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Gesundheit: 40 Jahre Botox: Die Geschichte eines wundersamen Giftes

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40 Jahre Botox: Die Geschichte eines wundersamen Giftes

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    Botox ist stets umstritten geblieben – trotzdem wird es längst nicht mehr nur dafür verwendet, Falten zu glätten.
    Botox ist stets umstritten geblieben – trotzdem wird es längst nicht mehr nur dafür verwendet, Falten zu glätten. Foto: Jens Schierenbeck, dpa

    Einige Frauen schätzen die Wirkung, aber auch Männer lassen es sich immer öfter gegen die Zornes- und andere Falten spritzen: Botox, präzise gesagt Botulinumtoxin. Ein Bakteriengift, das für manche Gutes tat, aber auch manch entstelltes Gesicht hinterließ. Botox ist umstritten – trotzdem lassen sich längst nicht mehr nur Hollywoodstars die Anti-Falten-Spritze setzen.

    Vor ziemlich genau 40 Jahren hat der amerikanische Augenarzt Alan Scott aus San Francisco das Mittel sozusagen mehr oder minder entdeckt. Denn es ging ihm gar nicht ums Faltenglätten. Der Mediziner versuchte, mit dem Nervengift schielende Augen zu korrigieren. Seine Theorie war bestechend: Eine winzige Dosis Nervengift könnte den Muskel lähmen, der das schielende Auge nach innen zieht.

    40 Jahre Botulinumtoxin: Eine Wunderwaffe bei vielen Leiden

    Ein Biochemiker, der gerade Botulinumtoxin für militärische Zwecke entwickelt hatte, schickte Scott eine Probe. Und der war damit prompt erfolgreich. Ende der 80er Jahre wurde „Oculinum“, wie der Mediziner sein Mittel nannte, von den US-Behörden als Medikament gegen Schielen und Lidzucken offiziell zugelassen. Scott hat 1991 die Rechte für angeblich 4,5 Millionen Dollar an das kalifornische Unternehmen Allergan abgetreten. Ein neues Kapitel in der Schönheitsmedizin begann. Heute würde er eine Milliarde Dollar pro Jahr mit dem Mittel verdienen, meinte Scott Jahre später. Botox hatte da längst seinen Siegeszug um die Welt angetreten.

    Inzwischen macht das Nervengift aber auch anderweitig medizinische Karriere: Botulinumtoxin gilt als eine Art neue Wunderwaffe – gleich bei verschiedenen Leiden, von dauerhaften Muskelverkrampfungen bis zur chronischen Migräne. Immer mehr Ärzte entdecken dieses breite Wirkspektrum und nutzen es auch.

    Zum Beispiel die Universitätsklinik in Dresden. Dort hat man eine Sprechstunde für die außergewöhnliche Behandlung neurologisch bedingter Muskelkrämpfe eingerichtet. Der Hintergrund ist simpel: „Botulinumtoxin kann mehr als nur Falten glätten“, sagte der Leiter der Spezialsprechstunde innerhalb der Abteilung Neurologie, Dr. Robert Untucht, unserer Zeitung. Eine Behandlung mit dem Nervengift sei für die betroffenen Patienten deutlich wirkungsvoller und nebenwirkungsärmer als eine medikamentöse Behandlung. „Sie ermöglicht neben dem Lindern von Schmerzen auch eine einfachere Pflege.“ Und, je nach Schweregrad, sei sogar eine vollständige Wiederherstellung körperlicher Funktionen möglich.

    Botox in der Schönheitsindustrie: Einen kleinen Schönheitsfehler hat das Ganze

    Dies ermöglicht nach Auskunft des Mediziners beispielsweise Patienten, die an Dystonie erkrankt sind, also an schmerzhaften, neurologisch bedingten Muskelverkrampfungen, wieder ein halbwegs normales Leben. Die Erkrankung geht auf eine motorische Koordinationssteuerung im Gehirn zurück.

    Einen kleinen Schönheitsfehler hat das Ganze freilich. Da die Wirkung nur etwa drei Monate anhält, brauchen die Patienten „kontinuierliche Injektionen in einem engen Zeitfenster“. Rund 230 Betroffene werden derzeit in Dresden behandelt. Die Nachfrage ist groß.

    In jüngster Zeit wurden zudem weitere Anwendungsmöglichkeiten entdeckt. So gibt es eine internationale Untersuchung auf Basis von 1400 Patienten, die die Wirksamkeit von Botox gegen chronische Migräne belegt. Botox-Spritzen verringerten innerhalb von vier Wochen die Zahl der Kopfschmerztage deutlich. Entdeckt wurde das Ganze wieder mehr oder weniger durch einen Zufall: Viele Frauen, die sich ihre Falten mit Botox wegspritzen ließen und chronische Migräne hatten, stellten plötzlich eine spürbare Besserung der Kopfschmerzen fest.

    40 Jahre Botox: Es wird auch gegen Tinnitus und Zähneknirschen eingesetzt

    Auch gegen Tinnitus und Zähneknirschen wird Botox eingesetzt. „Die Botox-Injektion kann das Zähneknirschen für etwa drei bis sechs Monate wesentlich verringern“, heißt es in einem Newsletter von Medical One, einer Klinikgruppe, die sich auf Schönheitsoperationen und plastische Chirurgie spezialisiert hat. Botox werde nach einigen Monaten vollständig abgebaut. Durch die Behandlungen würden Muskeldicke und damit die Muskelkraft langsam reduziert.

    Relativ neu ist die Behandlung des Tinnitus mit Botox. Das Nervengift soll hierbei die Übertragung der Nervenimpulse verringern. Sie gilt jedoch in medizinischen Fachkreisen als umstritten. Auch bei übermäßigem Schwitzen oder erhöhter Speichelproduktion bei Parkinson-Patienten wird das Nervengift angewendet. Ebenso bei der Therapie einer Speiseröhrenengstellung, bei Krämpfen der Speiseröhre und sogar psychischen Erkrankungen wie Depressionen.

    Heute scheint der Ruf von Botox aufgewertet

    Bei weiteren Anwendungsgebieten ist Botox in der Erprobung, zum Beispiel bei orthopädischen oder dermatologischen Problemen, bei denen durch eine Entspannung der Muskeln eine Linderung der Beschwerden erreicht werden kann. Auch gegen Depressionen und Blasenschwäche ist Botox schon verwendet worden.

    Das breite Spektrum der Einsatzmöglichkeiten wertet damit den Ruf des Nervengifts deutlich auf. Die Zeiten, als man bei „Botoxbehandlung“ an entstellte Gesichter von Schauspielern dachte, scheinen endgültig vorbei.

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