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Hass im Netz: Interview mit Dunja Hayali: Sie will nicht das gute Gewissen der Nation sein

Hass im Netz

Interview mit Dunja Hayali: Sie will nicht das gute Gewissen der Nation sein

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    Dunja Hayali ist in der Öffentlichkeit präsent – im „ZDF-Morgenmagazin“, im Talkmagazin „dunja hayali“, in „das aktuelle sportstudio“, auf Facebook, bei Vorträgen, Diskussionsrunden – oder als Buchautorin.
    Dunja Hayali ist in der Öffentlichkeit präsent – im „ZDF-Morgenmagazin“, im Talkmagazin „dunja hayali“, in „das aktuelle sportstudio“, auf Facebook, bei Vorträgen, Diskussionsrunden – oder als Buchautorin. Foto: Britta Pedersen, dpa (Archiv)

    Frau Hayali, in einem Interview mit der „Bild“ haben Sie kürzlich gesagt, Sie würden täglich vier Stunden investieren in den Kampf gegen Hass im Internet. Warum tun Sie sich das an?

    Dunja Hayali: Diese vier Stunden am Tag sind nur ein Durchschnittswert. In Hochphasen sind es manchmal auch sechs oder sieben Stunden, je nachdem, was ich für Kommentare auf Facebook verfasse. Es gibt aber auch Tage wie heute, da gucke ich nur mal zwischen Tür und Angel auf mein Handy.

    Sie müssten das nicht machen. Warum tun Sie es trotzdem?

    Hayali: Weil die sozialen Medien keine virtuelle Welt mehr sind. Was dort passiert, passiert auch in unserer Realität. Ich bin nun mal ein Mensch, der eine Haltung hat und sich gerne einmischt.

    Ertragen Sie denn Widerspruch?

    Hayali: Ja, ich höre mir sehr gerne kritische Meinungen an. Meine Schmerzgrenze liegt bei Hass und Beleidigungen. Ich finde, man muss sich dagegen zur Wehr setzen.

    Täuscht der Eindruck oder macht Ihnen dieser Kampf auch Spaß?

    Hayali: Ich versuche, meine Stimme zu erheben für alle diejenigen, die diesen Raum so nicht haben, um unsere pluralistische Ordnung zu verteidigen. Sanitäter, Feuerwehrleute, Polizisten, Lehrer, Ehrenamtliche...

    Ihre Rolle als Journalistin haben Sie jetzt kritisch in dem Buch „Haymatland“ reflektiert. Zudem halten Sie Vorträge, in denen Sie Ihren Arbeitsalltag erklären. Worum geht es da?

    Hayali: Ich habe die Werte des Journalismus im Visier. Die Trennung von Kommentar und Berichterstattung. Zeigen, was ist. Verschiedene Seiten zu Wort kommen lassen. Möglichst keine Zuspitzungen in Schlagzeilen. Ich will diese Werte gegen die Vorwürfe verteidigen. Die richten sich auch gegen mich persönlich: Ich bin gleichzeitig „links-grün-versifft“ und „Merkel-Versteherin“.

    Zuhörer dürfen Ihnen auch Fragen stellen. Was wollen sie wissen?

    Hayali: Der Klassiker ist: „Sie sind ja staatlich gesteuert. Wann ruft Sie denn morgens die Kanzlerin an?“

    Wollen Sie Ihr Publikum bekehren?

    Hayali: Nein, das will ich nie. Aber diese Vorträge geben meiner Arbeit einen Sinn.

    Wie kommt es, dass Sie zur Hassfigur für Rechte geworden sind?

    Hayali: Ich bin eine Frau...

    Und haben einen „Migrationsvordergrund“ und sind „ein ZDF-Gesicht“. Was davon wiegt am schwersten?

    Hayali: Das weiß ich nicht. Es ist ja kein Alleinstellungsmerkmal. Es gibt ja auch noch andere Journalistinnen, die deutlich mehr einstecken müssen als ihre männlichen Kollegen. Ich sag’s mal so: Vergewaltigungswünsche schickt man eher der Journalistin.

    Zuletzt ist Ihnen das nach der Gruppenvergewaltigung in Freiburg passiert. Damals haben Sie auf Facebook Anteilnahme für das 18-jährige Opfer gefordert, das von mehreren Syrern und einem Deutschen vergewaltigt worden sein soll. Ihr Post war sogar für Ihre Verhältnisse sehr emotional.

    Hayali: Ich kenne das Opfer einer solchen Gewalttat. Ich ahne, wie man sich fühlt, wenn ein solches Verbrechen politisch instrumentalisiert wird. Das ist einfach widerlich.

    Aber das öffentliche Entsetzen über die Gruppenvergewaltigung ist doch auch nachvollziehbar.

    Hayali: Ja, es ist schlimm, was da passiert ist. Aber deswegen sind nicht alle Syrer Vergewaltiger – so wie nicht alle Ostdeutschen Nazis sind. Was soll diese Abwertung? Das führt zu Schubladendenken und dazu, eigenes Denken völlig zu negieren. Im gleichen Atemzug wünschen einem aber diese Menschen, diese Männer, die die Vergewaltigung einer jungen Frau kritisieren, mir und anderen genau das Gleiche.

