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Gesundheit: Augsburger Mediziner: "Organspende muss wieder auf die politische Tagesordnung"

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Augsburger Mediziner: "Organspende muss wieder auf die politische Tagesordnung"

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    An der Uniklinik in Baltimore wurde einem Mann vor zwei Monaten zum ersten Mal weltweit ein Schweineherz eingesetzt.
    An der Uniklinik in Baltimore wurde einem Mann vor zwei Monaten zum ersten Mal weltweit ein Schweineherz eingesetzt. Foto: Tom Jemski, University of Maryland School of Medicine, dpa

    Zwei Monate hat David Bennett mit dem transplantierten Schweineherz gelebt. Am Dienstag ist der 57-Jährige gestorben. Als weltweit erstem Patienten war dem schwer kranken Mann an der Uniklinik in Baltimore in den USA ein Schweineherz als Ersatzorgan eingesetzt worden. Dass er angesichts seiner Vorerkrankungen und zusätzlicher Komplikationen zwei Monate überlebt hat, werten die Münchner Herzchirurgen Bruno Reichart und Paolo Brenner vom Klinikum Großhadern der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) dennoch als gutes Ergebnis, wie sie gegenüber der erläuterten. Zusammen mit dem Tiermediziner Eckhard Wolf vom Gene Center der LMU zählen sie zu den weltweit führenden Experten bei der Forschung mit tierischen Spenderorganen.

    Entscheidend sei der erste Monat für die Abstoßungsreaktion, erklärt Reichart. „Alles, was über vier Wochen geht, ist ein Erfolg.“ Der Tod des Mannes sei tragisch. Es sei ihm aber schon vor der OP sehr schlecht gegangen. „Der Patient war allgemein zu krank. Auch ein menschliches Herz hätte vermutlich nicht geholfen.“ Wichtig seien nun die Klärung der genauen Todesursache und der Ausschluss einer Abstoßungsreaktion.

    Professor Matthias Anthuber war von Anfang an skeptisch

    Fest steht aber: Die Forschungen werden fortgesetzt. Und in München, wo unter Hochdruck an der Zucht genveränderter Schweine und an Medikamenten zur Immunsuppression gearbeitet werde, könnte es nach Angaben von Brenner möglicherweise in einem halben bis einem Jahr zu einem ähnlichen Heilversuch wie in den USA kommen. Darüber hinaus plane das Team eine klinische Studie mit fünf bis sechs Patienten. Eine entsprechende Zulassung sei beim Paul-Ehrlich-Institut bereits beantragt. Start soll voraussichtlich 2024 sein. Es müssten allerdings für die Studie Patienten ausgewählt werden, die nicht so krank seien.

    Professor Matthias Anthuber war von Anfang an skeptisch. Er ist der Direktor der Klinik für Allgemein-, Viszeral- und Transplantationschirurgie am Uniklinikum Augsburg und bringt eine über 30-jährige Erfahrung mit. Der Mediziner unterstützt alle wissenschaftlichen und klinischen Bemühungen um die Einführung der sogenannten Xenotransplantation, also der Übertragung von tierischen Organen auf den Menschen. „Aber es sind unvorstellbar hohe biologische Hürden zu überwinden, damit ein genetisch verändertes tierisches Organ vom menschlichen Organismus angenommen wird. Die Xenotransplantation ist noch immer hoch experimentell. Bis sie in breiter klinischen Anwendung funktioniert ist es sozusagen noch ein tierisch weiter Weg.“

    Die Zahl der Organspender ist noch weiter zurückgegangen

    Und gerade, weil es nach Einschätzung von Anthuber noch sehr lange dauern wird, bis Organe von Tieren schwer kranken Menschen helfen können, fordert der erfahrene Arzt die Politik auf, die gesetzlichen Rahmenbedingungen zu ändern: „Das Thema Organspende muss wieder auf die politische Tagesordnung. Wir sehen doch: die jetzigen gesetzlichen Maßnahmen reichen bei weitem nicht aus, um den gordischen Knoten zu durchschlagen.“ Denn die seit 2020 gültige Entscheidungslösung habe zu keiner Zunahme von Organspenden geführt, im Gegenteil. „Die Zahl der Organspender ist in den vergangenen Monaten noch weiter zurückgegangen“, sagt Anthuber. „Bei uns kommen etwa zehn Organspender auf eine Million Einwohner, damit ist Deutschland fast Schlusslicht im internationalen Vergleich.“ Und auch der versprochene Aufbau eines bundesweiten Organspender-Registers lasse noch immer auf sich warten, kritisiert er.

    Daher setzt sich der Transplantationsmediziner seit langem für die Widerspruchslösung ein. Sie würde bedeuten, dass jeder Mensch ein potenzieller Organspender ist, es sei denn, er widerspricht dem klar zu Lebzeiten. „Der jetzige Weg, dass Hausärzte alle zwei Jahre ihre Patientinnen und Patienten ausführlich über die Organspende aufklären sollen, geht an der Praxisrealität völlig vorbei. Das schaffen die engagiertesten Ärzte nicht“, sagt Anthuber. Und auch andere öffentliche Stellen wie Pass- und Meldeämter könnten diese wichtige Aufklärung nicht gewährleisten, da ihnen sowohl das Wissen, aber auch die Zeit fehlten. Doch gerade Aufklärung und Information sind so wichtig, weiß Anthuber. Denn noch immer halten sich falsche Gerüchte. So zum Beispiel, dass schwer kranke Menschen, die Organspender sind, nicht mehr mit allen medizinischen Möglichen behandelt werden. „Diesen Vorwurf muss man konsequent zurückweisen“, betont Anthuber.

    Professor Matthias Anthuber ist der Direktor der Klinik für Allgemein-, Viszeral- und Transplantationschirurgie am Universitätsklinikum Augsburg.
    Professor Matthias Anthuber ist der Direktor der Klinik für Allgemein-, Viszeral- und Transplantationschirurgie am Universitätsklinikum Augsburg. Foto: Bernhard Weizenegger

    Und Corona hat die Lage noch verschärft: „Die Pandemie hat dazu geführt, dass die Versorgungsqualität von Patienten, die nicht an Corona erkrankt waren, nicht im gewünschten Maße aufrechterhalten werden konnte“, sagt Anthuber. „Es hat eine gewisse Verdrängung stattgefunden, wie man von den vielen verschobenen Operationen weiß.“ Und er ergänzt: „In dieser Ausnahmesituation ist auch das Thema Organspende aus dem Fokus geraten.“ Dabei müsse weiterhin alles versucht werden, den eklatanten Mangel an Organspenden intensiv zu bekämpfen. (mit dpa)

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