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Attentat von Hanau: Trotz wirrer Schreiben: Warum kam Tobias R. legal an Schusswaffen?

Attentat von Hanau

Trotz wirrer Schreiben: Warum kam Tobias R. legal an Schusswaffen?

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    Die Bluttat von HanauGedenken an Tatort in Hanau: „Wir stehen zusammen“, steht auf dem Gedenkschild.
    Die Bluttat von HanauGedenken an Tatort in Hanau: „Wir stehen zusammen“, steht auf dem Gedenkschild. Foto: Andreas Arnold, dpa

    Die Morde von Hanau werfen Fragen auf: Etwa, warum jemand wie Tobias R. im Besitz eines Waffenscheins sein konnte. Inzwischen gehen die Ermittler offiziell davon aus, dass der mutmaßliche Todesschütze von Hanau psychisch krank war. Der Präsident des Bundeskriminalamts, Holger Münch, sprach am Freitag in Berlin auf Grundlage erster Einschätzungen von einer offensichtlich „schweren psychotischen Krankheit“. Doch dies hätte den Sicherheitsbehörden rechtzeitig auffallen können. Tobias R. selbst hatte sich an sie gewandt.

    Der mutmaßliche Todesschütze stellte im November bei der Bundesanwaltschaft eine Strafanzeige gegen eine „unbekannte geheimdienstliche Organisation“. Er beschreibt darin, wie eine mächtige Organisation sich „in die Gehirne der Menschen einklinkt“, um „das Weltgeschehen zu steuern“. Trotz der kruden Verschwörungstheorien kam niemand im Sicherheitsapparat auf die Idee, zu prüfen, wer dieser R. eigentlich ist. Hätte ein Beamter genau hingeschaut, hätte auffallen können, dass R. im Besitz eines Waffenscheines ist.

    Trotz wirrer Schreiben: Wie konnte Tobias R. legal an Waffen kommen?

    Der Täter hatte im Jahr 2013 eine waffenrechtliche Besitzerlaubnis bekommen. In der Waffenbesitzkarte des Sportschützen seien zuletzt zwei Waffen eingetragen gewesen. Erst 2019 wurde die Erlaubnis für Tobias R. von der Kreisbehörde überprüft – ohne Auffälligkeiten. Der Spiegel zitierte einen früheren Mitarbeiter der Firma, für die Tobias R. gearbeitet hatte, mit den Worten: „Die AfD war ihm nicht radikal genug.“ Demnach soll er „unglaublich ehrgeizig“ und ein Wettkampftyp gewesen sein. Mitglieder des Innenausschusses im Bundestag erfuhren von Behördenvertretern, er habe bis 2018 in München zur Untermiete gewohnt. Die Universität in Bayreuth bestätigte, dass Tobias R. dort von September 2000 bis März 2007 Student war. Wie es heißt, hat er dort ein Studium der Betriebswirtschaftslehre abgeschlossen

    Der 43-Jährige hatte am Mittwochabend neun Menschen und seine Mutter getötet, bevor er sich selbst erschoss. Durch Zeugenaussagen und Aufnahmen von Überwachungskameras kamen die Ermittler dem Mann auf die Spur. Mit Hilfe des identifizierten Autos konnte die Polizei den Wohnort des mutmaßlichen Täters ausfindig machen.

    Teile des Schreibens an die Bundesanwaltschaft vom November fanden sich auch wortgleich in Schriften des mutmaßlichen Täters auf seiner Internetseite wieder, in denen Tobias R. seine wahnhafte Gedankenwelt erklärt und rechtsextremistische, rassistische Vorstellungen ausführt, dass muslimische Länder, Israel, aber auch die halbe deutsche Bevölkerung vernichtet werden müssten.

    Nach Terror von Hanau: Was läuft schief beim Waffenbesitz in Deutschland?

    Nach dem Schock, der Deutschland nach dem Attentat ergriffen hatte, musste sich die Bundesregierung am Freitag den Fragen stellen, was falsch läuft bei Polizei, Verfassungsschutz und Justiz. SPD-Justizministerin Christine Lambrecht hatte noch keine Erklärungen parat. Sie versprach, dass nun genau untersucht werde, warum der mutmaßliche Täter Waffen legal besitzen durfte und wie die Kommunikation zwischen den Behörden besser werden könnte.

    CSU-Innenminister Horst Seehofer erhöhte in Absprache mit den Bundesländern die Polizeipräsenz in ganz Deutschland, um Nachahmer von Verbrechen abzuhalten. Sensible Einrichtungen wie Moscheen werden verstärkt überwacht. „Die Gefährdungslage durch Rechtsextremismus, Antisemitismus und Rassismus ist in Deutschland sehr hoch“, sagte Seehofer. Der Innenminister bemüht sich in der Bundespressekonferenz, die Handlungsfähigkeit des Staates aufzuzeigen. Nach der Ermordung des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke und dem Anschlag auf eine Synagoge in Halle ist die Bluttat in Hanau der dritte Fall in kurzer Zeit, bei dem eine rechtsextremistisch motivierte Tat nicht verhindert werden konnte. Seehofer sagt, seit den Morden des sogenannten Nationalsozialistischen Untergrunds ziehe sich der rechte Terror wie „eine Blutspur“ durch das Land.

    Bisher hat die Bundesregierung vor allem zwei Konsequenzen aus der Anschlagsreihe gezogen: eine Verschärfung des Waffengesetzes und ein Anti-Hass-Gesetz, das es leichter machen soll, strafrechtlich relevante Inhalte im Internet zu ahnden. Volksverhetzung müsse immer gemeldet werden, sagte Lambrecht, da es die Grundlage für Verschwörungstheorien und der Nährboden für Gewalttaten sei: „Meinungsfreiheit hört da auf, wo Strafrecht beginnt.“

    So reagiert Innenminister Seehofer auf das Attentat von Hanau

    Seehofer schloss eine weitere Verschärfung des Waffenrechts nicht aus. Sportschützenvereine sollten nicht unter Generalverdacht stehen, aber er wolle auch „um Verständnis bitten, dass es unsere Verantwortung ist, schwarze Schafe herauszufiltern“. Laut dem Gesetz können Menschen Waffen entzogen werden, die in extremistischen Vereinigungen aktiv sind, „auch wenn die Vereinigung nicht verboten ist“. Das Gesetz ist erst seit Donnerstag in Kraft.

    Nun will Seehofer die bestehenden Gesetze, vor allem die neuen, austesten und verstärkt nutzen. Es werde als Reaktion auf Hanau „nicht mehr Personal und Paragrafen“ geben Der CSU-Politiker nannte Beispiele, bei denen in jüngster Zeit Anschläge verhindert worden seien. Sprengstoff, Handgranaten und automatische Waffen – all das sei bei Durchsuchungen in den letzten Tagen sichergestellt worden. Beide Bundesminister sagten dem Rechtsextremismus den Kampf an. „Keinen Fußbreit diesem braunen Sumpf, keinen Fußbreit diesen rassistischen Ideologien“, erklärte Lambrecht. Der „rassistische Hintergrund dieser Tat ist aus meiner Sicht vollkommen unbestritten und kann durch nichts relativiert werden“, sagte Seehofer.

    Lesen Sie dazu auch: Der unauffällige Terrorist: Was Tobias R. so gefährlich machte

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