Startseite
Icon Pfeil nach unten
Panorama
Icon Pfeil nach unten

Verschwörungserzähler: Wird Attila Hildmann jetzt ausgeliefert?

Verschwörungserzähler

Wird Attila Hildmann jetzt ausgeliefert?

    • |
    Attila Hildmann verbreitet seit Jahren antisemitische Verschwörungserzählungen. Deutschland hält er zum Beispiel für "eine Strafkolonie von Israel“.
    Attila Hildmann verbreitet seit Jahren antisemitische Verschwörungserzählungen. Deutschland hält er zum Beispiel für "eine Strafkolonie von Israel“. Foto: Bernd von Jutrczenka, dpa (Archivbild)

    Wenn Stern-Reporterin Tina Kaiser darüber spricht, wie es gelang, Attila Hildmann zu finden, dann ist das so spannend wie ein Krimi. Sie selbst vergleicht ihre Arbeit mit der eines Profilers. Stück für Stück hätten sie zusammengesetzt; das entscheidende Stück seien die ungewöhnlichen Fliesen bei einem Tierarzt gewesen. Hildmann hatte unter anderem ein Foto von seiner Katze in dessen Praxis gepostet. Ein Team des Magazins und von "stern TV“ spürte ihn schließlich im türkischen Kartepe, rund zwei Stunden Fahrzeit mit dem Auto von Istanbul entfernt, auf.

    Dort war der rechtsradikale und antisemitische Verschwörungserzähler untergetaucht. Geholfen hatten den Rechercheuren Hobbydetektive, die sich "Hildbusters“ nennen. Wie die "Ghostbusters“ im gleichnamigen Kinofilm: Geisterjäger.

    Hildmann – 1981 in Westberlin als Sohn türkischer Eltern geboren und von Deutschen adoptiert – war in den vergangenen Monaten ebenfalls eine Art Geist: präsent auf Telegram, jedoch offensichtlich nicht auffindbar für die Behörden. Seit Februar 2021 wird er mit einem internationalen Haftbefehl gesucht, im Dezember zuvor hatte er sich in die Türkei abgesetzt. Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen ihn wegen Volksverhetzung, des Verdachts der öffentlichen Aufforderung zu Straftaten und Widerstand gegen die Polizei.

    Warum sich der Verschwörungserzähler in der Türkei so sicher fühlt

    Hildmann fühlt sich in der Türkei sicher, weil er nach eigenen Angaben neben der deutschen auch die türkische Staatsbürgerschaft besitzt. Trifft das zu, kann er sich tatsächlich in Sicherheit wiegen. Denn die Türkei liefert üblicherweise ihre Bürgerinnen und Bürger nicht aus.

    An Hildmann, der es mit seinen veganen Kochbüchern einst zum Star in Deutschland gebracht hatte, konnte die Öffentlichkeit in den vergangenen Jahren – ähnlich wie bei den Sängern Xavier Naidoo oder Michael Wendler – einen Prozess der Selbstradikalisierung beobachten. Bei Hildmann fiel er besonders drastisch aus. So behauptete er, Corona sei eine Erfindung der Juden und die Impfung solle uns alle töten. Und das war fast noch das Harmloseste.

    In einem TV-Beitrag, der das Aufeinandertreffen der Rechercheure mit Hildmann in der Türkei zeigt, sagt dieser: Er verbreite keinen Hass, sondern die Wahrheit. Deutschland sei "eine Strafkolonie von Israel“. Auf die Frage, warum er sich nicht den deutschen Behörden stelle, antwortet er: "Für die Wahrheit sollte ich mich nicht stellen.“ Die türkischen Behörden wüssten, wo er sich aufhalte. Ob er geschützt werde? "Sieht man doch. Ich leb doch frei hier.“ Zudem erklärt Hildmann: "Ich bin Türke.“

    Pannen und Versäumnisse: Die deutschen Behörden sehen in dem Fall nicht gut aus

    Damit erlebt die Öffentlichkeit nicht nur einmal mehr, wie dieser denkt – sie erlebt auch ein neues Kapitel einer Serie von behördlichen Versäumnissen und Pannen, die sich immer stärker zu einem Politikum ausweiten. Im Zentrum steht dabei die Frage: Wieso wurde Hildmann noch nicht zur Rechenschaft gezogen?

    Reporterin Tina Kaiser sagte am Mittwoch: "Wir hoffen alle sehr, dass die Bundesregierung beziehungsweise das Bundesministerium für Justiz jetzt endlich einen Auslieferungsantrag an die Türkei stellt, wenn sie das nicht schon getan haben.“ Von offizieller Seite habe man sich dazu jedenfalls bislang nicht geäußert – mit Verweis auf das offene Ermittlungsverfahren. Ihre Recherche solle klarmachen, wie massiv die Justiz Fehler gemacht habe.

    Erst vor knapp zwei Wochen wurde etwa bekannt, dass Hildmann wohl lediglich deutscher Staatsbürger ist. Das zumindest räumte ein Sprecher der Berliner Generalstaatsanwaltschaft auf Stern-Anfrage ein. Bekannt sei das seit April, hieß es. Bereits im Jahr 2021 wurde öffentlich, dass eine – inzwischen ehemalige – Mitarbeiterin der Generalstaatsanwaltschaft Hildmann über einen bevorstehenden Haftbefehl informiert haben soll. Immer wieder wurde der Vorwurf an die Behörde laut, kein sonderlich großes Interesse an dem Fall zu haben. Der Haftbefehl zum Beispiel sei viel zu spät erfolgt, wurde kritisiert.

    Das sagt einer der "Hildbusters" – eine Gruppe von Hobbydetektiven, die mit den Journalisten bei der Suche nach Hildmann zusammenarbeitete

    Einer der "Hildbusters“, ein Koch, sagte in einem am Freitag veröffentlichten Interview mit dem RND Redaktionsnetzwerk Deutschland: Schon letztes Jahr habe man der Generalstaatsanwaltschaft mitgeteilt, dass Attila Hildmann keinen türkischen Pass habe. Und weiter: Noch in der Türkei – wo er mit dem Reporter-Team war – habe man das deutsche Generalkonsulat verständigt und die Berliner Generalstaatsanwaltschaft informiert. Seit zwei Wochen sei er jetzt wieder aus der Türkei zurück, sagte er, eine Reaktion habe er allerdings nicht erhalten. "Ich habe das Gefühl, dass es ein Politikum ist – dass Hildmann einfach ein zu kleines Licht ist, um sich richtig dahinterzuklemmen. Als – in Anführungsstrichen – kleiner Volksverhetzer mit einer riesigen Reichweite.“

    Der Stern, der fünf Behörden um Auskunft zum Stand der Ermittlungen und eines möglichen Auslieferungsverfahrens gebeten hatte, schrieb: Es sei "nicht einmal klar, inwiefern es von deutscher Seite überhaupt Bemühungen gibt, Hildmann hierzulande vor Gericht zu stellen“. Allerdings: Den deutschen Behörden seien die Hände gebunden, solange die türkische Polizei nichts unternehme. Diese müsste ihn festnehmen und nach Deutschland überstellen. Auf Anfrage unserer Redaktion, ob Hildmann ausgeliefert werde, wollte sich die Generalstaatsanwaltschaft Berlin am Freitag nicht äußern.

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden