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Tirol: Kuh-Herde trampelt Frau zu Tode - jetzt landet der Fall vor Gericht

Tirol

Kuh-Herde trampelt Frau zu Tode - jetzt landet der Fall vor Gericht

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    Nur das Grablicht erinnert noch an die Attacke einer Kuh-Herde, die 2014 für eine Urlauberin tödlich endete.
    Nur das Grablicht erinnert noch an die Attacke einer Kuh-Herde, die 2014 für eine Urlauberin tödlich endete. Foto: Mariele Schulze Berndt

    Kühe sucht man hier vergeblich. Dafür ist es zu früh im Jahr. Auf der Pinnisalm liegt noch Schnee. Ab und zu bricht die Sonne durch die Wolken. Und es ist still, ganz still hier oben in fast 1500 Metern Höhe. Wanderer sind jetzt selten, das Gasthaus ist noch geschlossen. Ein friedliches Tal inmitten schroffer Berge. Nur das Grablicht auf einem großen Stein, fast direkt vor der Almhütte, erinnert an jenen 28. Juni 2014, als eine 45-jährige Bankangestellte aus Bad Dürkheim in Rheinland-Pfalz von einer Herde mit je zehn Mutterkühen und Kälbern getötet wird. Durch Hörner verletzt, zu Tode getrampelt – angeblich, weil sie ihren Hund, einen Kerry Blue Terrier, dessen Leine sie sich um die Taille gebunden hat, nicht schnell genug befreit. Der Hund überlebt. „Der Hüttenwirt hat damals die Kühe vertrieben“, erzählt Gerhard Pfurtscheller, der selbst eine Alm am Ende des Tals betreibt. „Doch er ist zu spät gekommen.“

    Gerhard Pfurtscheller ist ein kleiner, freundlicher Mann mit Ohrring, der lässig an seinem Range Rover lehnt. Nach dem Drama ist er zur Beerdigung nach Bad Dürkheim gefahren, weil er die Familie des Opfers sehr gut kennt. Seit 40 Jahren stand der Wohnwagen der Rheinland-Pfälzer auf seinem Campingplatz. „Aber nach dem Unfall ist er abgeholt worden“, bedauert Pfurtscheller, der entfernt mit dem Besitzer der Kuhherde verwandt ist.

    In Neustift im Stubaital, dem letzten Ort vor dem Gletscher, wollen einige von dem Unfall gar nichts mehr wissen. Der Hüttenwirt der Pinnisalm, Christian Siller, wiegelt ab; er sei damals nicht dabei gewesen. Der Herdenbesitzer, der als Betriebsleiter in einem Freizeitzentrum arbeitet und als Nebenerwerbslandwirt die Rinder hält, will im Grunde auch nicht reden. „Warten wir ab, wie die Gerichte entscheiden“, sagt er noch am Montagabend unserer Zeitung. Vize-Bürgermeister Andreas Gleirscher, der die Bauern im Gemeinderat vertritt, spricht zumindest von einem „tragischen Unfall“.

    Drei Jahre später kommt der Fall nun doch noch vor Gericht

    Dieses Schild warnt Wanderer vor Kuh-Attacken.
    Dieses Schild warnt Wanderer vor Kuh-Attacken. Foto: Mariele Schulze-Berndt

    Zu diesem Schluss kam 2014 auch die Staatsanwaltschaft Innsbruck und stellte die strafrechtlichen Ermittlungen gegen den Eigentümer der Kühe ein. „Trotzdem war es natürlich brutal für den Bauern“, sagt Gleirscher. „Wir haben alle mit ihm gelitten.“ Dann passierte erst mal nichts. Jetzt kommt der Fall doch vor Gericht. Bevor mögliche Ansprüche verjähren, hat der Witwer, 51, den Pinnisalm-Bauern und die Hochstubai-Liftanlagen mit Hilfe eines Rechtsanwalts aus Klagenfurt auf 359.905 Euro Schadenersatz verklagt. Den Liftbetreiber mit der Begründung, auch am Lift hätte auf die Gefahren beim Abstieg über die Pinisalm hingewiesen werden müssen. Entlang der unteren Wanderwege stehen schon seit längerem Warnschilder, auf denen steht: Achtung! Bitte Abstand zu Weidetieren halten! Kühe schützen ihre Kälber! Hunde bitte unbedingt an der Leine führen. Im Notfall Leine loslassen!

    Kuh-Attacken gibt es immer wieder. Meist trifft es die Besitzer, selten mal Spaziergänger. Hierzulande ist vor allem der Fall des im Jahr 2000 gestorbenen früheren Bundeslandwirtschaftsministers Josef Ertl in Erinnerung, der 1993 auf dem Hof seines Sohnes von einem Stier lebensgefährlich verletzt wurde. Gerade erst hat eine trächtige Kuh bei Wangen im Allgäu binnen zwei Tagen zwei Wanderer verletzt. 2014 gab es besonders viele schwere Fälle, etwa mit einem toten Bauern im oberbayerischen Pleiskirchen. Und eben die Attacke im Stubaital.

    Die getötete Spaziergängerin war Stammgast in Neustift gewesen und seit Jahrzehnten auf der Pinnisalm gewandert. Nun sagt der Rechtsanwalt ihres Ehemanns, Michael Hirm, der Angriff der Kühe sei nicht ihre erste Attacke gewesen. Eine italienische Familie habe ähnliche Erfahrungen gemacht, dafür gebe es Zeugen. „Deshalb muss der Tierhalter haften“, sagt er.

