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Freiburg: Gruppenvergewaltigung von Freiburg: Wie die Täter auf das Urteil reagieren

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Gruppenvergewaltigung von Freiburg: Wie die Täter auf das Urteil reagieren

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    Die Minuten vor der Urteilsverkündung: Eine Verteidigerin spricht mit einem der Angeklagten.
    Die Minuten vor der Urteilsverkündung: Eine Verteidigerin spricht mit einem der Angeklagten. Foto: Philipp von Ditfurth, dpa

    Gerechtigkeit ist ein schwieriges Wort im Zusammenhang mit diesem Prozess. Denn das Opfer, eine junge Frau, wird mit den Folgen der Tat leben müssen. 43 Verhandlungstage, elf Angeklagte, fünf Sachverständige und etwa 50 Zeugen prägten das Mammutverfahren, das vor mehr als einem Jahr in Freiburg begonnen hat. An diesem Donnerstag ist der Gerichtssaal – wegen Corona im geräumigeren Paulussaal einer evangelischen Kirchengemeinde – gut besucht, das Medieninteresse groß. Es steht ja auch das Urteil an. Der vorläufige Schlussstrich unter ein Verbrechen, das die ganze Nation bewegt hat.

    Die Tat: eine Gruppenvergewaltigung im Oktober 2018. Sie trat eine Debatte über Kriminalität unter Flüchtlingen los. Zehn der elf Angeklagten haben Migrationshintergrund. Das Opfer war eine 18-Jährige, die unter Drogen und Alkohol stand, als sie von mehreren Männern sexuell missbraucht wurde – wenige Meter vom Eingang eines Technoclubs im Freiburger Industriegebiet entfernt.

    Dies jedenfalls sieht das Gericht mit seinem Urteil als erwiesen an. Der Hauptangeklagte Majd H. wird wegen Vergewaltigung zu fünf Jahren und sechs Monaten Gefängnis verurteilt. Der junge Mann, der als Flüchtling nach Deutschland gekommen war, nimmt das Urteil scheinbar regungslos hin. Sein Anwalt Jörg Ritzel wird später in die Kameras der Fernsehteams sagen, dass er davon ausgehe, sein Mandant werde in Revision gehen.

    Denn Majd H. war es, der nach Auffassung des Gerichts die damals 18-Jährige als Erster vergewaltigte und anschließend Freunde und Bekannte auf die wehrlose Frau hinwies, die er im Gebüsch zurückgelassen hatte. Das Gericht sieht es jedoch nicht als erwiesen an, dass er in der Diskothek K.-o.-Tropfen in das Getränk, das er ihr reichte, gemischt hatte. Die Vermutung hatte den Prozess begleitet, zumal Gutachter sie für wahrscheinlich hielten aufgrund der physischen Reaktionen und der starken Erinnerungslücken des Opfers. Der Stoff löst sich schnell im Körper auf und ist deshalb schwer nachweisbar.

    Noch einmal kommen alle Details der Tat auf den Tisch

    Majd H. hatte behauptet, die junge Frau habe Sex mit ihm gewollt und ihn sogar stimulieren müssen. Das Gericht hält dies für eine reine „Schutzbehauptung, die zudem nicht sehr originell ist“, wie der Vorsitzende Richter Stefan Bürgelin feststellt. Doch „Majd H. ist der Haupttäter, er hat das Ganze ins Rollen gebracht“. Deshalb habe er auch die höchste Strafe in diesem Verfahren bekommen.

    Zudem belegten die Aussagen des Opfers, die zu diesem Zeitpunkt noch teilweise bei Sinnen war, den Tathergang. Demnach war sie mit Majd H. nach draußen gegangen, um ein Tattoo an seinem Oberschenkel anzuschauen. Ein Gefahrenbewusstsein habe sie durch die bereits einsetzende Wirkung der Ecstasy-Tablette nicht mehr gehabt, sie hatte sich „naiv“ und „beschwingt“ gefühlt, zitiert der Richter aus der Aussage der Frau.

    Noch einmal gibt Bürgelin den Tathergang wieder: Das Opfer sei dem Mann ins Gebüsch gefolgt und wollte nach dem Betrachten des Tattoos wieder in den Club zurückkehren, als er sie herumriss, zu Boden stieß und ihre Strumpfhose und ihren Slip herunterriss, bevor er sich an ihr verging.

