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Interview: Fehlender Anstand in der Politik: "Angst macht aggressiv"

Interview

Fehlender Anstand in der Politik: "Angst macht aggressiv"

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    Deutsche Einheit? Bei rechten Kundgebungen, wie hier in Köln, zeigt sich eine Spaltung in Beleidigungen – von beiden Seiten.
    Deutsche Einheit? Bei rechten Kundgebungen, wie hier in Köln, zeigt sich eine Spaltung in Beleidigungen – von beiden Seiten. Foto: Caroline Seidel, dpa

    Herr Hacke, in Ihrem neuen Buch schreiben Sie „Über den Anstand in schwierigen Zeiten“ . Gab es schon einmal bessere Zeiten?

    Axel Hacke: Worum es mir geht: Unsere Art des bisherigen Zusammenlebens ist tatsächlich durch Populisten aller Art bedroht. Aber warum haben diese Leute solchen Erfolg? Weil es viele Menschen gibt, die sich von uns nicht angemessen wahrgenommen fühlen, die glauben, der politischen Elite seien Flüchtlinge wichtiger als ihr eigenes schwieriges Leben, die sich von anderen moralisch bevormundet fühlen, die Angst haben, ihr Leben, in der Form, in der sie es kennen und auch haben wollen, nicht mehr führen zu können. Solche Gefühle muss man ernst nehmen, die kann man nicht einfach übergehen. Und dieses Wahrnehmen anderer, das fehlt in vielen Fällen. Menschen brauchen Aufmerksamkeit, und wenn sie die in ihrer Gesellschaft nicht bekommen, wenden sie sich denen zu, die ihnen diese Aufmerksamkeit verschaffen. Deswegen reden wir ja jetzt so viel über die AfD: weil deren Wähler auf sich aufmerksam machen wollten.

    Nach der Bundestagswahl sind viele Bürger entsetzt, welche Hetzer und Pöbler ins Parlament einziehen werden. Wo bleibt der Anstand, wird der Ton der nächsten Jahre rauer?

    Hacke: Ich hoffe nicht. Es ist doch schon schlimm genug. Man darf sich jedenfalls auf deren Ton in keinem Fall einlassen. Vielleicht versuchen sie auch, seriös zu sein, was ändert das? Die politische Richtung ist schlimm genug.

    Warum gefällt es immerhin jedem achten Deutschen, dass Menschen „entsorgt“ werden sollen?

    Hacke: Jeder achte Deutsche? Ach so, Sie meinen die knapp 13 Prozent der AfD. Ich bezweifle, dass auch alle AfD-Wähler solche Sprüche von Herrn Gauland mögen. Sehr viele haben die AfD ausschließlich aus Protest vor allem gegen Union und SPD gewählt, nicht, weil sie alles toll finden, was die reden.

    "Angst macht aggressiv"

    Schon Franz Josef Strauß war stolz, ein Mann der klaren Aussprache zu sein. Gehört Runterputzen zur Politik?

    Unser Interviewpartner Axel Hacke.
    Unser Interviewpartner Axel Hacke. Foto: Arno Burgi, dpa (Archiv)

    Hacke: Zwischen „klarer Aussprache“ und permanenten Beleidigungen, persönlichen Verletzungen und argumentationsfreiem Geschrei und Gepfeife, wie die AfD es auf allen Merkel-Kundgebungen inszenierte, ist ja ein Unterschied. Strauß hat auch Grenzen überschritten, die man nicht überschreiten sollte, er hat zum Beispiel von „Ratten und Schmeißfliegen“ gesprochen. An so was ist man bei der AfD oder auch im Internet ja heute schon gewöhnt und diese Gewöhnung ist auf Dauer das Schlimme. Politische Auseinandersetzungen sollen heftig und deutlich sein. Aber es gibt so was wie einen grundlegenden Respekt vor anderen, und den sollte man haben.

    Warum verlieren viele Menschen in den „sozialen Netzwerken“ jegliche Hemmung, andere fertigzumachen oder ihnen sogar den Tod zu wünschen?

