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King of Pop: Warum Michael Jacksons Aufstieg reiner Zufall gewesen sein könnte

King of Pop

Warum Michael Jacksons Aufstieg reiner Zufall gewesen sein könnte

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    „Ein romantischer Sänger, den die Musikindustrie so nicht weiter als Person inszenieren konnte“: Michael Jackson im Jahr 1979.
    „Ein romantischer Sänger, den die Musikindustrie so nicht weiter als Person inszenieren konnte“: Michael Jackson im Jahr 1979. Foto: CAP/MPI/GP, Picture Alliance

    Es gibt eine Bedeutung, die nicht durch Zahlen zu fassen ist. Denn ja, Michael Jackson gilt auch heute, zehn Jahre nach seinem Tod, noch immer als erfolgreichster Entertainer aller Zeiten, ist der Musiker mit dem meistverkauften Album überhaupt. Aber da ist noch mehr. Etwas, das im reinen Beziffern von Fans und Umsätzen nicht aufgeht.

    Diese Bedeutung geht auch über den Menschen hinaus, der sie trägt. Sie lebt darum auch nach dessen Tod fort. Und sie scheint auch nicht angreifbar durch Zweifel an der Person – wie sie im Fall Michael Jackson kürzlich mit der HBO-Dokumentation „Leaving Neverland“ und Bezichtigungen des vielfachen Kindesmissbrauchs wieder aufgeflammt sind. Denn da ist noch mehr als das (Allzu-)Menschliche …

    Diese Bedeutung zeigt sich bizarrerweise gerade in so befremdlichen Aktionen, wie es sie bereits am Montag mit einem „großen Presseevent zum Todestag“ in München gegeben hat. Da war etwa die „Michael Jackson“-Suite im Bayerischen Hof zu besichtigen, in der jener bei seinen Gastspielen in München übernachtet hatte und bei jedem Blick aus dem Fenster von tagelang ausharrenden Fans bekreischt worden war. Zudem performten die beiden Hauptdarsteller des Jackson-Musicals „Beat It!“ am Münchner Michael-Jackson-Denkmal auf dem Promenaden-Platz. Und mit von der Gedenk-Partie waren etwa der frühere Chefredakteur der Bravo, der Chef des Rock Museum Munich, ein ehemaliger Jackson-Leibwächter, ein Sammler von Original-Jackson-Kleidung …

    Michael Jackson: Was für eine Inszenierung...

    Eine künstliche Inszenierung, die den abermillionenfach und weltweit vergossenen Tränen jenes 25. Juni 2009 nicht ferner erscheinen könnte. Um 14.26 Uhr Ortszeit war damals in Los Angeles Michael Jackson für tot erklärt worden, einer akuten Vergiftung durch Narkosemittel erlegen. Er, der über Jahrzehnte hinweg als „King of Pop“ galt, Herrscher über die mächtigste Unterhaltungsbranche der Welt also, da gerade mal 50 Jahre alt.

    Aber genau in diesem Dreieck muss sie doch zu finden sein, die Erklärung für jene Bedeutung, die über Zahlen und Person hinausgeht: Zwischen der Liebe der Fans, der medialen Inszenierung und dem Können des Künstlers, der ja zuvor schon mit seinen Brüdern als The Jackson Five Erfolge gefeiert hatte, dann aber die Musikwelt veränderte. Wie wurde aus einem talentierten jungen Mann die Ikone? Und was macht diese Ikone aus?

    Gnadenlose Inszenierung: Ein Musical-Darsteller, als Michael Jackson verkleidet, am Montag im Münchner Hotel Bayerischer Hof.
    Gnadenlose Inszenierung: Ein Musical-Darsteller, als Michael Jackson verkleidet, am Montag im Münchner Hotel Bayerischer Hof. Foto: Tobias Hase, dpa

    Der Prozess um Michael Jacksons Tod

    Michael Jackson starb im Juni 2009. Von Ende September bis Anfang November 2011 stand sein Leibarzt vor Gericht.

