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HIV negativ: Das gab es noch nie: Aidskranker geheilt

HIV negativ

Das gab es noch nie: Aidskranker geheilt

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    Gel gegen Aids erfolgreich
    Gel gegen Aids erfolgreich Foto: DPA

    Die Halle B im Messezentrum Wien ist so groß wie die Ankunftshalle eines Flughafens. Zahllose Menschen aus aller Welt wuseln hier mit roten Kongresstaschen in der Hand durcheinander, unterhalten sich in verschiedenen Sprachen oder lesen Texte und betrachten Grafiken, die auf Hunderten von DIN-A0-Plakaten abgebildet sind. Alle haben ein gemeinsames Thema: den Kampf der Forscher gegen Aids.

    Vor den Postern stehen Frauen und Männer, um den mehr als 20 000 Menschen, die zum Welt-Aids-Kongress nach Wien gekommen sind, über ihre Forschung Auskunft zu geben.

    Ganz am Ende der Halle wartet ein Mann Anfang Vierzig im rot-weiß gestreiften Polo-Shirt zunächst etwas einsam vor einem solchen Plakat. Er heißt Gero Hütter und ist Arzt, sogar ein bekannter Arzt. Vor zweieinhalb Jahren ist es ihm gelungen, mittels einer Stammzellentransplantation HIV, das Aids-Virus, bei einem Patienten auszuschalten. Eine Sensation.

    "Berliner Arzt heilt Aids-Kranken" titelte die Bild. Mit dem spektakulären Erfolg im Rücken hofften Hütter und seine Kollegen an der Berliner Charité, nun groß in die Forschung einsteigen zu können. "Einige FDP-Politiker sind zu meinem Chef gekommen und haben versprochen, uns Forschungsgelder zu beschaffen", erzählt er. Doch daraus wurde nichts. "Keiner ist auf mich zugekommen und hat gesagt: Gute Idee, wie können wir Ihnen helfen?" Die Mediziner mussten weiter "mit Bordmitteln" arbeiten.

    So blieb es bei einem Einzelfall. Und dieser Fall ging so: Im Frühsommer 2006 kam ein Mann in die Charité, um sich wegen sehr schlechter Blutwerte behandeln zu lassen. Der Amerikaner lebte schon seit mehr als 20 Jahren in Europa. Er hatte nie Drogen gespritzt, aber gelegentlich ohne Kondom sexuelle Kontakte zu Männern gehabt. So muss er sich mit HIV angesteckt haben und war sich dessen seit 1995 auch bewusst.

    2006 erkrankte er, inzwischen 44 Jahre alt, zusätzlich an akuter myeloischer Leukämie (AML). In solchen Fällen ist für viele Patienten eine Knochenmarktransplantation die einzige Rettung. Denn im Knochenmark liegen die Stammzellen des Immunsystems. Sie bilden die Grundlagen der Körperabwehr, die durch HIV außer Kraft gesetzt wird. Da der US-Patient eine Stammzellen-Kombination aufwies, die relativ häufig vorkommt, fand Doktor Hütter enorm viele, nämlich 232 mögliche Knochenmarkspender in der Kartei. Das erhöhte die Chance, eine Spende zu finden, die nicht nur gegen den Blutkrebs, sondern auch gegen HIV half. Hütter wusste seit den späten neunziger Jahren, dass es Menschen gibt, deren Erbgut sie vor Aids schützt.

    Der Grund dafür liegt in der Art, wie das HI-Virus die Menschen befällt. Der Erreger koppelt sich an zwei Eiweiße auf der Oberfläche von Immunzellen, nämlich an das CD4- und das CCR5-Protein. Nur wenn er mit beiden Kontakt hat, kann er in die Zelle eindringen. Bei einem Defekt des CCR5-Proteins kann das HI-Virus nicht andocken und die betreffenden Menschen sind gegen Aids immun, das Virus wird unschädlich gemacht. Hütter machte sich daran, einen Spender zu suchen, der diesen Defekt aufwies. Und er fand ihn - bei Nummer 61. So konnte er versuchen, durch die Knochenmarkspende, mit der die Leukämie bekämpft wurde, gleichzeitig das HI-Virus auszuschalten.