    Während der Vergewaltigung habe die junge Frau die Kontrolle über ihren Körper verloren, nicht mehr schreien können, aber durch Laute deutlich gemacht, dass sie nicht wolle, was Majd H. tat. Das Gericht betont, dass die Schilderung der Zeugin glaubhaft sei. Der junge Mann ließ sie nach dem Verbrechen im Gebüsch zurück und informierte Freunde und Bekannte, dass da „eine im Gebüsch liegt, die gefickt werden will“. Alaa A., der dem Opfer Ecstasy-Pillen verkaufte und sich als Zweiter an ihr vergangen haben soll, wird wegen Vergewaltigung und Drogenhandel mit vier Jahren und drei Monaten Haft bestraft. Er hätte sehen müssen, dass die junge Frau bereits in einem hilflosen und desolaten Zustand gewesen sei, befindet das Gericht.

    In dieser Straße wurde die junge Frau von der Männergruppe sexuell missbraucht.
    In dieser Straße wurde die junge Frau von der Männergruppe sexuell missbraucht. Foto: Patrick Seeger, dpa

    Der Deutsche Timo P. bekommt vier Jahre, ebenfalls wegen Vergewaltigung. Als der junge Mann das Urteil hört, wirkt er geschockt. Er hatte behauptet, die junge Frau hätte ihn dazu überredet, Sex mit ihr zu haben. Das Gericht stellt „erstaunliche Parallelen“ zur Einlassung des Hauptangeklagten fest; Richter Bürgelin hielt sie auch in diesem Fall für wenig glaubwürdig.

    Timo P. schüttelt dazu nur den Kopf, immer wieder huscht ihm ein Lächeln übers Gesicht – was wie eine verunsicherte Geste eines jungen Mannes wirkt, der in jener Nacht etwas getan hat, das er offensichtlich bis zum Urteil für legitim hielt, obwohl er mit seiner Freundin im Club war und zugab, sie betrogen zu haben.

    Ein Mann betrog mit der Tat seine Freundin. Jetzt sind die beiden verlobt

    Das tue ihm auch leid, hatte er in dem Prozess ausgesagt. Mit seiner Freundin ist er inzwischen verlobt. Richter Bürgelin rät ihm, eine Bewährung anzustreben nach zwei Dritteln der Haft: „Aber das wird nicht einfach mit Ihrer Vorgeschichte.“ Timo P. ist vorbestraft.

    Auch die übrigen Angeklagten müssen größtenteils in Haft. So bekommen Jekar D. und Mustafa I. jeweils drei Jahre und sechs Monate wegen des Tatbestands der Vergewaltigung. Ahmed A. wird wegen Vergewaltigung und Drogenhandels zu einer Jugendstrafe von drei Jahren verurteilt. Mohamed H. bekommt ebenfalls eine Jugendstrafe von drei Jahren.

    Yahia H. wird wegen sexuellen Übergriffs zu einer Jugendstrafe von einem Jahr und zwei Monaten verurteilt. Die Staatsanwaltschaft hatte zwei Jahre und zehn Monate gefordert, weil sie eine Vergewaltigung als erwiesen sah. Doch dem jungen Mann konnte nicht eindeutig nachgewiesen werden, dass er die junge Frau tatsächlich vergewaltigt hatte, obwohl Spermaspuren gefunden wurden. Sie könnten auch durch äußerliche sexuelle Handlungen entstanden sein, befindet das Gericht.

    Kosai A. muss wegen unterlassener Hilfeleistung vier Monate verbüßen. Wegen der langen Untersuchungshaft gilt die Strafe aber bereits als abgegolten. Für die deutlich längere Untersuchungshaft, die für die meisten der Angeklagten Ende Oktober 2018 begann, wird der junge Mann entschädigt.

    Aiham A. bekommt wegen unterlassener Hilfeleistung ebenfalls sechs Monate, diese sind zur Bewährung ausgesetzt. Muhammad M. wird wegen unerlaubten Erwerbs von Drogen und Urteilen aus 2018 und 2019 zu einer Jugendstrafe von elf Monaten verurteilt. Der Vorwurf der unterlassenen Hilfeleistung wurde fallen gelassen. Er war es, der der jungen Frau schließlich aus dem Gebüsch geholfen hatte, ihr beim Anziehen half und sie zurück in die Stadt begleitete und ihr dann Obdach anbot bis zum nächsten Morgen.

    Die meisten Angeklagten verziehen bei der Urteilsverkündigung kaum eine Miene. Doch sie hören alle zu – anders als an vielen der Verhandlungstage, als einige der jungen Männer demonstrativ den Kopf auf die Arme legten und ihr Desinteresse bekundeten. Alaa A., der im Prozess mehrmals wegen seiner Wutausbrüche auffiel, bleibt diesmal auffällig ruhig.

    Fast alle hatten bekundet, der Sex mit der jungen Frau sei einvernehmlich gewesen. Dabei bestätigten mehrere Zeugen, dass die Frau erkennbar in einem hilflosen Zustand war. „Sie sei voll drauf gewesen“, sagte einer der Zeugen. Er sei schockiert gewesen über den Zustand. Doch auch er griff nicht ein.

