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Hype: Klimaaktivistin Greta Thunberg: Heldin und Hassfigur

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Klimaaktivistin Greta Thunberg: Heldin und Hassfigur

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    Die 16-jährige Greta Thunberg, hier bei einer Kundgebung in London, gilt als haushohe Favoritin für den Friedensnobelpreis.
    Die 16-jährige Greta Thunberg, hier bei einer Kundgebung in London, gilt als haushohe Favoritin für den Friedensnobelpreis. Foto: Victoria Jones, dpa

    Es ist faszinierend. Und beängstigend. Wenn es um Greta Thunberg geht, gibt es nur Bewunderung oder Feindseligkeit, oft sogar blanken Hass. Wie kann ein einziges Mädchen solche Extremgefühle auslösen? Eine Jugendliche, die fast gestorben wäre, weil sie plötzlich nicht mehr essen wollte, zwei Stunden lang auf fünf Gnocchi herumkaute? Die in der Schule gehänselt wurde, obwohl ihr Vater neben ihr stand.

    Und die, auch das, mittlerweile zu einer nahezu heiligen Moralwächterin erhoben wird – auch in dem Buch, das die Familiengeschichte der Thunbergs erzählt: „Szenen aus dem Herzen. Unser Leben für das Klima“. Es ist eine Familienbiografie mit stilistischen Schwächen und mit einer Botschaft, die natürlich genauso spaltet wie Greta Thunberg selbst. Denn es ist ja ihre.

    Seit Ende April ist das gut 250 Seiten lange Werk der Klimaaktivistin und ihrer Familie in Deutschland auf dem Markt. Zwei Monate später findet man hunderte Leserbewertungen im Internet – sie gehen so drastisch auseinander wie nur möglich. In gängigen Skalen gesprochen heißt das: Fünf von fünf Sternen oder einer von fünf sind die Regel, dazwischen fast nichts. Auf Anhieb schoss das Sachbuch auf Platz zwei der Spiegel-Bestsellerliste. Inzwischen haben sich die Verkaufszahlen auf recht hohem Niveau stabilisiert, die Platzierung schwankte zuletzt zwischen Platz sieben und acht.

    Greta Thunberg, Ikone der "Fridays for Future"-Bewegung

    Vorverurteilungen hatte es genug gegeben: Die Klimaaktivistin, mittlerweile Ikone der „Fridays for Future“-Bewegung, streike nur vor dem Parlament in Stockholm, damit sich das Buch besser verkaufe. Sie sei nicht nur für die Öko-Lobby, sondern auch für ihre Eltern eine Marionette, um deren (Verkaufs-)Interessen zu befriedigen.

    Und es stimmt ja auch, Greta Thunbergs Schulstreik begann fast zeitgleich mit dem Erscheinungstermin des Buchs in Schweden. Ihr Name steht ganz vorn auf der Liste der Autoren, obwohl sie nur zwei Seiten beigetragen hat und ihre Mutter, die Opernsängerin Malena Ernmann, den Großteil aus ihrer Perspektive erzählt. Das kann man kritisieren, als Stoff für Verschwörungstheorien sehen. Überraschen sollte es aber nicht. So funktioniert der Markt.

    Die Botschaft: Es geht um Leben und Tod der Erde

    Verlage und Online-Häuser nutzen Gretas Allgegenwart natürlich als Werbung. Und Familie Thunberg hat eine Botschaft: Es geht um Leben und Tod der Erde. Dass sie Gretas Popularität und auch ihre Krankheitsgeschichte nutzt, um möglichst viele Leser und potenzielle „Weltretter“ zu erreichen, kann man menschlich verwerflich finden. Doch die Familie hat die Legitimation ihrer Tochter, sie kann a) lesen und weiß, was ihre Mutter da schreibt und b) möchte sie selbst, dass ihre Botschaft sich verbreitet.

    Am beklemmendsten ist das Buch, wenn die Mutter beschreibt, wie ihre Tochter immer mehr abmagert, weil sie sich wegen ihrer Asperger-Krankheit im Alltag nicht zurechtfindet, nicht einmal am Esstisch. Irgendwann bricht die Mutter selbst bei einem Auftritt zusammen. Es wirkt, als würde die ganze Familie verrückt werden, als auch noch bei Gretas kleiner Schwester Beata ADHS festgestellt wird. „Wir schreien. Wir treten Löcher in die Türen. Wir kratzen uns. (...) Wir weinen (...) und wir halten aus“ – Stellen wie diese ziehen sich durchs Buch. Etwas weniger Dramatik und etwas weniger Selbstmitleid der Eltern hätten ihm gutgetan.

    Es gibt die Leser, die das Buch dennoch loben – gerade wegen der schonungslosen Einblicke in das Familienleben der Thunbergs. Es helfe, Greta besser zu verstehen und ihr menschlich näher zu kommen, heißt es in vielen Kommentaren. Dann gibt es die Leser, die die gängigen Bewertungsportale nutzen, um verquere Verschwörungstheorien anzubringen. Sie nutzen Greta Thunbergs so detailliert geschilderten Anfälle von Aggression gegen sich und die Welt, um die Klimaaktivistin als „schwerst gestört“ zu bezeichnen. Andere haben sich durchaus intensiv mit dem Buch befasst, verteilen schlechte Bewertungen vor allem wegen der zu Recht kritisierten, oft willkürlichen Aneinanderreihung von Familienanekdoten und Abhandlungen über den Klimawandel.

    Was auch immer man als Inspiration für „Szenen aus dem Herzen“ sehen mag, Greta Thunberg ist auf dem Höhepunkt ihrer Mission. Sie gilt als Favoritin für den Friedensnobelpreis 2019. Buchmacher sehen sie ganz vorn im Rennen, auch Prominente rufen die Jury dazu auf, die 16-Jährige auszuzeichnen. Gerade hat die Bestseller-Autorin Donna Leon gefordert: „Gebt ihr den Nobelpreis!“ Sie lobte Gretas Reden – von ihrem Buch sagte sie nichts.

    Szenen aus dem Herzen. Unser Leben für das Klima. Verlag S. Fischer, 256 Seiten, 18 Euro

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