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Türkei: Arife will Deutsche werden - und sorgt damit im TV für einen Eklat

Türkei

Arife will Deutsche werden - und sorgt damit im TV für einen Eklat

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    Arife Vildan im türkischen Fernsehen.
    Arife Vildan im türkischen Fernsehen. Foto: Susanne Güsten

    Am 23. April kommen in der Türkei traditionell die Kinder zu Wort: Beim „Fest des Kindes“ dürfen sich Schüler am Kabinettstisch auf den Platz des Staatspräsidenten setzen und werden im Fernsehen interviewt. Das Land will an dem Tag seine eigene Zukunft zelebrieren. Diesmal schlug die Feiertagsstimmung in einen bitteren Streit über die Hoffnungslosigkeit der jungen Generation in einem zunehmend autokratischen Staat um.

    Junge Türkin sagt live im Fernsehen, dass sie Deutsche werden will

    Auslöser war eine Bemerkung der Schülerin Arife Vildan. In einer Livesendung des regierungstreuen Nachrichtensenders NTV fragte die Moderatorin das Mädchen nach seinen Plänen. „Ich will in Deutschland an der Universität Köln Medizin studieren und hinterher vielleicht deutsche Staatsbürgerin werden“, antwortete Arife.

    „Aber nein!“, entgegnete ihr die Moderatorin und versuchte, mit einem nervösen Kichern die Antwort des Kindes zu überspielen – in der heutigen Türkei kann selbst indirekte Kritik an den Zuständen im Land unangenehme Folgen haben. Doch es war zu spät: In den sozialen Medien brach ein Sturm los.

    Dass schon Teenager wie Arife in ihrem Heimatland keine Perspektive mehr für sich sehen, schockt viele Kommentatoren und Politiker. Nationalisten dagegen sprechen von Vaterlandsverrat und fordern eine Bestrafung der Eltern von Arife – dabei ist das Mädchen ein Waisenkind und besucht eine Istanbuler Waisenschule mit exzellentem Ruf.

    Arifes Lebenstraum ist deshalb so kontrovers, weil er an den Kern des politischen Lagerkampfes in der Türkei rührt. Die eine Seite verliert immer mehr die Hoffnung auf bessere Zeiten, die ihnen die Regierung von Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan verspricht. Auf der anderen Seite des Streits stehen regierungstreue Nationalisten, die überall Angriffe auf die Türkei wittern und dafür sind, die Zügel noch stärker anzuziehen.

    Millionen Türken hegten Träume wie Arife, schrieb der regierungskritische Kolumnist Yilmaz Özdil in der Zeitung Sözcü. Wenn sich nichts ändere, werde in ein paar Jahren in der Türkei kein Kind mehr da sein, das sich am Fest des Kindes symbolisch auf den Präsidentensessel setzt.

    Viele junge Menschen verlassen die Türkei

    Fest steht, dass die Türkei talentierte, gebildete und junge Leute verliert. Nach Zahlen des Statistikamtes verließen im Jahr 2017 rund 254.000 Menschen das Land – 42,5 Prozent mehr als 2016. Viele Wohlhabende bringen ihr Vermögen im Ausland in Sicherheit und ziehen in die USA, um ihre Kinder dort auf die Universität zu schicken. Auch Deutschland ist ein Ziel: Im vergangenen Jahr zählten die Behörden 10.655 Asylanträge aus der Türkei, rund 2000 mehr als im Vorjahr.

    Selbst Regierungsanhänger sind angesichts des von Arife geäußerten Lebensziels alarmiert. Der in Köln geborene AKP-Parlamentsabgeordnete Mustafa Yeneroglu schrieb auf Twitter, wenn junge Türken ihre Träume in Deutschland statt in der Türkei verwirklichen wollten, dann sollte das den Politikern zu denken geben.

    Nicht alle sehen das so. Es müsse untersucht werden, ob die Gülen-Bewegung Arife für ihre anti-türkischen Zwecke eingespannt habe, verlangte ein Erdogan-Anhänger auf Twitter. Andere forderten, dem Mädchen jede Unterstützung zu entziehen. Schließlich werde ihre Waisenschule mit Spenden türkischer Staatsbürger finanziert. „Dann hau doch ab nach Deutschland und sieh zu, wie du da mit eigenen Mitteln studieren kannst“, twitterte ein Nationalist.

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