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Umweltskandal: Müll im Meer: Wie Verbraucher die Folgen zu spüren bekommen

Umweltskandal

Müll im Meer: Wie Verbraucher die Folgen zu spüren bekommen

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    Unmengen an Plastikmüll schwimmen in den Meeren dieser Welt. Das Problem ist: Ständig kommt welcher dazu.
    Unmengen an Plastikmüll schwimmen in den Meeren dieser Welt. Das Problem ist: Ständig kommt welcher dazu. Foto: Mike Nelson, dpa

    In den Wintermonaten, wenn Björn Fischer mit seinem Matrosen in die Ostsee sticht, beißt der Wind und die Gischt arbeitet sich durch die Kleidung. Wirklich warm ist es nur im Steuerraum ihres Kutters. Aber noch etwas ist im Winter speziell. Nur dann fischen sie Butt, nur dann schleifen die Netze vier bis fünf Stunden über den Meeresboden, bis die Männer den Fang einholen. Dazu müssen sie raus an Deck, und der Inhalt des Schleppnetzes ergießt sich auf das Förderband. Das meiste ist Fisch. Aber dazwischen finden sich fast immer Autoreifen, Metall, Reste von Fischernetzen, einmal war es sogar eine Kaffeemaschine. Müll, der am Meeresboden liegt – als Beifang.

    Das Problem mit dem Müll im Meer ist so groß, dass die Vereinten Nationen im Juni erstmals eine Konferenz zum Zustand der Ozeane und Meere einberiefen. Umweltminister und Aktivisten diskutierten über Korallensterben, Überfischung, den Klimawandel und Plastik im Meer. Denn Nummer 14 der „Sustainable Development Goals“, der Ziele, die sich die UN für die nachhaltige Entwicklung der Welt gesetzt haben, lautet: Schutz der Ozeane. „Nur“ Nummer 14, mögen manche denken – hinter Dingen wie nachhaltigem Wirtschaftswachstum, Bildung für alle oder Gleichstellung von Mann und Frau.

    Björn Fischer, 49, aus dem Örtchen Heikendorf bei Kiel benötigt nicht erst einen Beschluss der UN, um das Meer aufzuräumen. Seit sieben Generationen fahren die Männer der Familie zur See. „Zumindest können wir es so weit nachverfolgen“, sagt der Mann und versteckt ein Schmunzeln hinter seinem dichten grauen Kapitänsbart. Man weiß nicht, ob die Fischers zuerst wie welche aussahen oder erst so hießen. Siegfried Fischer jedenfalls ist eine ältere, weißhaarige Version seines Sohnes: dichter Bart, wettergegerbtes Gesicht, trotz der 80 Jahre noch eine athletische, vom jahrelangen Arbeiten gestählte Figur. Ziemlich sicher waren Männer wie die Fischers das Vorbild für Käpt’n Iglo.

    Und plötzlich liegt ein Autoreifen im Fang

    Vater und Sohn sind damit beschäftigt, den „Tümmler“, den 14,5 Meter langen Kutter, für den nächsten Einsatz vorzubereiten. Der Matrose hilft mit. Dreißig Tage stand der Kutter im Hafen – Schonzeit für die Fische. Jetzt muss das Förderband aufgebaut und die Schleppnetze an Bord geholt werden. Am Montag fährt Fischer wieder raus. Im Sommer sucht er mit dem Echolot nach Schwärmen von Dorschen. Da die Netze dann manchmal nur 15 Minuten lang im Wasser sind, fischt er im Sommer weniger Müll.

    Schon immer habe er alte Drähte, Fässer, Flaschen oder Plastiktüten aus dem Meer gezogen, erzählt er. Und er fährt seit Jahrzehnten zur See. „Manche Dinge fallen unbeabsichtigt ins Wasser“, sagt Fischer. Autoreifen zum Beispiel, die außen an Booten hängen, damit das Schiff beim Anlegen nicht an die Kaimauer stößt. „Oder Stücke von alten Fischernetzen.“ Aber wenn er ein altes Fahrrad oder ein ausgeschlachtetes Auto auf hoher See in seinem Netz findet, kann er nur den Kopf schütteln. „Das lernt man doch als Kind, dass man seinen Müll nicht in die Natur schmeißt.“ Nach so vielen Jahren kann er immer noch kaum glauben, dass Menschen mit Absicht ihren Schrott so loswerden.

