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Asylpolitik: Nach dem Mord an Susanna wächst die Wut

Asylpolitik

Nach dem Mord an Susanna wächst die Wut

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    Ali B., der Tatverdächtige im Todesfall Susanna, wird von Beamten einer polizeilichen Spezialeinheit in eine Justizvollzugsanstalt geflogen.
    Ali B., der Tatverdächtige im Todesfall Susanna, wird von Beamten einer polizeilichen Spezialeinheit in eine Justizvollzugsanstalt geflogen. Foto: Hasan Bratic, dpa

    Es braut sich etwas zusammen. Dunkle Gewitterwolken hängen über Frankfurt, als Lufthansa-Flug 697 aus Erbil am Samstag gegen 20.45 Uhr auf einer Außenposition landet. An Bord ist der 20-jährige Iraker Ali B., der verdächtigt wird, die 14-jährigen Susanna vergewaltigt und ermordet zu haben. Keine 48 Stunden nach seiner Festnahme im Nordirak ist der mutmaßliche Mädchenmörder wieder in Deutschland. Ali B. trägt eine ausgewaschene Jeans und ein schwarzes Hemd, als er in Handschellen aus dem Flugzeug gebracht wird. Die Füße stecken barfuß in Sandalen. Maskierte Polizisten führen ihn zu einem Hubschrauber, der ihn zum Polizeipräsidium Westhessen nach Wiesbaden bringt.

    „Das wird sehr, sehr schlechte Folgen für unsere Leute haben“, sagt der Iraker Diyar B. Haji, der mit demselben Linienflug wie Ali B. kommt. Er leitet nach eigenen Angaben ein Flüchtlingscamp für Jesiden im Irak und fürchtet nun, dass die Bundesregierung künftig generell weniger Bereitschaft zeigt, Menschen aus arabischen Ländern aufzunehmen. Für Iraker gelte Deutschland als einer der sichersten Orte der Welt, auf den viele ihre Hoffnung setzen. Die Jesiden sind eine von der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) besonders brutal verfolgte Minderheit. Deutschland sei für ihn ein Garant für die Menschenrechte. Ali B. habe diese Werte zu zerstören versucht. Ein anderer junger Iraker aus dem Flieger findet, Deutschland solle nicht jeden aufnehmen: „Ihr solltet genau hinschauen, wen ihr akzeptiert“, ist sein Rat.

    Ali B. soll Geständnis zum Fall Susanna abgelegt haben

    Ob Ali B. überhaupt eine Ahnung hat, welche Wellen die Tat geschlagen hat, die er im Irak den Ermittlern gestanden hat? Er habe sehr angespannt und nervös gewirkt, berichtet die RTL-Korrespondentin Kavita Sharma, die mit an Bord des Flugzeuges war. Der 20-Jährige habe in der vorletzten Reihe gesessen, abgeschirmt von Bundespolizisten. Ali B. sei während des rund viereinhalbstündigen Fluges eingeschlafen.

    Am Samstag gegen 5.30 Uhr hatte die kurdische Eliteeinheit Mukafahar Ali B. auf Bitten der Bundesregierung im Haus seines Onkels in einer der besseren Gegenden der Stadt Zakho aufgestöbert. Die deutsche Regierung hat einen engen Kontakt zur kurdischen. Bundespolizisten halfen in Erbil bei der Ausbildung von Peschmerga-Einheiten, sie sind dort sehr angesehen. Deutschland hat den Kurden seit 2014 außerdem Waffen und Material im Wert von rund 90 Millionen Euro zukommen lassen. Sie sollten damit den IS niederringen.

    „Wir wussten zunächst nicht, wo der Gesuchte war. Dann haben wir acht Mann zusammengestellt und mit Agenten des lokalen Nachrichtendienstes in der Stadt Informationen gesammelt“, zitiert die Bild-Zeitung Tarek Ahmad, den Polizeichef von Dohuk. Die Beamten hätten schnell einen Verwandten gefunden und über den Mordverdacht informiert. „Von ihm erfuhren wir den genauen Aufenthaltsort.“ Offenbar habe Ali B. vorgehabt, sich vom Irak aus in ein Nachbarland abzusetzen, sagte Bundespolizei-Chef Dieter Romann, der mit den Irak gereist ist, um B. nach Deutschland zu eskortieren. Was von der an Grenze zur Türkei liegenden 350.000-Einwohner-Stadt Zakho aus leicht möglich gewesen wäre.

    Ali B. soll bei der Vernehmung durch kurdische Sicherheitskräfte die Tat gestanden haben. Er und Susanna hätten viel Alkohol getrunken und Tabletten geschluckt, sagt ihr mutmaßlicher Mörder. Dabei sei es zum Streit gekommen. Das Mädchen habe gedroht, die Polizei anzurufen. Das soll Ali B. nach eigener Aussage zu der Tat getrieben haben.

