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Interview: Warum der Tiramisù-Erfinder sein Restaurant schließen muss

Interview

Warum der Tiramisù-Erfinder sein Restaurant schließen muss

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    Das Tiramisù machte Carlo Campedor berühmt - aber nicht reich.
    Das Tiramisù machte Carlo Campedor berühmt - aber nicht reich. Foto:  Hilke Segbers, dpa

    Treviso Carlo Campedor hat vor wenigen Tagen sein Restaurant geschlossen. So etwas kommt vor. Doch beim Traditionslokal „Beccherie“ in

    Signor Campedor, warum mussten Sie Ihr Lokal schließen?

    Campedor: Die Personalkosten waren zu hoch. Und anstatt bis zum Untergang zu warten, habe ich lieber meinen Namen in Ehren gehalten und rechtzeitig zugemacht. Ich habe alle Rechnungen und alle Löhne bezahlt. So habe ich wenigstens eine gute Erinnerung an alles.

    Welche Erinnerungen haben Sie?

    Campedor: Natürlich denke ich an das Tiramisù, das hier bei uns im Jahr 1969 erfunden wurde. Und daran, dass meine Familie seit drei Generationen das Lokal führte. Mein Großvater öffnete am ersten September 1939, dem Tag, an dem der Zweite Weltkrieg begann.

    Was ist seither passiert?

    Campedor: Mein Vater übernahm, in den 90er Jahren kam ich an die Reihe. Seit 2011 ging es angesichts der schlechten wirtschaftlichen Lage in Italien auch bei uns bergab. Zu hohe Personal- und Sachkosten. Ich konnte Stellen, die frei wurden, nicht mehr neu besetzen. Der allgemeine Sparzwang hat auch uns dahingerafft. Aber ich muss gestehen, dass auch ich Fehler gemacht habe.

    Und zwar?

    Campedor: Ich habe mich nicht an die neuen Moden in der Gastronomie anpassen wollen. Dummerweise bin ich unserer Tradition treu geblieben, mit traditionellen Gerichten aus Treviso wie Pasta mit Bohnen, Perlhuhnbraten oder bollito, eine Art Suppenfleisch. Die Kundschaft wurde weniger. Vielleicht hätte ich lieber die moderne Küche der Kochgurus aus dem Fernsehen imitieren sollen…

    Missbrauch des Rezepts

    Dass Italiens berühmteste Nachspeise bei Ihnen erfunden wurde, konnte das Lokal nicht retten?

    Campedor: Leider nicht. Das Tiramisù wird weiterhin in der ganzen Welt gemacht, auch wenn unser Rezept oft missbraucht wird. Für mich handelt es sich um Verbrechen, wenn Zutaten wie Sahne, Ricotta-Käse oder Erdbeeren in ein Tiramisù gegeben werden.

    Welche Zutaten werden für das Original verwendet?

    Campedor: Ausschließlich Löffelbiskuits, eine Creme aus Eigelb, Mascarpone-Käse und Zucker, Kaffee und Kakao. Aber nicht Nesquik oder so etwas, sondern bitterer Kakao. Seit 1969 bis zum vergangenen Samstag haben wir es mit diesen Zutaten gemacht.

    Wie wurde das Tiramisù erfunden?

    Campedor: Es handelt sich um eine Fortentwicklung der Tradition. Bei uns im Veneto hat man früher aus Eigelb, Zucker und Keksen eine süße Creme gemacht. Vor allem für Kinder und die Alten. Der Großvater sagte: „Mach mir was, was mich hochzieht!“ – also in Schwung bringt. Ti-ra-me-sù, zieh mich hoch, sagen wir hier. Meine Mutter und unser damaliger Konditor Roberto Linguanotto hatten die Idee, alle diese genannten Zutaten zu einer optisch ansprechenden Speise weiterzuentwickeln.

    Es heißt, Linguanotto sei vorher als sogenannter Gastarbeiter in Deutschland tätig gewesen. Hat das Tiramisù etwa auch teutonische Wurzeln?

    Campedor: Nein, garantiert nicht. Ihr macht zwar viele exzellente Süßspeisen da oben, aber das Tiramisù stammt garantiert aus dem italienischen Treviso.

    Bereuen Sie etwas in Ihrer langen Karriere als Gastwirt?

    Campedor: Eigentlich nicht. Nur, dass ich mir die Marke Tiramisù nicht gesichert habe. Da hatte ich nicht das richtige Näschen. Sonst wäre ich heute in einer anderen ökonomischen Situation und müsste nicht zumachen. Schließlich ist „Tiramisù“ nach „Pizza“ das italienische Wort, das in der ganzen Welt am häufigsten benutzt wird.

    Bedeutet die Schließung des Lokals das Ende des wahren Tiramisù?

    Campedor: Nein, zum Glück nicht. Ich habe einen jungen, sehr guten Gastwirt aus Treviso gefunden, der das Lokal übernehmen wird. Und damit ist auch gesichert: Das echte Tiramisù aus Treviso wird nicht sterben.

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