    Wie neutral kann man über Flüchtlingspolitik berichten, wenn man den Kampf gegen Rassismus als höchstes Gut betrachtet?

    Hayali: Gewalt und Hass sind grundsätzlich abzulehnen.

    Und trotzdem muss man sachlich berichten...

    Hayali: ...übrigens auch über AfD-Politiker. Mir ist egal, von wem die Gewalt ausgeht oder gegen wen sie gerichtet ist. In einem demokratischen Land gehört sich das einfach nicht.

    Sie haben inzwischen über 250.000 Follower auf Facebook. Geht es Ihnen in Ihren Kommentaren nur um den Kampf gegen Rassismus – oder auch darum, die Marke Hayali zu pflegen?

    Hayali: Mein Markenwert interessiert mich wirklich so unfassbar wenig, das können Sie sich gar nicht vorstellen!

    Durch Ihre Facebook-Seite ist das Bild entstanden: Dunja Hayali ist das gute Gewissen der Nation.

    Hayali: Das wird langsam zu meinem Problem.

    Warum? Beim ZDF hat Ihnen das doch bislang nicht geschadet. Obwohl die Quoten Ihres Talkmagazins unter den Erwartungen blieben, hat man Ihnen auch noch die Moderation des „aktuellen sportstudios“ angeboten.

    Hayali: Aber ich möchte gar nicht das gute Gewissen der Nation sein. Ich möchte einfach nur eine Journalistin sein, die eine Haltung hat zu den Dingen, über die wir gerade gesprochen haben – und die ab und an auch mal ihre Meinung äußert, wenn sie danach gefragt wird. Leider ist es so, dass die Leute jetzt von mir erwarten, dass es immer etwas Besonderes sein muss, wenn ich eine neue Sendung wie das „sportstudio“ übernehme. Ein Twitterer sprach mir aus dem Herzen, als er schrieb: „Was erwartet Ihr von Dunja Hayali? Soll sie über Wasser laufen?“

    Für diese Haltung und dieses Recht auf eine eigene Meinung sind Sie sogar schon körperlich angegriffen worden. Schreckt Sie das gar nicht ab?

    Hayali: Es gehört zu unserem Job als Journalisten, dass wir uns nach draußen bewegen. Das hat nichts mit Mut zu tun. Es ist traurig, dass wir zu AfD- und Pegida-Demonstrationen nur noch mit Sicherheitsleuten gehen können. Aber ich liebe meinen Job. Ich will mit Menschen reden. Im Studio kann ich das nur in begrenztem Rahmen.

    Haben Sie keine Angst?

    Hayali: Angst ist kein guter Begleiter. Es gab Situationen, in denen ich gemerkt habe, dass ich mich innerlich abgeschottet habe. Ich habe einem Freund einen Brief vorgelesen. Während ihm die Züge entgleisten, blieb ich unbeteiligt. Da habe ich gemerkt: Es ist nicht gesund, wenn das dicke Fell immer dicker wird. Wir müssen als Journalisten durchlässig bleiben. Wir müssen aufpassen, dass wir gewisse Menschen in diesem Land nicht vor den Kopf stoßen, weil sie sonst dichtmachen.

    Mit Menschen, die Sie auf Ihrer Facebook-Seite beleidigt hatten, trafen Sie sich sogar persönlich. Ist so etwas nicht ziemlich gefährlich?

    Hayali: Auf Treffen lasse ich mich nicht mehr ein, das war naiv. Aber was geht, ist anrufen. Die Leute sind dann immer positiv überrascht. Es ist ein Zeichen von Wertschätzung. Ich höre ihnen erst mal zu. Und oft stellt sich heraus, dass es Missverständnisse gab, weil Leute nur die Schlagzeilen lesen.

    Sie gehen im Guten auseinander.

    Hayali: Ganz oft – was nicht heißen muss, dass wir dann einer Meinung sind. Eine Stunde zu telefonieren, ist natürlich zeitintensiv. Aber ich krieg manchmal Briefe, die sind viel länger. Gerade hat mir ein Nazi-Aussteiger geschrieben, früher hätte er mich gerne tot gesehen, aber heute empfinde er großen Respekt für mich. So ein Brief wiegt alle tausend Hasskommentare wieder auf.

    Zur Person: Dunja Hayali wurde 1974 in Datteln geboren – als Tochter irakischer Christen. Nach ihrem Studium an der Deutschen Sporthochschule Köln arbeitete sie für die „Deutsche Welle“. Von 2007 an moderierte sie unter anderem die Nachrichtensendung „heute“ im ZDF und – nach wie vor – das „ZDF-Morgenmagazin“. Seit August moderiert sie zudem „das aktuelle Sportstudio“ im ZDF.

    Sie wurde vielfach ausgezeichnet, im Jahr 2016 etwa mit der Goldenen Kamera („Beste Information“) für ihre objektive Berichterstattung über die sogenannte Flüchtlingskrise. 2018 erhielt sie auch das Bundesverdienstkreuz; von der Evangelischen Akademie Tutzing wird ihr bald der Toleranz-Preis in der Kategorie „Zivilcourage“ für ihr „Engagement gegen Rassismus, Fremdenhass und Rechtsextremismus“ verliehen.

    Buch: Dunja Hayali: Haymatland. Wie wollen wir zusammenleben? Ullstein, 160 Seiten, 16 Euro.

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