    Sein amerikanischer Patient hatte eine lange Behandlungs- und Leidenszeit vor sich. Vor der ersten Knochenmarktransplantation lagen Chemotherapie sowie eine Ganzkörperbestrahlung, um möglichst viele seiner eigenen Zellen im Knochenmark zu zerstören. Außerdem war die Transplantation erst beim zweiten Versuch erfolgreich. "Die Strapaze zweier Transplantationen kann wirklich nur ein junger Mensch aushalten", erzählt Hütter den vielen Menschen, die sich vor seinem Plakat drängeln und ihm zu seinem Erfolg gratulieren wollen.

    Nach und nach wurden alle eigenen Zellen im Körper des Patienten ersetzt. Dann war das "Wunder" da: Das HI-Virus war in seinem Körper nicht mehr nachzuweisen. "Das ist der Traum eines jeden Virologen, dass wirklich die letzte HIV-Zelle weg ist", sagt Hütter.

    Und doch bleiben Zweifel. Der Arzt kann erst auf zweieinhalb Jahre zurückblicken, in denen sein Patient keine Medikamente mehr gegen den tückischen Erreger schluckt. Es gebe keine letzte Sicherheit, sagt er - und seine Zuhörer nicken zustimmend. Das Schicksal des Patienten geht ihnen nahe.

    Die Amerikaner unter ihnen sind begeistert, als Hütter erzählt, der Patient wolle wieder in die USA zurückkehren. Allerdings leide der Mann doch erheblich unter den Folgen der Chemotherapien. Seine Motorik ist gestört und sein Kurzzeitgedächtnis beeinträchtigt. "Normal" nennt Hütter das, bei dem, was sein Patient durchgemacht hat. "Für mich ist das größere Wunder, dass er jetzt leukämiefrei ist. Alle anderen Patienten mit so einem Verlauf sind heute tot."

    Trotzdem hoffen viele Aids-Patienten, dass das, was einmal gelungen ist, wiederholt werden kann. Doch die Transplantation von fremdem Knochenmark ist nur in Zusammenhang mit einer Krebserkrankung sinnvoll und die Suche nach passenden Spendern nur sehr selten erfolgreich. Hütter erwartet, dass durch seinen Erfolg mehr Geld in die Genforschung und die Gentherapie fließt. Er berichtet von Studien, die sich mit der gentechnischen Manipulation der eigenen Stammzellen befassen, die die Transplantation vereinfacht. "In den USA gibt es zwei große Nabelschnurblutbanken, die alle auf CCR5 testen", sagt der Mediziner. "Die gehen den umgekehrten Weg und suchen Patienten für die Spenden." In Deutschland allerdings seien diese Stammzellen nicht wirklich akzeptiert. Außerdem werde die Notwendigkeit, "dass HIV ausgeschaltet wird", nicht so hoch bewertet. "Seitdem Aids als behandelbar gilt, beschäftigt sich kaum noch jemand mit der Heilung", beklagt er. Es habe ihn fast erstaunt, dass er 2009 einen Preis einer Aids-Initiative aus San Francisco bekommen hat, die die Hoffnung auf Heilung nicht aufgeben will.

    Seit 2008 wurden an der Berliner Charité acht weitere HIV-positive Leukämiekranke betreut. Doch der Erfolg wiederholte sich nicht. Derzeit gibt es in Deutschland nach Angaben des Berliner Robert-Koch-Instituts rund 67 000 HIV-Infizierte. Im vergangenen Jahr hat es etwa 3000 Neuansteckungen gegeben. Die Zahl ist seit etwa drei Jahren stabil, und in der Tat gilt Aids heute in den Augen vieler als chronische Krankheit, weil die Lebenserwartung der Patienten gestiegen ist.

    Der Krebs- und Blutforscher will sich jedoch mit dieser Sicht nicht abfinden. "Wir können nur auf zehn Jahre zurückblicken und wissen nicht, wie sich die Lebenserwartung entwickelt", sagt er. Deshalb werde er weiter auch nach Heilungsmöglichkeiten für Aids suchen.

    Hütter lehrt heute an der Universität Heidelberg. Er ist in der Tumorforschung engagiert und außerdem in Mannheim für die Stammzellspenderdatei des Roten Kreuzes zuständig. "Dort bin ich an der Quelle", sagt er. Dort kann er sein Ziel weiterverfolgen, hartnäckig nach dem richtigen Spender zu suchen und so Patienten zu retten. Mariele Schulze Berndt

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