    Unter dem Müll leiden vor allem die Meeresbewohner. Erst im Februar musste ein Wal in Norwegen getötet werden, weil er immer wieder Richtung Land schwamm. Bei der Obduktion fanden Forscher 30 Plastiktüten in seinem Magen – trotz vollem Bauch war das Tier verhungert. Auch Fischer findet in den Mägen der Dorsche immer wieder kleine Plastikteile, die Tiere für Futter gehalten haben. Und an der Nordsee gehen ganze Kolonien von Seevögeln zugrunde, weil sich der Müll in ihren Mägen verklumpt. Wenn sie nicht qualvoll an den Komplikationen sterben, verhungern sie. In 95 Prozent der untersuchten Eissturmvogel-Kadavern fanden Forscher Plastikmüll im Magen-Darm-Trakt. Und immer wider verheddern sich Tiere im Meer und an der Küste im Plastikmüll und gehen zugrunde.

    Als Meeresschutzbeauftragter des Naturschutzbunds Deutschland (Nabu) versucht Nils Möllmann, die Umweltschäden durch den Müll einzudämmen. Schätzungsweise 600000 Kubikmeter Müll liegen allein auf dem Boden der Nordsee, jedes Jahr kommen etwa 20000 Kubikmeter dazu, erzählt er. Um das Meer aufzuräumen, braucht er auch die Hilfe der Fischkutter. Denn: Die Fisch- und Krabbenbestände in den Meeren sind Allgemeingut. Doch sobald ein Fischer die gefüllten Netze auf seinen Kutter zieht, ändern sich die Besitzverhältnisse. Butt, Dorsch, Hering oder Krabbe gehören dem Fischer, sobald sie an Bord sind. Das gilt nicht nur für Fische, sondern für sämtliche Dinge, die sich im Netz befinden. Und so wird der Müll im Meer ganz direkt zum Problem für die Fischer. Denn nun ist es nicht nur herrenloser Abfall, sondern Schiffsmüll und muss entsprechend entsorgt werden.

    Wie einige Fischer das Plastik an Land entsorgen

    „Es gibt an den Häfen keine einheitlichen Entsorgungssysteme“, sagt Möllmann. An manchen Häfen könnten Fischer den Schiffsmüll direkt entsorgen, andere müssten ihn mit nach Hause nehmen. Damit also niemand nur wegen des Aufwandes in Versuchung kommt, den gefischten Müll wieder zurückzuwerfen, hat der Nabu 2011 das Projekt „Fishing for Litter“ eingeführt. Die Idee ist simpel und stammt aus dem Ausland: Fischer bringen den auf See gesammelten Müll an Land und werfen ihn im Hafen in eigens aufgestellte Container. Ist der Container voll, wird er geleert, ohne dass dem Fischer oder der Hafenmeisterei Kosten entstehen. An deutschen Häfen stehen mittlerweile 15 solcher Behälter: sieben in Niedersachsen, sieben in Schleswig-Holstein und einer in Mecklenburg-Vorpommern. Je nachdem, wie viele Schiffe anlegen, wird der volle Container entsprechend schnell abgeholt.

    In Heikendorf mit seinen gut 8000 Einwohnern gibt es nur noch vier Kutter. Björn Fischer sitzt im Steuerraum des Tümmlers, den Arm auf das alte, hölzerne Steuerrad gestützt, und erzählt. Etwa davon, wie früher 80 Kutter von Heikendorf aus in See gestochen sind. Heute docken zwischen den Piers Segeljachten an, am Hafen wird mittlerweile mehr verweilt als gearbeitet. Nur bei den Fischers hat sich seit Generationen kaum etwas verändert. Fährt der Kapitän mit seinem Matrosen zur See, laufen sie nachts um drei oder vier aus, oft kommen sie erst abends um neun wieder zurück. Und am nächsten Tag wiederholt sich das Spiel.