    „Ich bin froh, dass der von der deutschen Justiz gesuchte mutmaßliche Täter wieder in Deutschland ist“, sagt Bundesinnenminister Horst Seehofer, CSU. Für die Familie des Mädchens sei das nur ein schwacher Trost. „Für den Staat und unsere Gesellschaft ist es aber wichtig, dass Straftaten aufgeklärt und Tatverdächtige der Justiz zugeführt werden.“ Der Parlamentarische Staatssekretär im Innenministerium, Stephan Mayer, CSU, erklärt: „Der Fall ist ein erschreckendes Beispiel dafür, dass im Herbst 2015 nicht nur Schutzsuchende in unser Land gekommen sind, sondern auch kriminelle Straftäter.“

    Mordfall Susanna heizt Debatte um Flüchtlingspolitik an

    Mit einem Transparent mit der Aufschrift "Trauer statt Hass - gegen Gewalt an Frauen und rechte Instrumentalisierung" ziehen Demonstraten durch die Innenstadt.
    Mit einem Transparent mit der Aufschrift "Trauer statt Hass - gegen Gewalt an Frauen und rechte Instrumentalisierung" ziehen Demonstraten durch die Innenstadt. Foto: Frank Rumpenhorst, dpa

    Der Mord an Susanna hat die Debatte über die Flüchtlingspolitik auf eine neue hochemotionale Ebene gehoben. Wer einen Eindruck von der Gemütslage im Land bekommen will, der muss an diesem Wochenende auf die Straßen von Mainz blicken. Mehr als ein halbes Dutzend Demonstrationen und Trauerkundgebungen wurden wegen des Mordes an Susanna angemeldet. Die einen marschieren gegen kriminelle Flüchtlinge und illegale Einwanderung. Die anderen gegen Vorurteile und Rassismus. Die AfD lädt zur Mahnwache. Motto: „Es reicht!“

    Aus dem Verbrechen wird ein politischer Krimi, der das Land in Atem hält – mit Schauplätzen von Mainz über Berlin bis Irak. Der Fall politisiert und polarisiert so schnell und laut wie selten zuvor. Die Bild-Zeitung, die 2015 auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise die „Wir helfen“-Kampagne startete und im Bundestag sogar Buttons mit entsprechendem Wortlaut verteilte, dokumentiert die Festnahme und Auslieferung von Ali B. minutiös mit hysterischen Eilmeldungen. Das Springer-Blatt hat den Kurs beim Thema Flüchtlinge gedreht und formuliert nun Schlagzeilen wie „Wenn er abgeschoben worden wäre, würde sie noch leben...“ In einem Kommentar fordert Bild, die Bundesregierung müsse die Familie von Susanna um Verzeihung bitten. Am Samstag meldet sich Kanzlerin Angela Merkel von Kanada aus zu Wort und spricht von einem „abscheulichen Mord“, der entschieden geahndet werden müsse.

    Im Jahr drei nach der Flüchtlingskrise geht ein tiefer Riss durch das Land. Der Fall Susanna erinnert an Freiburg, wo ein Flüchtling eine junge Frau vergewaltigte und sie ertrinken ließ. Er erinnert an Kandel, wo ein Asylbewerber aus Afghanistan unter dringendem Verdacht steht, kurz nach Weihnachten die 15 Jahre alte Mia heimtückisch erstochen zu haben, bald beginnt der Prozess. Jetzt werden schnell Parallelen gezogen. Das Muster scheint gleich: Ein grausames Verbrechen. Ein totes Mädchen. Ein beschuldigter Flüchtling.

    Jeder Einzelfall schürt Empörung und Wut – und die Frage, wann ein Einzelfall zum gesellschaftlichen Problem wird. „Das ist jetzt kein Einzelfall mehr“, mahnt die Ethnologin und Leiterin des Forschungszentrums Globaler Islam an der Frankfurter Goethe-Universität, Susanne Schröter. Sie spricht von einem Kulturen-Clash in Deutschland. Die Gesellschaft müsse sich jetzt Konzepte für den Umgang mit patriarchalisch geprägten und aggressiven Männern überlegen.

    Die Polizeiliche Kriminalstatistik zeigt, dass bei schweren Straftaten wie Totschlag, Mord und Vergewaltigung überproportional oft Flüchtlinge tatverdächtig sind. Jeweils rund 15 Prozent der mutmaßlichen Täter bei diesen Verbrechen kamen als Asylsuchende nach Deutschland. Damit ist die Zahl weit höher als der Anteil der Flüchtlinge in der Bevölkerung. Mit der Herkunft allein ist die Statistik jedoch nicht zu erklären. Wichtiger sind Alter und Geschlecht. Etwa zwei Drittel der Flüchtlinge in Deutschland sind Männer – und Männer begehen auch den überwiegenden Teil der Gewalttaten. Noch dazu sind Asylsuchende im Schnitt gut 29 Jahre alt – ein Alter, in dem Menschen statistisch gesehen am häufigsten straffällig werden. Ganz egal, woher sie stammen.

