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Kommentar: Das Bürgergeld kommt, die Probleme bleiben

Kommentar

Das Bürgergeld kommt, die Probleme bleiben

Michael Pohl
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    Der Weg für das neue Bürgergeld ist frei.
    Der Weg für das neue Bürgergeld ist frei. Foto: Monika Skolimowska, dpa (Symbolbild)

    Dass der Begriff Hartz IV aus der Sozialpolitik verschwinden soll, kann man nur begrüßen. Nicht nur, weil sein rechtskräftig verurteilter Namensgeber fest mit der peinlichen Korruptionsaffäre des Volkswagen-Konzerns verbunden ist, bei der Betriebsräte unter anderem mit Prostituierten-Diensten geschmiert wurden. Auch die Arbeitsmarktreform des Vertrauten des damaligen SPD-Bundeskanzlers Gerhard Schröder wurde im Nachhinein zu Unrecht als Wirtschaftswunder verklärt.

    Hartz IV und Bürgergeld: Wie es zum Prinzip "Fördern und Fordern" kam

    Größeren Verdienst als der VW-Manager Peter Hartz bei der beachtlichen Leistung, aus dem Milliardenmoloch der damaligen Bundesanstalt für Arbeit eine schlankere, auf tatsächliche Kernaufgaben getrimmte Bundesagentur zu machen, hatte zweifellos ihr damals wenig beliebter und später vom Hof gejagter Vorstandschef Florian Gerster. Zuvor erfand er als innovativer SPD-Sozialminister von Rheinland-Pfalz jenes Prinzip des "Förderns und Forderns" mit, das heute auch die Bürgergeld-Reform der Ampel überdauern soll. Gerster dämmte die an eine Lebenslüge grenzende Praxis ein, hunderttausende Arbeitslose vor der Arbeitslosenstatistik zu verstecken und in "Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen" oder aussichtslose Umschulungen zu parken. 

    Gersters bis heute währende Verdienste sind ebenso vergessen, wie die Frage, wer eigentlich den Preis für die Hartz-Reformen bezahlen musste. Viele denken dabei an die immer noch zu hohe Zahl der Langzeitarbeitslosen. Den Hauptpreis der Hartz-Reformen haben jedoch Menschen bezahlt, die stets darum kämpfen müssen, zur Mittelschicht zu zählen. 

    Denn Kern der Hartz-Reformen war weniger das hohe Lied vom "Fördern und Fordern". Kernstück war die faktische Abschaffung der Arbeitslosenhilfe. Sie schützte ein halbes Jahrhundert lang Arbeitsuchende davor, nach Auslaufen des Arbeitslosengeldbezugs in die Armutsfalle der Sozialhilfe abzustürzen. Sie bewahrte sie aber ebenso davor, einen Job annehmen zu müssen, der oft erheblich schlechter bezahlten war als ihre vorherige Stelle.

    Der wahre Verlierer von Hartz-IV war die untere Mittelschicht

    Offiziell wurden bei der Hartz-Reform Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe "zusammengelegt" zum neuen "Arbeitslosengeld II", wie Hartz-IV seitdem offiziell hieß. Tatsächlich verschwand die Arbeitslosenhilfe einfach. Der Druck auf Arbeitslose, sich schnell einen neuen – auch deutlich schlechteren – Job zu suchen, entfaltete angesichts des Schreckgespenstes Hartz IV große Wirkung. 

    Für die Arbeitsmarktstatistik erwies sich dies als sehr positiv. Auch eröffnete es zweifellos nach Durststrecken viele neue Karrieren. Doch zugleich entstand damit ausgerechnet im reichen und teuren Deutschland ein gigantischer Niedriglohnsektor mit fatalem sozialen Ungleichgewicht: Über 20 Prozent der Deutschen arbeiten zu Niedriglöhnen, so viel wie in keinem anderen westlichen EU-Land: In Frankreich und Italien sind es nur 8,5 Prozent, in Portugal und Schweden nur vier Prozent. 

    Der größte Fortschritt des Bürgergelds liegt beim Hinzuverdienst

    An all dem ändert das neue Bürgergeld nichts. Der peinlich große Niedriglohnsektor führt auch dazu, dass das Thema des sogenannten "Lohnabstands" so großen sozialen Sprengstoff birgt: Es geht um die Frage, wie sehr sich Arbeit lohnt. SPD und Gewerkschaften reagierten extrem heftig mit "Fake News" und Lügenvorwürfen, als die Union in der Bürgergeld-Debatte an diesem Tabuthema rührte. Die Übernahme der Wohnkosten führt dazu, dass gerade in Großstädten Leistungsempfänger mit Familien brutto mehr vom Staat bekommen, als Vollzeitbeschäftigte in günstigeren Wohngegenden, auch wenn es netto ganz anders aussehen mag. Dass der DGB in seinen Gegenbeispielrechnungen eine Warm(!)-Miete von 770 Euro für eine vierköpfige Familie veranschlagt, dürfte nicht nur für junge Familien in Großstädten realitätsfern anmuten. 

    Abseits der auf allen Seiten mit einem Schuss Ideologie geführten Debatten um Sanktionen und Schonvermögen verhandelte ausgerechnet die FDP mit Unterstützung der Union einen der größten sozialen Fortschritte in das neue Bürgergeld hinein. Die jetzt deutlich höheren Hinzuverdienst-Grenzen bieten eine echte Chance, dass sich für Langzeitarbeitslose Arbeiten tatsächlich finanziell sehr lohnt und eine Perspektive für einen gleitenden Übergang in den Arbeitsmarkt entsteht. 

    Ob der Name Bürgergeld aber lange seinen schönen Schein behalten wird, ist mehr als fraglich. Menschenfreundlicher als Hartz IV klang selbst dessen Vorläufer Sozialhilfe. Auch als Bürgergeld wird die Grundsicherung für den größten Teil der arbeitenden Bevölkerung eine abschreckende Armutsfalle bleiben. 

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