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Interview: Rock-Legende Udo Lindenberg: "Saufen nach der Mengenlehre ist vorbei"

Interview

Rock-Legende Udo Lindenberg: "Saufen nach der Mengenlehre ist vorbei"

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    Ein Original, inzwischen 73, wohnhaft im Hotel Atlantik in Hamburg: Udo Lindenberg, dessen Karriere vor über 50 Jahren als Schlagzeuger der City Preachers begann.
    Ein Original, inzwischen 73, wohnhaft im Hotel Atlantik in Hamburg: Udo Lindenberg, dessen Karriere vor über 50 Jahren als Schlagzeuger der City Preachers begann. Foto: Christian Charisius, dpa

    Sie sind bekannt für Ihre großen Pläne und Visionen, mit denen Sie die deutsche Popkultur umgekrempelt haben. Warum hat es eigentlich so lange gedauert, bis Sie Ihr Leben ins Kino brachten?

    Udo Lindenberg: Weil meine Spürnase jetzt erst so richtig gejuckt hat. Das ist wie bei gutem Whiskey. Der braucht Zeit, dann knallt er am besten.

    Schmeckt Ihnen dieser Whiskey jetzt?

    Lindenberg: Ich wurde nicht enttäuscht. Ganz im Gegenteil. Es hat mich ganz tief berührt, wie meine Kamikaze-Story hier so kess und voller Liebe auf die Leinwand draufgezaubert wurde. Ich habe öfter mal geheult. Das sind süß-saure Memorys. Bittersweet, wo’s nicht reinregnet und nicht zieht. Der Weg vom Gully bis in die Präsidentensuite: so geilo. Ein westfälisch-amerikanischer Traum – so ’n Flash würde ich jedem wünschen. Aber das gibt’s wohl nur einmal. Ich bin immer noch dankbar und fühl mich so ’n bisschen wie auf ’nem Trip.

    Und diesen großen Traum hatten Sie immer?

    Lindenberg: Klar, ich war da im Doppelkornfeld in Gronau gelandet, und ich habe sehr schnell festgestellt, dass ich sehr viel weitergehen musste. Wie es der Film eben erzählt. Ich habe zwar erst mal auf Nummer sicher einen sogenannten soliden Beruf erlernt – Kellner eben, mit dem ich auch weltweit auf Schiffstour gehen konnte. Als Steward. Aber eigentlich wollte ich musikalisch groß herauskommen. Weltweit. Und zwar als Trommler.

    Wie kam das?

    Lindenberg: Ich hatte schon in der Schule gemerkt, dass mir der Rhythmus, dass jeder mitmuss, schwer im Blut liegt und so bin ich schon sehr früh in Bands eingestiegen. So bin ich nach der Realschule weg, studieren musste ich nicht für das, was ich wollte. Einen Plan B gab es nicht. Ich habe es mit Hermann Hesse gehalten: „Folge keinen Lehren, Folge keinen Lehrern. Folge nur dir selbst.“

    Von Hesse stammt auch das Zitat: „Der Vogel kämpft sich aus dem Ei. Wer geboren werden will, muss eine Welt zerstören.“ Wie war das Verhältnis zu Ihren Eltern, die Sie in die Provinz von Gronau gesetzt hatten?

    Lindenberg: Ich hab zwar von ihnen keine Gebrauchsanweisung für mein Leben bekommen, aber sie haben mich mit 15 losziehen lassen – und ich habe ihnen diese Mixtur zu verdanken, die mich prägt, den Homo Panicus. Der zeichnet sich aus durch feinste Sensibilität gepaart mit großer Freude am Verrücktsein und reichlich über den Rand schreiben und ordentlich Streiche spielen und die Welt auf den Kopf stellen. Und das verbunden mit genauem Hingucken und Bereitschaft zu sehr hoher Toleranz. Lass dem anderen bitte auch seine schönen Verrücktheiten. Deshalb ist der Film auch ein tolles Geschenk an die beiden, an Hermine und Gustav. Sie sind heute noch bei mir, genauso wie meine verstorbenen Geschwister Erich und Ecki. Wenn ich große Dinger mache, dann sind sie alle dabei, dann geben sie mir volle Power, da bin ich nicht alleine.

    Wie sehr haben Sie sich eigentlich gegenüber Ihren jungen Jahren verändert?

    Lindenberg: Sagen wir so: Die Automatikanteile sind geblieben – mit Einspritzpumpe.

    Was heißt das?

    Lindenberg: Den ganzen Spielautomat in meinem Kopf – die Erlebnisfähigkeit, das ist wie so ’ne Seelenrutschbahn zu sehen. Und eben der Homo Panicus. Was mich vom kleinen Udo vielleicht ein bisschen unterscheidet – der war ’ne Ecke schüchterner als ich heute. Aber Schüchternheit ist letztlich im Rock-’n’-Roll-Gewerbe eher ’n Zacken unpraktisch.

