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Notre-Dame: Maxime L’Héritier erforscht den Brand von Notre-Dame

Notre-Dame

Maxime L’Héritier erforscht den Brand von Notre-Dame

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    Steinexperte Jean-Didier Mertz schaut in einem Lagerhaus auf die Überreste des goldenen Engels, der einst auf der Kathedrale von Notre Dame stand.
    Steinexperte Jean-Didier Mertz schaut in einem Lagerhaus auf die Überreste des goldenen Engels, der einst auf der Kathedrale von Notre Dame stand. Foto: Francois Mori, dpa

    Diesen Moment am Abend des 15. April 2019 wird Maxime L’Héritier nie mehr vergessen. Er saß in der Pariser Metro, als ein Freund anrief mit der schockierenden Nachricht: "Notre-Dame brennt!" Im Internet auf seinem Handy sah L’Héritier die Bilder von den Flammen, die aus der Kathedrale aufstiegen, dann erspähte er auch von der oberirdischen Metro aus die Rauchwolken in der Ferne. Was seine ersten Gefühle waren? "Fassungslosigkeit, Machtlosigkeit. Mit großem Bedauern dachte ich an das Balkenwerk aus dem 13. Jahrhundert und an alles, was verloren sein würde." Zugleich empfand der 39-Jährige beim Gedanken an "all das, was wir Forscher und Experten für Kulturgut würden analysieren können", nicht Enthusiasmus, wie er sagt – "aber eine Art Motivation".

    Notre Dame: 200 Tonnen Blei - nicht 400 - in Rauch aufgegangen

    Gemeinsam mit Kollegen hat der Hochschuldozent für Mittelalterliche Geschichte, der auf Eisen und Blei spezialisiert ist, seither ein Netzwerk von rund 250 französischen und internationalen Wissenschaftlern aufgebaut, die ihre Erkenntnisse über Notre-Dame miteinander teilen und auf einer Homepage veröffentlichen. Bestimmten "Fake News" will man mit wissenschaftlichen Daten begegnen: Dass beim Brand wie oft behauptet 400 Tonnen Blei "in Rauch aufgegangen" seien und sich in der ganzen Stadt verteilt hätten, bezweifelt L’Héritier: "Diese Informationen sind nicht geprüft, ich würde eher von 200 Tonnen ausgehen. Außerdem verteilt sich Blei nicht wie Gas in der Luft."

    Auf das Netzwerk konnte sich das nationale Forschungsinstitut CNRS beim Aufbau eines Forschungspols unter der Ägide des Kulturministeriums stützen. Gegliedert ist es nach den Fachgebieten Metall, Glas, Holz, digitale Daten, Akustik und Anthropologie und Stein – in dieser Gruppe arbeiten auch deutsche Forscher aus Bamberg. Es entstehe eine "bisher einzigartige Dynamik" in der Kooperation, so L’Héritier. Zugleich bleibt für andere Forschungs- oder Restaurierungsprojekte weniger Zeit – und weniger Geld. Neu sei das nicht: Schon im Mittelalter war die gotische Kathedrale auf der Pariser Seine-Insel besser ausgestattet und großzügiger finanziert als andere Kirchen im Land.

    Die Frist von fünf Jahren für den Wiederaufbau, die Präsident Emmanuel Macron am Tag nach dem Brand gesetzt hatte, sieht L’Héritier kritisch. Sie mache Druck, in positiver wie negativer Hinsicht. Die Arbeiten gingen schneller voran, aber manche komplexen Fragen brauchten Zeit, um beantwortet zu werden.

    Der Wissenschaftler konnte Notre Dame noch nicht betreten

    Der junge Wissenschaftler selbst konnte die Kathedrale seit ihrem Brand nicht betreten; noch ist der Zugang sehr eingeschränkt aufgrund der Gefahr durch herabfallende Steine sowie die hohe Bleibelastung im Inneren. Die Phase der Diagnose zur Feststellung der Schäden wird bis Frühling oder Sommer 2020 dauern, das ließ auch Chef-Architekt Philippe Villeneuve durchblicken. Ein Gerüst aus bis zu 300 Tonnen Eisen, das vor dem Brand für Bauarbeiten bereitstand und in Teilen schmolz, muss vorsichtig abmontiert werden. Erst dann erhält die Kathedrale einen Schutzschirm und können die Strukturen des künftigen Balkenwerks errichtet werden. Die Wahl der Materialien steht Villeneuve zufolge nicht fest: "Bei diesen detaillierten Fragen sind wir längst nicht."

    Sechs Monate nach dem Feuerdrama findet noch immer ein großes Sortieren statt. Viele der heruntergefallenen Relikte und Steine erwiesen sich als intakt, auch das Holz des Balkenwerks aus dem 12. und 13. Jahrhundert sei nicht komplett verkohlt und könne noch untersucht werden, sagt Maxime L’Héritier. "Das wird erlauben, besser zu verstehen, wie die Kathedrale gebaut wurde, woher die Materialien kamen, wie das Wachstum der Bäume zu dieser Zeit vonstatten ging." In wenigen Jahren werde das Wissen über Notre-Dame mehr zugenommen haben als in den vergangenen Jahrhunderten. Und darin liege trotz allem auch eine Chance.

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