    Möglicherweise wird es weitere Verfahren geben

    Nun wird es möglicherweise weitere Verfahren geben – wegen unterlassener Hilfeleistung. Die Aussage war beispielhaft für diesen Prozess, in dem so viele etwas gesehen oder gehört haben, aber nichts unternahmen.

    Mehrere Zeugen in dem Prozess hatten zudem bestätigt, dass die junge Frau am Boden gelegen und leise Schreie von sich gegeben hatte. „Nicht so schwach wie ein Stöhnen, aber auch nicht so laut wie ein richtiger Schrei“, sagte ein Zeuge aus.

    Vor Gericht fehlte ihnen dann die Erinnerung; immer wieder fiel der Hinweis, dass die Zeugen nichts aussagen müssten, womit sie sich selbst belasten könnten. Selbst die Türsteher am Eingang der Diskothek, etwa fünf Meter vom Tatort entfernt, wollen nichts mitbekommen haben. Aber dass die junge Frau gewollt haben könnte, was mit ihr geschah, behaupteten selbst einige Zeugen.

    Andere bestätigten den Eindruck des Gerichts. Sie sei in einem Zustand gewesen, in dem sie nicht einmal hätte aufstehen können. Ein ganz anderer Eindruck als der Satz, der sich wie ein roter Faden durch den Prozess zog: „Da ist ein Mädchen, das gefickt werden will.“

    Ein Satz, hinter dem die Frage stand, ob die junge Frau Sex mit den Männern gewollt haben könnte, war maßgeblich in der Verhandlung und auch für das Urteil, das das Gericht nun gefällt hat.

    Bürgelin will sich ein Schlusswort nach diesem Prozess, der zu den anspruchsvollsten seiner Karriere gehörte, nicht nehmen lassen: „Es war unendlich schwer, weil nicht alle Verfahrensbeteiligten an den Tisch zu bekommen waren.“ So zog sich der Prozess über ein Jahr hin.

    Ein Jahr, in dem nicht nur der Richter selbst von einer der Verteidigerinnen für befangen gehalten wurde und in dem zum Ende das maßgebliche Gutachten von Thorsten Passie in Zweifel gezogen wurde, das die Wehrunfähigkeit und Willensbildungsunfähigkeit des Opfers bestätigte. Mehrere Verteidiger forderten gar ein neues Gutachten und legten eine Studie vor, die belegen sollte, dass Ecstasy entgegen der Expertise des Gutachters eine erregende Wirkung hat.

    Das Opfer war nicht mehr vernehmungsfähig

    Für das junge Opfer, das inzwischen an einer posttraumatischen Störung leidet und nicht mehr vernehmungsfähig war, endet mit diesem Tag aber nicht einmal die Ungewissheit. Denn das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, Verteidiger oder Staatsanwaltschaft können noch Revision einlegen.

    Die Angeklagten, die der Vergewaltigung schuldig gesprochen wurden, müssen die Auslagen der jungen Frau tragen. Ob sie das können, ist fraglich. Die meisten der Männer, bis auf Timo P. Flüchtlinge, waren vor der Tat nicht berufstätig, auch durch ihren Aufenthaltsstatus bedingt. Kleinere Vorstrafen sind in vielen der Lebensläufe zu finden, bei manchen Angeklagten stehen noch weitere Verfahren aus. „Drogen, Alkohol ... Sie müssen umkehren, sonst sehe ich schwarz für ihre Zeit hier in Deutschland. Sonst werden sie einen Großteil davon in Haft verbringen“, mahnt Bürgelin.

    Den Haupttäter Majd. H. scheint das nicht zu berühren. Er verlässt den Gerichtssaal mit einem Schulterzucken. Dagegen reagiert Hanna Palm, die Timo P. verteidigt hat, auf Nachfrage emotional. „Ihr von der Presse seid mit schuld, dass so hohe Haftstrafen verhängt wurden“, beklagt sie, dreht sich um und geht. Ob sie in Revision gehen will, bleibt offen.

    Staatsanwalt Rainer Schmid zeigt sich dagegen erleichtert. „Es ist nicht nachvollziehbar, wie man je davon ausgehen konnte, dass eine junge Frau Sex mit mehreren Männern in einem Gebüsch zwischen Dreck und Müll gewollt haben soll.“ Der Fall war auch für ihn „absolut ungewöhnlich“, sagt er, allein wegen der Vielzahl der Beschuldigten. Auch deshalb wird es wohl der bislang teuerste Gerichtsprozess für Freiburg. Das aber ist für Schmid zweitrangig. Wichtiger sei, dass endlich ein Urteil gefallen ist.

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