    Schauspieler Jan Bülow (l) und Udo Lindenberg bei der Premiere in Hamburg.
    Schauspieler Jan Bülow (l) und Udo Lindenberg bei der Premiere in Hamburg. Foto: Christian Charisius, dpa

    Der Film zeigt ja auch sehr schmerzhafte und peinliche Erfahrungen, die Sie in diesem Gewerbe machten. Gab es etwas, was Sie nicht auf der Leinwand sehen wollten?

    Lindenberg: Oooch, ich bin ja ein Lockervogel. Ein richtiger Paniker muss die Oberwelt und die Unterwelt kennen – die Hölle, die Abstürze und dann den Raketenturbolift, wenn’s wieder nach oben geht. Ich bin so ’n Phönix aus der Flasche, das kann jeder wissen. Mein Leben ist wie ein big Zauberbuch mit sieben Blausiegeln.

    Apropos „Flasche“. Alkohol und Drogen sind aber für Sie seit Ihrer Entgiftungskur seit mehreren Jahren tabu?

    Lindenberg: Richtig. Ich nehme jetzt nur noch gezielte Sachen zu mir, das Saufen nach der Mengenlehre ist vorbei. Nur noch Substanzen, die für mich bekömmlich und cool sind. Und ich mache Sport. Für meine Panikfamilie will ich noch lange an Bord bleiben.

    Zu Ihrem Leben gehört auch Ihr politisches Engagement. Im November erhielten Sie den International Music Award für „Courage“. Was kann ein Film über den jungen Udo Lindenberg in dieser Richtung bewirken?

    Lindenberg: Der Film zeigt sehr deutlich, wie aus den Trümmern des letzten Weltkriegs ein völlig neues Deutschland hervorgegangen ist – einschließlich eines krass-guten Grundgesetzes. Das ist ein Geschenk. Da haben schlaue Frauen und Männer, noch voll mit dem Schock der Nazi-Katastrophe in den Knochen, eine Wertewelt entworfen, einen Leitfaden für eine weltoffene, tolerante, bunte Republik Deutschland. Und die ist dann nach und nach immer weiter verbessert worden.

    Was zeichnet unsere Republik in Ihren Worten aus?

    Lindenberg: Menschenrechte, Religionsfreiheit, jeder nach seiner Fasson, aber keiner drückt dem anderen seinen Streifen auf. Religion sollte Privatsache sein und kein politisches Programm. Im Himmel ist für viele Götter Platz. Leute, die in der Vergangenheit ihre Zukunft suchen, brauchen wir in unserem geilen, modernen Deutschland nicht – seien es ewig gestrige Nazis mit Rassismus und Nationalgedröhn oder Menschen mit einem komplett anderen Gesellschaftsbild, also zurück ins Mittelalter, keine Gleichberechtigung der Frau, Homophobie. Bei uns zählt das freie Individuum am meisten.

    Momentan geht aber ein Rechtsruck durchs Land. Wird der anhalten?

    Lindenberg: Ich glaube, das geht vorbei. Hängt aber auch davon ab, wie die Politiker von den etablierten Parteien Politik machen. Die müssen mit den Leuten sprechen. Man kann nicht einfach sagen: „Ihr seid ein dusseliges Pack, mit dem man nicht mehr redet.“ – Nein, man muss sagen: „Das und das ist Sache.“ Aber wenn die das nicht schaffen, dann kriegen die Leute eine Panikattacke.

    Welche Botschaften sollen die Politiker den Menschen vermitteln?

    Man muss zum Beispiel klarmachen: Mit unserem Asylrecht haben wir eine Verantwortung, Leuten in Not zu helfen, aber da sind eben auch Fehler passiert, auch totale Überforderung der Behörden. Wir brauchen ’ne Kanzlerin, die den irritierten und verängstigten Menschen das vernünftig erklärt, zum Beispiel in einer Rede an die Nation. Wir zahlen den Politikern ja schließlich kein Schweigegeld. Demokratie lebt vom Dialog zwischen Bundestag und Straße.

    Sie scheinen indes noch andere Perspektiven zu haben. Auf Ihrer Jacke ist ein Sticker der Nasa befestigt.

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    Udo Lindenberg hat die Andrea Doria wiederbelebt, einen Sonderzug nach Pankow gefordert und er ließ die Mauer in Berlin bröckeln. Jetzt wird er 70. Ein Leben in Bildern.

    Lindenberg: Ich habe auch noch einen von der Esa, den hat mir mein Freund, der Astronaut Alexander Gerst, gegeben. Ich spiele in der Tat mit dem Gedanken, zurück zu den Sternen zu gehen – meiner eigentlichen Heimat.