    25. Juni 2009: Michael Jackson (50) stirbt an einer Vergiftung mit dem Narkosemittel Propofol. In den Mittelpunkt der Ermittlungen rückt Jacksons Privatarzt Conrad Murray, der ihm das Mittel möglicherweise gespritzt hat.

    4. September 2009: Jackson wird auf einem Prominentenfriedhof bei Los Angeles beerdigt.

    4. Januar 2011: Vor Gericht beginnt Murrays Anhörung. Zeugen sagen gegen ihn aus. Bald darauf wird er angeklagt.

    27. September 2011: Der Prozess gegen Murray beginnt in Los Angeles. Die Anklage wirft ihm «grobe Fahrlässigkeit» vor, die Verteidigung weist Jackson selbst die Schuld zu.

    3. Oktober 2011: Die Notärztin, die Jackson für tot erklären ließ, erhebt schwere Vorwürfe gegen den Leibarzt. Er habe ihr verschwiegen, dass er ein Narkosemittel verabreicht hatte.

    6. Oktober 2011: Eine Ermittlerin räumt vor Gericht Fehler bei der Spurensicherung ein.

    12. Oktober 2011: Ein Kardiologe wirft Murray vor, er habe seine ärztlichen Pflichten grob vernachlässigt. So habe er den Notarzt zu spät alarmiert. Zudem habe er die Wiederbelebungsversuche verpatzt.

    28. Oktober: Ein Facharzt erklärt, der Popstar habe sich die tödliche Dosis des Betäubungsmittels Propofol womöglich selbst gespritzt.

    7. November 2011: Die zwölf Geschworenen fällen ihr Urteil. Conrad Murray ist demnach schuldig.

    29. November 2011: Conrad Murray wird wegen fahrlässiger Tötung zu vier Jahren Haft verurteilt.

    Zwei Experten helfen, das zu verstehen. Da ist zum einen Rein Wolfs, Intendant der Bundeskunsthalle in Bonn. Dort veranstaltet er derzeit mit „On The Wall“ eine Ausstellung über die Popikone Michael Jackson, wie sie gerade abseits der Musik wirkte, in der ganzen Popkultur. Natürlich ist da auch das wohl erste ikonische Porträt aus dem Jahr 1984 zu sehen, das gleich von Pop-Art-Papst Andy Warhol persönlich stammte. Aber auch die Anverwandlung eines klassischen Herrschergemäldes hängt hier, Jackson frei nach Rubens hoch zu Ross, ein Auftragswerk des afroamerikanischen Künstlers Kehinde Wiley, der auch schon Barack Obama porträtierte. Ikonenmalerei. Und da ist Susanne Binas-Preisendörfer, Professorin für Musik und Medien an der Universität Oldenburg, eine Expertin auch in der Entwicklung der Popmusik.

    Michael Jackson war ja bereits Ende der 70er Jahre solo erfolgreich, mit Hits wie „Rock With You“ – ein „sehr talentierter junger Künstler mit gewaltiger Präsenz“, sagt Rein Wolfs. Aber als „ein romantischer Sänger, den die Musikindustrie so nicht weiter als Person inszenieren konnte“, ergänzt Binas-Preisendörfer. Und gerade diese Industrie habe sich zu jener ja entscheidend verändert. „Es findet eine ungeheure Konzentration in der Musikwelt statt, in einer Fusionswelle verleiben sich die großen Plattenfirmen viele kleineren Plattenfirmen ein.“

    Und dann folgt „Thriller“

    MCA – das später zum bis heute bekannten Branchenriesen Universal wurde – kauft etwa das legendäre Label Motown auf, zu dessen Künstlern der junge Michael Jackson gehört. Und dann folgt „Thriller“. Der Beginn einer neuen Karriere des Michael Jackson – der Beginn einer neuen Ära der Popwelt.

    1982 erschien das meistverkaufte Album aller Zeiten. In der Bundeskunsthalle ist dazu das Werk „King“ der Künstlerin Candice Breitz zu sehen, in dem 16 deutsche Jackson–Fans je ein Lied des Albums singen, tanzen, darstellen – und dabei mit ihrem Idol möglichst zu verschmelzen versuchen.

