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Schweiz: Als Bomben auf Schaffhausen fielen

Schweiz

Als Bomben auf Schaffhausen fielen

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    So sieht die Schweizer Stadt Schaffhausen an der Grenze zu Deutschland heute aus. Vor 75 Jahren wurde sie Opfer eines US-Luftangriffs.
    So sieht die Schweizer Stadt Schaffhausen an der Grenze zu Deutschland heute aus. Vor 75 Jahren wurde sie Opfer eines US-Luftangriffs. Foto: Imago

    Ein Dröhnen schreckte gegen 10.50 Uhr die Menschen in Schaffhausen auf. Das dumpfe Geräusch näherte sich der friedlichen Stadt. Es vermischte sich mit Sirenen. Fliegeralarm. Über Schaffhausen öffneten 15 schwere Maschinen der US-amerikanischen Luftwaffe ihre Bombenklappen. Das 30 bis 40 Sekunden dauernde Bombardement am 1. April 1944 richtete furchtbare Schäden an – und es brachte das Grauen des Zweiten Weltkriegs wie nie zuvor und nie mehr danach in das kleine neutrale Land in der Mitte des umkämpften Europas: In Schaffhausen starben 40 Menschen, hunderte Menschen erlitten Verletzungen, fast 200 Häuser wurden beschädigt oder zerstört. Schaffhausen glich einem Trümmerfeld – ein Schicksal, das die helvetische Stadt mit vielen Orten in Deutschland und Europa teilte. Insgesamt wurden bei alliierten Luftangriffen im Zweiten Weltkrieg 84 Menschen in der Schweiz getötet.

    An diesem Montag, 1. April, wollen die Menschen in der Stadt in der Grenzregion zu Deutschland des Infernos vor genau 75 Jahren gedenken. Erwartet werden Schweizer Politprominenz und der US-amerikanische Botschafter in Bern. „Die Attacke am 1. April 1944 war die folgenreichste Neutralitätsverletzung der Schweiz im 20. Jahrhundert“, resümiert der Historiker Matthias Wipf im Gespräch mit dieser Zeitung. Wipf gilt als bester Kenner der Tragödie von Schaffhausen.

    „Am Morgen des 1. April 1944 hoben rund 1000 US-Flugzeuge von ihren zwei Basen in der Grafschaft Norfolk in England ab“, berichtet Wipf. Eigentlich wollten die Crews ihre tödliche Fracht über Ludwigshafen im verfeindeten Hitler-Deutschland ausklinken. Dort sollte die kriegswichtige Produktion der IG Farben getroffen werden. „Doch die US-Piloten verflogen sich völlig“, sagt der Historiker. „Miserables Wetter und rudimentäre Navigationsinstrumente brachten die Maschinen vom Kurs ab.“ Der Großteil der Luftflotte kehrte vorzeitig zurück auf die Stützpunkte in England, einige Flugzeuge überquerten auf dem Irrflug den Raum Schaffhausen in der Eidgenossenschaft. „Der Stadt Schaffhausen und ihren Bewohnern wurde ein Loch in der dichten Wolkendecke zum Verhängnis“, ist sich Wipf sicher. „Die Amerikaner sahen auf den Boden und dachten, sie hätten eine deutsche Stadt unter sich – und bombardierten.“

    Der Historiker spricht von einem „katastrophalen Irrtum“ der US-Air-Force. Die lange vertretene These, wonach die USA die Schweiz für ihre Kooperation mit dem Dritten Reich „bestrafen“ wollten, ist gemäß Wipf, der alle relevanten Akten in amerikanischen und englischen Archiven einsehen konnte, nicht länger haltbar. „Wenn die Amerikaner den Schweizern eine Lektion hätten erteilen wollen, dann hätten sie viel genauer diejenigen Industrieanlagen getroffen, die auch in Schaffhausen teilweise für Nazi-Deutschland produzierten.“

    Schnell erkannten die Amerikaner, was sie angerichtet hatten. General Carl Spaatz, Chef der strategischen US-Luftstreitkräfte in Europa, entschuldigte sich bei den Schweizern. Und US-Präsident Franklin D. Roosevelt schickte ein Schreiben an den Bürgermeister von Schaffhausen. Der US-Präsident drückte darin sein Mitgefühl über den „Verlust unschuldigen Lebens und unersetzbarer Kunstschätze“ aus. Immerhin zahlten die USA eine Kompensation von 40 Millionen Franken. Doch konnten oder wollten die US-Streitkräfte aus dem Desaster von Schaffhausen nicht die richtigen Lehren ziehen. Kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs, am 22. Februar 1945, bombardierten die Amerikaner erneut die Schweiz. Sie trafen diesmal Stein am Rhein. Neun Menschen starben, viele mehr wurden verletzt.

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