    Wollen Sie allein durchs All reisen oder in Gesellschaft?

    Lindenberg: Ich werde schon ein paar Figuren mitnehmen. Ich wüsste auch schon wen – und natürlich das ganze Panikorchester. Ansonsten kann so ’n Flug erschreckend einsam sein über weite Strecken – über die paar 30 Jahre, die man bis zum nächsten Planeten fliegt. Noch haben wir ja nicht den Panik-Beamer-Treibstoff als Antrieb. Wenn das Raumschiff als Arche dienen soll, muss man es gut besetzen.

    Bis dahin kann es aber noch ein bisschen dauern …

    Lindenberg: Ja, leider, so weit ist die Technik noch nicht. Wir brauchen jetzt ein paar Erfinder in Deutschland. Mit der Digitalisierung haben wir nichts hingekriegt, mit den Autos hängen sie auch tierisch hinterher. Eine peinliche Nummer.

    Was wäre eine Lösung?

    Wie gesagt, sie sollten das Militär einstellen und das alles umschmelzen, die Raketen und den ganzen Scheiß. Für die friedliche Erforschung des Weltraums. Um die Aliens zu besuchen und weiterzukommen, anstatt auf der Erde dieses Verbrechen zu begehen. Jeden Tag Aufrüstung ist ein Verbrechen. Da gehen Billionen an Knete herein, und in anderen Teilen der Welt sterben die Menschen. Jeder, der nichts dagegen unternimmt, ist Teil einer stummen Armee, die das mitträgt. Ich muss da nur an die Karrenbauer mit ihrem Nachrüsten und Aufrüsten denken. Oder deutsche Soldaten im Kriegseinsatz, wie immer die das nun nennen. Das ist ein Trend, den ich absolut daneben finde. Ich erinnere mich an die 80er, da haben wir viel von Abrüstung geredet, und dann haben die das auch gemacht. Und jetzt ist alles ganz andersrum. Jetzt ist nur noch jeder bewaffnet bis hoch an die Zähne. Aber das Wort „Abrüstung“ habe ich schon lange nicht mehr gehört.

    Und wen braucht unser Land, um diesen Trend zu stoppen?

    Lindenberg: Wir brauchen die Spinner. Die Spinner von heute sind eben die Erfinder von morgen. Mach dein Ding, zieh es durch. Das ist riskant und auch gefährlich und auch schwierig, dann packst du deinen Mut unter deinen Hut und rennst den großen Träumen hinterher. Bis du sie eingeholt und zur Realität gemacht hast. Dazu will ich die Leute ermuntern.

    Was war das Mutigste, was Sie jemals getan haben?

    Lindenberg: Vielleicht, als ich zur Feier von 25 Jahren Mauerfall an so ’ner kleinen Seilvorrichtung ohne anschnallen übers Brandenburger Tor geflogen bin. Ich wusste ja nicht mal, ob ich schwindelfrei bin.

    Aber in Ihren Konzerten machen Sie diese Flugshow weiterhin. Wie halten Sie das durch?

    Lindenberg: Ja, ich weiß, du musst schon schön verrückt sein, um dich auf so etwas einzulassen. Das ist echt ’ne Nervenshow und ’n Konditionstest. Die hieven einen da auf 80 Meter hoch. Da bist du dann sehr allein. Aber ich merke die Liebe der ganzen Fans, sehe, wie sie die Panik feiern, und ich spüre ihre wahnsinnige Energie. Das trägt mich durch die ganze Show.

    Sie fliegen durch die Luft und denken in großen Dimensionen – bis in entfernteste Ecken des Weltalls. Was hilft Ihnen eigentlich, nicht abzuheben?

    Lindenberg: Ich hab ja so einen Straßen-Udo, einen Edel-Proll als Automatik bei mir eingebaut. Der achtet schön auf Bodenhaftung. Außerdem verbringe ich den allergrößten Teil meines Alltags auf der Straße: Ich esse beim Imbiss im Hauptbahnhof und hänge ständig mit der charmanten Basis in den Eckkneipen und Hotelbars zusammen. Als VEB-Sänger bleibe ich bei den Street-Sympathisanten. Und so bleibt man ’ne treue Rock-’n’-Roll-Straßenratte.

    Zur Person: Udo Lindenberg, 73, ist Kult – und einer der erfolgreichsten deutschen Popmusiker. Am 16. Januar läuft ein Film in den Kinos über seine frühen Jahre an: „Mach Dein Ding!“

    Lesen auch das Interview mit Luisa Neubauer: "Wenn alle Länder sich verhalten wie Deutschland: Gute Nacht!"

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