinieren mit dem Geschehen auf dem Bildschirm. Schach mal Skat mal Informatik mal Einradfahren – und das mit Tempo bitte: Mehr braucht es nicht fürs Spielvergnügen. Wer nicht mit diesem Playstation-Knochen aufwächst und damit verwächst, der tut sich sehr schwer. Klar, sagt der Kollege: alles Übungssache. Es wird immer besser und besser … Mit anderen Worten: Wenn ich nur engagiert genug trainiere, übe und übe, dann gelingt selbst mir als Grobmotoriker einmal ein Spielzug, vielleicht sogar ein Schuss aufs Tor (Kreistaste! Oder das Ding hinten rechts?). So wie mir der erste chinesische Satz flüssig von den Lippen käme, würde ich nur endlich anfangen mit Lernen und die nächsten 17 Monate nichts anderes tun. Michael Schreiner

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