    Björn Fischer erzählt von der harten, körperlichen Arbeit und der vielen Bürokratie, die viele Fischer dazu bewogen hat, sich andere Berufe zu suchen. Von den Schonzeiten, die immer länger werden und ihn zwingen, noch härter zu arbeiten. „Man muss unendlich viele Stunden machen, um über die Runden zu kommen“, sagt er mit einem Schulterzucken. Er kennt es nicht anders. Es gebe ja die Momente, die die vielen Mühen ausgleichen. Wenn Schweinswale neben dem Schiff schwimmen. Oder ein Sonnenaufgang über der Lübecker Bucht besonders schön ist. „Dann mache ich schon mal ein Foto“, sagt er und zeigt auf sein Smartphone.

    Was Fischer aus dem Meer sammelt, ist der Müll, der schon abgesunken ist. Nur, was bis zu zwei Meter über dem Grund treibt, verfängt sich in seinen Netzen – und ist damit nur ein Bruchteil des gesamten Mülls. Jedes Jahr, meldete 2016 das Fachblatt „Science“, landen weltweit bis zu 13 Millionen Tonnen Plastikmüll im Meer. Im Pazifik etwa treibt ein Müllteppich an der Oberfläche, so groß wie Mitteleuropa. Abgesehen von der direkten Gefahr für die Tiere verseucht das Plastik auch das Wasser. Bis zu 450 Jahre kann es dauern, bis sich der Kunststoff zersetzt. Währenddessen gelangen Giftstoffe in die Umwelt. Ist das Plastik schon so weit zerfallen, dass es kaum noch sichtbar ist, zählt es als Mikroplastik. Jetzt kann es noch leichter versehentlich von Fischen aufgenommen werden. Und dadurch, dass die Plastik-Partikel Pestizide und Insektizide an sich binden, landen diese letztendlich in der Nahrungskette und auch wieder bei Menschen auf dem Teller.

    Die gewaltige Menge an Müll im Meer ist kaum zu kontrollieren

    Der Strom an Müll, der von Schiffen, über Flüsse oder durch Verwehungen ins Meer gelangt, ist kaum zu kontrollieren. Auch die Teilnehmer der Ozeankonferenz in New York schienen ratlos, angesichts der schier übermächtigen Aufgabe, die Ozeane aufzuräumen. Sie verfassten zwar eine gemeinsame Absichtserklärung, die Meere zu schützen, aber auch Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD) zeigte sich hinterher enttäuscht. Sie habe sich von der Welt-Ozeankonferenz einen Wendepunkt erhofft. „Davon sind wir aber noch ein Stück entfernt.“

    Idealismus allein wird das Problem nicht richten, da sind sich alle einig. Aber Leute wie Nils Möllmann und Björn Fischer lassen sich von der Größe der Aufgabe nicht entmutigen. Etwa zwei Kubikmeter Müll sammelt Fischer jedes Jahr ein und entsorgt ihn im Container gegenüber seiner Anlegestelle. Ist der Container voll, ruft er Möllmann an. Für den geht die Arbeit dann erst los. Der Müll wird sortiert und kategorisiert, um mehr über ihn herauszufinden. „Es gibt aber immer zeitliche oder örtliche Unschärfen“, sagt Möllmann. Fischernetze aus Kunststoff werden beispielsweise schon seit den 60er Jahren verwendet. Hülsen von Sonar-Bojen können vom Militär stammen, vielleicht gingen sie aber auch verloren, als der Meeresboden für eine neue Ölplattform kartiert wurde. Der meiste Müll bleibt also anonym.

    Außerdem verhindert die Initiative nicht, dass neuer Müll in Nord- und Ostsee landet. „Die Lösungen, um Müll im Meer zu reduzieren, liegen an Land“, betont Möllmann. Und auch Barbara Hendricks sagt: „Wir brauchen einen anderen Umgang mit Plastik. Das ist eine unserer größten Herausforderungen.“

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