    Hacke: Erstens: Sie haben dort kein persönliches Gegenüber. Sie tröten etwas in den weiten Raum des Internets hinaus, und das oft auch noch anonym. Die Reaktionen bekommen sie nicht unbedingt zu spüren. Das enthemmt. Zweitens: So etwas macht Schule, es wird salonfähig. Wenn selbst der amerikanische Präsident Sportler, die ihm nicht passen, „Hurensöhne“ nennt, wie soll man dann Kindern erklären, was Respekt vor anderen bedeutet? Drittens: Wir leben in einer Zeit revolutionärer Veränderungen unseres Lebens: Globalisierung, permanenter Stress im Wirtschaftsleben, vollkommen neue Kommunikationsformen. Das ruft bei vielen Menschen Angst hervor. Und Angst macht aggressiv.

    Sind wir dabei, die Empathie in unserer Gesellschaft zu verlieren und in feindliche Lager zu zerfallen?

    Hacke: Es geht weniger um Lagerbildung als darum, dass viele nur noch mit dem eigenen Leben und dem eigenen Fortkommen zu tun haben und zu wenig damit, in welcher Form wir mit anderen zusammenleben wollen. Wir sind zu viel mit dem Ich beschäftigt und zu wenig mit dem Wir.

    Axel Hacke - kurz vorgestellt

    Axel Hacke wird 1956 in Braunschweig geboren, schreibt seit 1981 für die Süddeutsche Zeitung und lebt in München.

    Bekannt wird der Kolumnist mit Büchern wie „Der kleine Erziehungsberater“, „Der weiße Neger Wumbaba“, „Tage, die ich mit Gott verbrachte“. Sie werden in etliche Sprachen übersetzt.

    Sein aktuelles Buch heißt: "Über den Anstand in schwierigen Zeiten und die Frage, wie wir miteinander umgehen". Es erscheint im Kunstmann-Verlag.

    Wie könnte sich unser Zusammenleben wieder freundlicher gestalten?

    Hacke: Also, wenn es um Freundlichkeit geht: Da kann wirklich jeder bei sich selbst anfangen. Es hat keinen Sinn, immer mit dem Finger auf andere zu zeigen, man muss erst einmal an sich selbst arbeiten. So schwer ist Freundlichkeit nicht.

    "Anständigkeit schließt doch den Konflikt nicht aus"

    Manchmal ist der Konflikt unvermeidlich, weil er dem Finden der besten Lösung dient. Welche Rolle spielt Anstand in der Auseinandersetzung?

    Hacke: Anständigsein schließt doch den Konflikt nicht aus! Man kann heftig und trotzdem respektvoll streiten. Und es geht gerade darum, das nicht zu verlernen.

    Ihr Buch besteht vor allem aus Gesprächen zweier Freunde. Ist Anstand etwas, das gar nicht feststeht, sondern ausgehandelt werden muss?

    Hacke: Ganz genau. Hier geht es nicht um Gesetze, es geht gerade um den Bereich, den wir unter uns selbst regeln müssen.

    Unsere Eltern ermahnten: Sei anständig, bohr nicht in der Nase, kipple nicht auf dem Stuhl! Klingt altmodisch …

    Hacke: Setz dich anständig hin, benimm dich anständig! Ich kenne das aus meiner Kindheit, etwas verstaubt alles. Man sollte sich an Regeln halten, die nicht weiter hinterfragt wurden. Aber mir geht es um etwas anderes: um den Anstand als eine grundsätzliche Solidarität mit anderen Menschen, um Interesse, Zugewandtheit, Wohlwollen, Anerkennung, Rücksicht, Neugier.

    Gute Manieren sind sicherlich auch nicht verkehrt, um ein anständiger Mensch zu sein?

    Hacke: Nein, Manieren haben ja auch viel mit Rücksicht und Respekt zu tun, davon halte ich sehr viel. Aber das ist nicht der Gegenstand meines Buches, darüber haben andere schon genug geschrieben.

    Axel Hacke liest am 5. Oktober um 19.30 Uhr im Parktheater Augsburg-Göggingen (Tel. 0821/ 9062222, www.parktheater.de). Und er kommt unter anderem am 17. Januar ins Ulmer Roxy und tags darauf in die Buchhandlung Dannheimer in Kempten.

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