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Ferienlager: Kommentar zu Ameland: Wer schützt die Kinder?

Ferienlager

Kommentar zu Ameland: Wer schützt die Kinder?

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    Dr. Markus Günther, Chefredakteur der Augsburger Allgemeinen.
    Dr. Markus Günther, Chefredakteur der Augsburger Allgemeinen. Foto: Ulrich Wagner

    Man zögert, die Tatbestände konkret zu benennen. Aber gerade weil die Vorwürfe so ungeheuerlich sind, hilft es nicht, drum herumzureden: Im Ferienlager des Osnabrücker Sportbundes wurden 13 Jahre alte Jungen von kaum älteren Jugendlichen gequält und misshandelt; ihnen wurden Besenstiele, Kehrschaufelgriffe und Flaschenhälse in den After gerammt. Dutzende von Kindern sollen Zeugen gewesen sein und das Geschehen mit ermutigendem Gejohle begleitet haben; wahrscheinlich waren manche erst Opfer, bevor sie selbst Täter wurden.

    Was genau ist hier geschehen? Ist Sadismus das richtige Wort oder "sexueller Missbrauch"? Ging es darum, andere zu demütigen, oder doch darum, perverse Sexualpraktiken auszuprobieren? Warum haben die Kinder geschwiegen, warum sind Betreuer nicht eingeschritten?

    Es ist verständlich, dass Millionen von Eltern, die demnächst ihre Kinder in ein Ferienlager schicken wollen, mit Angst und Entsetzen reagieren. Allerdings gibt es keinen Grund zur Panik. In den meisten Feriencamps arbeiten ehrenamtliche Helfer, die gewissenhaft und mit bewundernswertem Engagement die Kinder betreuen.

    Nein, Grund zu panischen Reaktionen und pauschalen Verdächtigungen gibt es nicht. Aber es gibt Fragen, die man stellen muss: Ist der Vorfall auf Ameland ein seltener Einzelfall oder hat er auch zeittypische Ursachen? Und: Wer schützt die Kinder? Was kann man tun?

    Was die Ursache betrifft, muss man beides annehmen: Natürlich handelt es sich um einen Einzelfall, wie es ihn früher auch gegeben haben mag. Musils "Törleß" erzählt schon davon. Doch hat die Allgegenwart der Pornografie wohl auch zu den Gewaltphantasien der Jugendlichen beigetragen. Verrohung und Abstumpfung beginnen mit Sex und Gewalt am Computer; in den USA wurde ermittelt, dass Kinder bei der ersten Begegnung mit Internetpornografie heute im Durchschnitt acht Jahre alt sind. Wer glaubt, dass das folgenlos ist für die psychische Verfassung einer Gesellschaft, ist naiv. Schon jetzt wird jede dritte Sexualstraftat von einem Jungen unter 18 begangen.

    Aber was kann man tun? Die Möglichkeiten, Kinder vor gewaltsamen und sexuellen Übergriffen zu schützen, sind jedenfalls nicht ausgeschöpft. Justizministerin Beate Merk hat recht, wenn sie Einschränkungen für Videospiele und Internetseiten fordert. Richtig sind auch Forderungen nach Führungszeugnissen und Schulungen für Ehrenamtliche in der Kinder- und Jugendarbeit. In den USA gibt es keinen Betreuer, der nicht eine Ausbildung und eine FBI-Überprüfung hinter sich hat. Außerdem werden dort schon Grundschüler über die Grenzen im Körperkontakt unterrichtet, die jeder zu akzeptieren hat. Das alles sind keine Patentrezepte. Aber eine Debatte darüber lohnt sich. In Deutschland verläuft diese Debatte nach kurzer Empörung allzu oft im Sande. Von Markus Günther

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