    Für die Popwelt besonders bedeutend ist aber das Video von einst zum Titelsong. Für Rein Wolfs zeigt „Thriller“ mit dem legendären Zombie-Tanz Jackson als den ersten Künstler, der imstande ist, Musik in einem Clip so stark visuell inszeniert darzustellen. Den Starsänger und die Verschmelzung seiner Musik mit seinem tanzenden Körper, das habe es auch bei Elvis schon gegeben – aber hier erreiche das eine neue Dimension, wird samt einer Erzählung zu einem modernen Musiktheater. Bis heute ist das bis in die weltweiten Konzertshows hinein richtungsweisend. Damals kam es genau rechtzeitig zum Beginn des MTV-Zeitalters, in dem die Musikindustrie den Videoclip als neues Verkaufsargument entdeckt habe, so Rein Wolfs.

    Ein Genie-Streich Jacksons also? „Gerade nicht“, sagt Susanne Binas-Preisendörfer. Denn „Thriller“ sei ja vielmehr wie so vieles in dieser legendenbildenden Karriere-Phase nicht dessen Werk, sondern das von Songwriter Rod Temperton und vor allem das von Produzent Qunicy Jones. Denn der habe es Jackson dann eben auf den Leib maßgeschneidert. Hier zeigten sich die Funktionsweisen einer finanzstarken Industrie am Aufbruch in ein neues mediales Zeitalter: Durch hochgradig spezialisierte Arbeitsteilung wird mit den erweiterten Möglichkeiten ein Produkt geschaffen – und die Person des Künstlers werde durch „ein perfekt inszeniertes Rollenspiel“ im Video zum Darsteller verwischt. Die Professorin sagt: „Ob Michael Jackson neue Maßstäbe gesetzt hat? Nein, vielmehr entsteht er durch diese neuen Maßstäbe. Er ist wirklich ein Produkt seiner Zeit.“

    Auch Rein Wolfs sagt: „Michael Jackson zeigt, wie wir als Gesellschaft seit den 80er Jahren imstande sind, weltumspannende Ikonen aus dem Nichts heraus zu schaffen.“ Daran habe die Musikindustrie gesehen, dass durch das Investieren von riesigen Summen in die Vermarktung eines einzigen Produkts ein sogar viel größerer Gewinn erzielt werden konnte – ein „Höhenflug des kapitalistischen Zeitalters“. Die Macher lernten, sagt Wolfs, sich dessen zu bedienen, worauf die Schaffung einer Ikone bei den Konsumenten aufbaut: „Hysterisches Potenzial.“ Und nährte es dann auf allen Kanälen. Susanne Binas-Preisendörfer nennt das damalige Aufkommen der CD und die beginnende Digitalisierung.

    Die Professorin sagt: Es traf Michael Jackson zufälligerweise

    Warum aber ausgerechnet Michael Jackson? Etwa nur, weil er einfach zur richtigen Zeit das nötige Glück hatte, quasi als Darsteller auserwählt zu werden? Die Professorin sagt tatsächlich: „Ja, es hat ihn zufälligerweise getroffen.“

    Die Buchstaben "MJ" stehen umringt von Blumen, Bildern und Kerzen vor der Gedenkfeier zum 10. Todestag von Michael Jackson an dessen Denkmal am Münchner Promenadeplatz.
    Die Buchstaben "MJ" stehen umringt von Blumen, Bildern und Kerzen vor der Gedenkfeier zum 10. Todestag von Michael Jackson an dessen Denkmal am Münchner Promenadeplatz. Foto: Tobias Hase, dpa

