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Debatte: Wenn jeder nur für seine Freiheiten kämpft, verlieren wir alle

Debatte

Wenn jeder nur für seine Freiheiten kämpft, verlieren wir alle

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    Wenn jeder nur für seine Freiheiten kämpft, verlieren wir alle
    Wenn jeder nur für seine Freiheiten kämpft, verlieren wir alle Foto: Annette Zoepf

    "Wir haben das zu Hause besprochen und eine private Entscheidung getroffen: Wir nehmen das Risiko in Kauf. Keiner macht dem anderen Vorwürfe. Es hat eh keiner Angst, sich anzustecken": Wie oft habe ich 2020 diese Worte gehört? Zehnmal? 15 Mal? 20 Mal? Im Gespräch mit Freunden, auch guten. Im Gespräch mit Bekannten, auch nahen. Vor Geburtstagen. Vor Weihnachten. Vor Silvester.

    So verantwortungsbewusst und nachvollziehbar das zunächst klingen mag: Es ist unverantwortlich. In der Corona-Pandemie ist eine solche eben keine private Entscheidung. Das Ausnutzen individueller Freiheitsrechte beschränkt im Zweifelsfall das Recht des Anderen auf Unversehrtheit. Der Angstlose trifft den Angstvollen an der Wursttheke. Beim Arzt. Auf der Arbeit. Und er gefährdet das Leben des Anderen. Vielleicht nicht mutwillig, aber mindestens leichtfertig. Spätestens in diesen Momenten wird aus der privaten eine Entscheidung fürs Kollektiv. Wenn sich alle ihre kleinen Freiheiten gönnen, kriegen wir die Pandemie nicht eingedämmt.

    Immanuel Kant hat die Überschrift über viele der aktuellen Diskussionen bereits vor mehr als 200 Jahren gesetzt: Die Freiheit des Einzelnen endet dort, wo die Freiheit des Anderen beginnt. Das Kollektiv besteht aus der Gesamtheit der Individuen. Jeder "Einzelne" ist auch der "Andere". In der Pandemie kann der Einzelne mit seiner eigenen Entscheidung dafür sorgen, dass der Andere keine eigene Entscheidung mehr treffen kann.

    Die Freiheit ist ein hohes Gut, eines der höchsten. Deutschland ist ein freies Land. Hier darf jeder sagen, was er für richtig hält - auch öffentlich. Die Grenzen setzen nur Gesetze. Deutsche müssen sich Freiheit nicht verdienen, sie wird ihnen geschenkt. Zum Schutze des Kollektives müssen wir aktuell schmerzhafte Einschränkungen des individuellen Freiheitsrechts hinnehmen. Das tut weh und darf nur von begrenzter Dauer sein. Doch die Frage muss gestattet sein, von welcher Freiheit wir eigentlich sprechen, wenn wir darüber klagen: die Freiheit aller oder doch die Freiheit unserer selbst?

    Corona: Es gibt keine absoluten Wahrheiten, aber die Pflicht zur Solidarität

    Die Coronakrise ist eine existenzielle Herausforderung für das Individuum und für das Kollektiv. Alle Menschen sitzen im selben Boot. Allerdings ist der mentale Widerstand, gegen den es anzupaddeln gilt, individuell. Menschen gehen unterschiedlich mit Ängsten um. Die einen blenden sie aus, die anderen fühlen sich übermannt. Beides ist nicht zu bewerten, weil typ-, situations- und informationsabhängig. Erst recht in Zeiten wie diesen, in denen es wenig absolute Wahrheiten zu geben scheint. Es kann somit gar kein "Richtig" oder "Falsch" beim individuellen Bewerten dieser Gefahrenlage geben. Es kann aber ein paar "Richtigs" oder "Falschs" in den daraus resultierenden Handlungen geben. Und es muss eine Akzeptanz des Rechts auf Unversehrtheit des "Anderen" geben.

    Laut Immanuel Kant ist Mündigkeit ein Instrument zur Erlangung von Freiheit. In der Berliner Monatsschrift schreibt er: "Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!" Der Appell hat an Aktualität nicht verloren. Jeder hat selbstverständlich die Freiheit, zu einer individuellen Entscheidung zu gelangen. Er muss sich in dieser existenziellen Krise, in der es mitunter um Leben oder Tod geht, aber auch seines Verstandes bedienen. Wer das tut, der wird den Unterschied zwischen einer vermeintlich privaten und einer tatsächlich kollektiven Entscheidung im Zusammenhang mit der Ausbreitung des Virus übrigens recht schnell erkennen.

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