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Foto: Rita Franáa/Sopa Images via Zuma Wire, dpa
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In den Krankenhäusern Portugals herrscht Ausnahmezustand. Es gibt kaum noch Betten für Corona-Patienten.

Corona-Pandemie
24.01.2021

Drama in Kliniken: Portugal zahlt den Preis für laxe Corona-Regeln

Von Ralph Schulze

Plus Über Weihnachten gab es kaum Einschränkungen für Portugals Bürger. Jetzt ist das Land Europas Corona-Hotspot – mit dramatischen Szenen in den Krankenhäusern.

Die Leichenhalle des Krankenhauses Barreiro Montijo in Lissabon ist voll. So voll, dass nun vor der Klinik zwei Kühlcontainer aufgestellt wurden, um die vielen Corona-Toten bis zur Bestattung aufzubewahren. Immer mehr Covid-Patienten sterben in Portugal, weil es auf den Intensivstationen keine freien Betten mehr gibt. Man müsse inzwischen vielerorts die Regeln der Katastrophenmedizin – also die „Triage“ – anwenden, sagt Miguel Guimarães, Chef der Ärztekammer. Mit dramatischen Folgen: Wenn es für zwei Notfallpatienten nur ein Beatmungsgerät gibt, bekommt derjenige mit den besseren Überlebenschancen den Vorrang.

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Während der ersten Corona-Welle galt Portugal noch als Musterknabe

„Die Krankenhäuser befinden sich am Limit“, räumt Gesundheitsministerin Marta Temido ein. Vor vielen Kliniken stauen sich die Ambulanzen, die oft stundenlang warten müssen, bis sie ihre Corona-Patienten an die Notaufnahme übergeben können. Deswegen werden nun im ganzen Land Feldlazarette aufgebaut. Allein zwei wurden dieser Tage in der Hauptstadt Lissabon installiert: auf dem Unicampus und dem Trainingsareal des nationalen Fußballverbandes.

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Foto: Armando Franca/AP, dpa
Foto: Armando Franca/AP, dpa

Vor den portugiesischen Kliniken, hier in Lissabon, stauen sich die Krankenwagen, weil es kaum noch Betten für Corona-Patienten gibt.

Im Frühjahr, während der ersten Corona-Welle, war Portugal noch als Musterknabe gefeiert worden. Als Land, das dank einer disziplinierten Bevölkerung und vorausschauenden Regierung im Anti-Viren-Kampf offenbar alles richtig gemacht hatte. Doch womöglich hat sich die Nation zu sehr auf ihren Lorbeeren ausgeruht und darauf vertraut, dass sie auch diese neue Welle nur am Rande streifen würde. Das war ein Trugschluss: Portugal wird seit einigen Tagen von einem wahren Corona-Tsunami überrollt.

Der Inzidenzwert in Portugal liegt derzeit bei etwa 820

Einer, der das Land über Nacht zum schlimmsten Hotspot Europas und sogar der Welt machte. Die Ansteckungskurve geht steil nach oben. Nach Berechnungen der amerikanischen Johns Hopkins-Universität schoss die 7-Tage-Inzidenz auf etwa 820 nach oben. Das ist sieben Mal so viel wie etwa in Deutschland.

Die Situation sei „dramatisch“, bekennt der sozialistische Regierungschef António Costa. Auch weil die höchst ansteckende britische Virus-Variante als Infektionstreiber wirke. „Vergangene Woche hatte die britische Mutation einen Anteil von acht Prozent an allen Fällen. Jetzt sind es schon 20 Prozent. Und nach den Prognosen können es bald 60 Prozent sein“, sagt Costa.

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Foto: Francisco Seco/AP, dpa
Foto: Francisco Seco/AP, dpa

Antonio Costa, Ministerpräsident von Portugal, sagt: „Mit den heutigen Daten hätten wir nicht erlaubt, was wir damals erlaubt haben.“

Ausgerechnet inmitten dieser katastrophalen Lage fanden am Sonntag in Portugal Präsidentschaftswahlen statt. Die Mobilisierung von neun Millionen Stimmberechtigten sei ein Risiko, hatten Epidemiologen gewarnt. Doch eine Verschiebung der Wahl sei aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht möglich gewesen, erklärte die Regierung.

Sie hatte das Land nach langem Zögern Mitte Januar in den Lockdown geschickt. Gastronomie, Einzelhandel und Schulen sind geschlossen. Die Menschen dürfen nur aus „zwingend notwendigen“ Gründen vor die Tür. Neben dem Aufsuchen des Supermarktes und der Arbeitsstätte galt am Sonntag auch der Besuch des Stimmlokals als wichtiger Grund.

Corona-Regeln: Premierminister Costa räumt Fehler ein

Angesichts des neuen Corona-Dramas im Land gibt Premier Costa zu, dass es ein Fehler war, über Weihnachten und Silvester die Zügel locker zu lassen. „Mit den heutigen Daten hätten wir nicht erlaubt, was wir damals erlaubt haben.“ Familien- und Freundestreffen in Privaträumen waren über die Festtage praktisch ohne Limit möglich, Bars und Restaurants waren geöffnet.

Beim großen Nachbarn Spanien nahm die lockere Corona-Tour einen ähnlich verhängnisvollen Ausgang. Das Königreich folgt in der globalen Rangliste der Johns Hopkins-Universität auf Platz vier – hinter dem Kleinstaat Andorra und Israel. Die wöchentliche Inzidenz neuer Infektionen schnellte auf über 520 Fälle pro 100.000 Einwohner.

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Innerhalb von 24 Stunden registrierten die spanischen Gesundheitsbehörden zuletzt 43.000 neue Infektionen – die Zahlen verdreifachten sich seit Weihnachten. Auch dort scheint die britische Virus-Variante eine immer größere Rolle zu spielen. Ein Sprecher der Madrider Gesundheitsbehörden räumt ein, dass diese Mutation inzwischen für bis zu 33 Prozent aller Infektionsfälle verantwortlich sei.

Zugleich rächt sich in der Hauptstadtregion der laxe Umgang mit der Epidemie. In Madrid, einem der schlimmsten nationalen Hotspots, gab es in den letzten Monaten keine nennenswerten Beschränkungen im öffentlichen Leben. Bars, Restaurants und Einkaufsstraßen waren voll. Und auch jetzt sind Gastronomie und Einzelhandel noch bis 21 Uhr geöffnet.

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