    Aber was ist mit so unverkennbaren Markenzeichen? Dem Sound, Bewegungen wie dem „Moonwalk“, den auch Kunsthallen-Intendant Wolfs als prägend für dessen Karriere ausmacht? In der Ausstellung in Bonn ist etwa das Werk „P.Y.T.“ von Appau Jnr Boakye-Yiadom zu sehen: In einer innen weiß bemalten Rotunde stehen zwei schwarze Slipper auf der Spitze, so wie es Jackson in seiner eingefrorenen Bewegung immer wieder in Konzerten praktizierte. Typisch, originär? Die Musikprofessorin wiegelt ab. Zur Musik: „Damals entdeckten die jungen Hip-Hopper sowieso gerade die alten Funk- und Soul-Platten ihrer Eltern wieder – der Weg in den Mainstream sei nur eine Frage der Zeit gewesen.“ Und zum Tanz etwa mit dem rückwärts gleitenden Schritt? „Eine bereits in den 40ern bekannte Bewegung, die in den 80ern ohnehin im Breakdance üblich war.“

    Typisch sei für die Figur Michael Jackson viel eher dieses Anverwandeln und damit die ständige Wandlung des eigenen Äußeren und der eigenen Darstellung, die bereits in „Thriller“ begonnen und dann bei „Black or White“ zum Höhepunkt gelangt sei. Das Video von 1991 zeigt, wie sich durch Morphen verschiedenster Gesichter Identitäten auflösten, wie Jackson zu jedem und allem werden könne. Und tatsächlich habe man bei ihm ja bald nicht mehr gewusst: Mann oder Frau, Erwachsener oder Kind – und beim „Moonwalk“ auch Mensch oder Maschine?

    Diese Verwandlungen sind es, die für Wolfs Faszination und Wirkung dieses Künstlers ausmachen und beispielgebend für die Popwelt wurden. Nur dass bei der heute extrem erhöhten Umlaufgeschwindigkeit wohl keine Ikone mehr entstehen könne von einer Beständigkeit, wie es eben diese erste hatte: Michael Jackson. Zumal heute, ergänzt Binas-Preisendörfer, das zu deren Schaffung nötige, ganz große Geld ohnehin nur die Betreiber der Online-Plattformen hätten …

    Wo Michael Jackson als Heiland zu sehen ist

    Aber dann ist da ja auch noch „Heal The World“ von 1992, die Hoffnung, die Welt zu einem besseren Ort zu machen, das Lied, von dem Jackson sagte, er sei am stolzesten, es geschrieben zu haben. Wolf Reins sieht darin den Versuch des Künstlers, sich im zweiten Karriereabschnitt auch selbst zu einer Ikone zu stilisieren: eine Selbstbehauptung als messianische, heilerische Figur. In der Bundeskunsthalle gibt es dazu eine Fotoserie von David La Chapelle, „American Jesus“, in der Jackson als Heiland, als Leichnam nach dem Kreuzestod und als Erzengel Michael zu sehen ist. Für Fans, die diese Ausstellung besuchen, mag der echte Michael Jackson diese heilige Figur bis hin zum Opfer geblieben sein. Für die, die dem Star kritischer gegenüberstehen, dürfte darin nicht erst seit den kürzlichen Entwicklungen ziemlicher Zynismus liegen.

    Die Ikone mag in ihrer Bedeutung für die Popgeschichte fest verankert liegen – und noch fortwirken im Schaffen von heutigen Künstlern von Beyoncé und Bruno Mars bis zu Justin Timberlake und auch K-Pop-Gruppen mit ihren Videos. Das Bewusstsein, mit dem auf die Ikone geblickt wird, ist aber eben nicht zeitlos. Zehn Jahre nach dem Tod des Weltstars hat Susanne Binas-Preisendörfer nachgesehen: „Wer sich im Internet als der Kommunikationsmaschine unserer Zeit auf die Suche macht, um herauszufinden, was von ihm übrig ist, stößt auf eine Pathologisierung.“ Das Leben des Michael Jackson, beschrieben in zehn Punkten, bedeute heute: dass mehr als die Hälfte davon mit krankhaften Zuschreibungen an seine Person zu tun haben.

    Und dessen ehemaliger Leibfotograf Todd Gray stellt seine einst für die private Seite der Ikone stehenden alten Auftragsarbeiten in Bonn nun neu und anders aus: Jacksons Kopf ist dabei unkenntlich oder mit Bildern „echter, stolzer schwarzer Männer“ überklebt.

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