    Das Urteil könnte für alle Almbauern Folgen haben

    Sollte seine Argumentation den Richter überzeugen, hätte dies womöglich für alle Tiroler Almbauern Folgen. „Auf Almen laufen die Tiere grundsätzlich frei herum. Die Wanderwege führen direkt über die Weiden. Zäune gibt es kaum“, erklärt Josef Lanzinger, der bei der Tiroler Landwirtschaftskammer in Wörgl für Almwirtschaft zuständig ist. In Tirol gibt es noch mehr als 2000 Almen. Lanzinger ist selbst Milchbauer. Für ihn haben Almen nicht nur eine wirtschaftliche, sondern auch eine emotionale Bedeutung. „Auf der Alm ist selten Gewinn zu machen, aber die Bauern haben eine sehr enge Bindung zu ihr und halten sie bis zum Schluss.“ Etwa die Hälfte ist im Besitz einzelner Bauern, die andere Hälfte wird von mehreren gemeinsam bewirtschaftet – wie die Schönanger Alm in Wildschönau bei Wörgl.

    Dort ist Sepp Mayr Obmann von 24 Mitgliedern einer Genossenschaft, die würzigen Käse herstellt. 130 Milchkühe stehen im Hochsommer tagsüber im Stall, um vor Ungeziefer geschützt zu sein. Morgens um sieben und abends um 18.30 Uhr werden sie gemolken, die Nacht verbringen sie draußen. Mayr empfiehlt Wanderern mit Hunden, einen anderen Weg zu nehmen, wenn sie Mutterkühe und Kälber sehen. Was er aus Erfahrung weiß, bestätigt Josef Troxler von der Veterinärmedizinischen Universität Wien. „Mutterkühe, die mit ihren Kälbern den ganzen Sommer über allein auf der Alm leben, verwildern wieder und folgen ihrem Ur-Instinkt“, hat er festgestellt.

    Franz Schönherr vom Ausserwieserhof ist Nachbar der Pinnisalm. Er ist der Meinung, man sollte den Unfall endlich vergessen. „Das Unglück ist tragisch, aber man muss damit umgehen, wie wenn ein Wanderer abstürzt oder ein Skifahrer unter eine Lawine gerät“, findet er. „Es bringt nichts, Schuldige zu suchen, niemand ist schuld.“ Auf Schönherrs Alm behalten die Kühe Kontakt zu Menschen. Seine Frau Christine vermietet an Gäste, auch solche mit Kindern. Es gibt einen Spielplatz, einen Kräutergarten und im kommenden Sommer einen Streichelzoo. „Bisher waren die Kaninchen und Meerschweinchen im Kuhstall“, erzählt sie. „Ich habe die Eltern aber immer gebeten, ihre Kinder zu beaufsichtigen. Es ist nie etwas passiert.“

    Extra-Wege für Hundebesitzer und Mountainbike-Fahrer?

    So oder so – das Unglück auf der Pinnisalm hat das Denken der Menschen hier geprägt. Manche schlagen nun vor, für Hundebesitzer und Mountainbike-Fahrer Extra-Wege auszuweisen, entlang derer es keine Weidetiere gibt. Andere meinen, es wäre gut, die Mutterkühe und Kälber einzuzäunen. Wieder andere lehnen das ab, weil dann die Almen nicht gleichmäßig abgefressen und außerdem Zugänge zum Wasser versperrt würden.

    Die einfachste und zugleich doch schwierigste Lösung dürfte sein, die Wanderer entsprechend zu sensibilisieren. Man soll 20 bis 50 Meter Abstand halten, Kälbchen nicht streicheln und Kühen nicht in die Augen schauen, heißt es. Am sichersten sei es, so empfehlen manche, einen Stock dabeizuhaben und angreifende Kühe gezielt auf die Nase zu schlagen.

    Ob solche Ratschläge in dieser Gegend wirklich helfen? Allein im Sommer 2016 wurden in Österreich mehr als 15 Fälle gemeldet, in denen Kühe Wanderer angegriffen haben. Zu Todesfällen kam es glücklicherweise nicht, allerdings teilweise zu schweren Verletzungen. Meist traf es ältere Menschen und Kinder.

    Schon 2010 hat eine Touristin Schadenersatz nach einem Kuhangriff gefordert. Der österreichische Oberste Gerichtshof ließ sie fünf Jahre später abblitzen. Begründung: Der Landwirt habe Warnschilder am Tor zur Weide aufgestellt, die auf die Gefahr durch Mutterkühe hinwiesen. Wird dies auch im Fall der getöteten Urlauberin aus Bad Dürkheim der entscheidende Punkt sein? Auch hier habe der Eigentümer der Rinderherde für solche Schilder gesorgt, argumentiert sein Rechtsanwalt Ewald Jenewein. Es ist nicht auszuschließen, dass sich das Zivilgericht in Innsbruck der OGH-Entscheidung von 2015 anschließen wird. Lange dauern wird der Prozess allemal. Gestern zum Auftakt sagt der Richter, mit einer Entscheidung sei in diesem Jahr wohl nicht mehr zu rechnen.

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