Nach Schätzungen des UN-Kinderhilfswerks Unicef leiden inzwischen bis zu 3,2 Millionen Menschen unter den heftigsten Überflutungen in der Region seit 80 Jahren. Darunter sind bis zu 1,4 Millionen Kinder. Auch die Zahl der Toten wird wahrscheinlich noch steigen: Einige Helfer befürchten, dass sie von jetzt etwa 1500 auf bis zu 3000 klettern könnte. Derweil breitete sich die Flut am Dienstag weiter bis in andere Landesteile aus. Der Fluss Indus trug die Wassermassen des Monsunregens in die südöstliche Provinz Sindh. Dort wollten die Behörden etliche Bewohner in Sicherheit bringen.
Noch sind keine Fälle von Cholera bestätigt. Eine Sprecherin der Weltgesundheitsorganisation WHO sagte am Dienstag in Genf, das Ausmaß der Durchfall-Erkrankungen sei in den überschwemmten Gebieten aber bereits "ernst genug". In einem der Bezirke seien 80 Prozent aller Trinkwasserbrunnen zerstört. Bis zum Montagabend seien landesweit medizinische Hilfspakete verteilt worden, die für die Behandlung von 200 000 Patienten über einen Monat ausreichen. "Mehrere Tonnen Medikamente müssen ersetzt werden", hieß es mit Blick auf die vielerorts überfluteten Depots.
Auch Dirk Kamm, Leiter des DRK-Büros in Islamabad, warnte am Dienstag, dass sich Seuchen wie Cholera schnell ausbreiten könnten. In den Fluten schwimmen Tierkadaver. "Die Zahl der registrierten Fälle von Durchfall und ähnlichen Erkrankungen liegt bei rund 100 000."
Das Rote Kreuz und der Rote Halbmond haben an einigen Orten mobile Medizinstationen eingerichtet. Viele Helfer sind seit vergangenem Mittwoch, als die Flutkatastrophe begann, im Dauereinsatz. Ein zusätzliches Problem ist, dass nach Angaben der Hilfsorganisation Misereor Menschen vom Land in bereits überforderte Städte wie Peshawar gehen - wo die Seuchengefahr umso höher sei.
Für die Helfer ist es schwierig, zu den Betroffenen durchzukommen. "Oft führen nur Geröllstraßen in manche Orte. Die sind wegen der Flut jetzt unpassierbar geworden", sagte Kamm. "Statt vier oder fünf brauchen unsere Transporte nun oft neun bis zwölf Stunden." Wenn sie überhaupt ihr Ziel erreichten. Die Überschwemmungen haben nach Angaben der Behörden etwa 100 Brücken und viele Straßen mitgerissen.
In Regionen wie dem Swat-Tal im Nordwesten des Landes beschweren sich Pakistaner über unzureichende Unterstützung der Behörden. "Das kann ich verstehen, aber auch sie tun ihr Bestes", sagte Kamm. Ein großes Problem ist für die Helfer auch die geringe Zahl von Helikoptern, ohne die manche Orte gar nicht zu erreichen sind. "Einige westliche Nationen könnten bestimmt helfen, wenn sie temporär einige Ressourcen aus Afghanistan hierher verlegen."
"Rund 30 000 Häuser sind beschädigt oder zerstört, Zehntausende leben unter freiem Himmel", sagte Latifur Rehman, ein Sprecher der regionalen Katastrophenhilfe. Das Swat-Tal mit dem gleichnamigen Fluss trifft es besonders hart. Die Sprecherin des UN- Flüchtlingshilfswerks, Melissa Fleming, wies auf die dramatische Lage von Vertriebenen im Grenzgebiet zu Afghanistan hin: "Diese Menschen werden doppelt bestraft."
Berichte, wonach Taliban-Anhänger das Flut-Chaos zur Anstiftung von Unruhen ausnutzen, konnte sie nicht bestätigen. Im Nachbarland Afghanistan haben die Wassermassen ebenfalls mehr als 4000 Häuser zerstört und 80 Todesopfer gefordert. Acht Provinzen seien betroffen, teilte Unicef mit.
Während die Helfer gegen Seuchen und Hunger kämpfen, könnte es bald wieder regnen. Sowohl für den Nordwesten und die Grenzregion zu Afghanistan als auch für die zentrale Provinz Punjab sind neue Regenfälle vorhergesagt. Ein Helfer sagte, im Swat-Tal habe es am Dienstagmorgen schon wieder zu regnen begonnen. Eine Flutwelle habe drei Mitarbeiter einer Klinik fortgerissen.