    Deutschland wandelte sich von der Willkommens- zur Wutkultur

    Doch die emotionalen Reaktionen auf den Fall Susanna veranschaulichen, wie Deutschland sich verändert hat. Schon im Sommer der Flüchtlingskrise, als Hunderttausende Menschen ins Land kamen, wurde davor gewarnt, dass die Stimmung in der Bevölkerung kippen könnte. Mit der Kölner Silvesternacht 2015/2016 kippte sie dann wirklich. Nun der Mord an Susanna. Das Mädchen ist noch nicht beerdigt, da wird es schon zum Opfer der Flüchtlingspolitik von Angela Merkel stilisiert. Rechtspopulisten reiben sich die Hände. Die AfD inszeniert im Bundestag eine Schweigeminute, fordert den Rücktritt der Kanzlerin. Auf Twitter ergießt sich unter dem Hashtag #Susanna blanker Hass. Der Spalt in der deutschen Gesellschaft wächst. Aus Willkommens- wird Wutkultur. Aus „Wir schaffen das“ wird „Wir gegen die“.

    Die Umstände des Falls spielen den Flüchtlingsgegnern in die Hände: Ein irakischer Flüchtling, der in Deutschland vergeblich Asyl beantragt. Der mit Rechtsmitteln seine Abschiebung verhindert. Der mehrfach wegen Pöbeleien und Prügeleien mit der Polizei aneinandergerät. Dessen Name sogar in Zusammenhang mit der Vergewaltigung eines elfjährigen Mädchens genannt wird. Und der dann in einer Nacht-und-Nebel-Aktion mit seiner ganzen Familie – allem Anschein nach problemlos – unter falschen Namen wieder in seine Heimat flüchtet.

    Die Stimmung hat sich gedreht in Deutschland. Am Sonntag gingen in Mainz viele Menschen auf die Straße, um gegen die Einwanderung krimineller Flüchtlinge zu demonstrieren.
    Die Stimmung hat sich gedreht in Deutschland. Am Sonntag gingen in Mainz viele Menschen auf die Straße, um gegen die Einwanderung krimineller Flüchtlinge zu demonstrieren. Foto: Frank Rumpenhorst, dpa

    Der Fall Susanna weckt auch das Bild eines Kontrollverlusts, eines überforderten Staates, der die Asylpolitik nicht mehr im Griff hat – gerade in einer Gesellschaft, die Recht und Ordnung liebt. Schon wiederholen sich Forderungen nach schärferen Gesetzen. Und der aktuelle Skandal um Missstände beim Migrationsamt Bamf scheint den Eindruck staatlichen Versagens zu unterstreichen.

    Die Mutter des Mädchens erhebt indes Vorwürfe gegen die Polizei. Sie meldete Susanna bereits einen Tag nach ihrem Verschwinden als vermisst. Eine Woche später bekommt sie von einer Bekannten ihrer Tochter eine Mitteilung, dass Susannas Leiche an einem Bahngleis liege. Die Beamten starten erst dann eine öffentliche Fahndung. Die Hinweisgeberin befragen sie aber zunächst nicht, weil sie auf Kurzurlaub mit ihrer Mutter ist.

    Große Anteilnahme für Susannas Familie im Internet

    Nach dem gewaltsamen Tod der 14-jährigen Susanna fand am Sonntag in Mainz eine Serie von Demonstrationen und Gegendemos statt. Die Trauer hat sich in Wut gewandelt.
    Nach dem gewaltsamen Tod der 14-jährigen Susanna fand am Sonntag in Mainz eine Serie von Demonstrationen und Gegendemos statt. Die Trauer hat sich in Wut gewandelt. Foto: Frank Rumpenhorst

    Susannas Mutter teilt ihre Trauer im Internet. Das Facebook-Profil von Diana F. ist voll mit Fotos ihrer Tochter: Susanna vor dem Weihnachtsbaum mit einem goldenen Stern auf seiner Spitze, Susanna mit ihrer kleinen Schwester im Arm, Susanna fast ganz ohne Make-Up. Auf diesem Foto sieht die Jugendliche viel jünger aus als auf dem Bild, das durch die Medien ging. Die Ähnlichkeit zwischen Susanna und ihrer Mutter fällt auf: die gleichen dunklen Haare, die gleichen vollen Lippen. Diana F. hat in den vergangenen drei Wochen auf Facebook immer wieder dazu aufgerufen, bei der Suche nach ihrer Tochter zu helfen. Seit das Mädchen gefunden wurde, teilt sie Artikel aus verschiedenen Zeitungen, die zu Demonstrationen und Gedenkveranstaltungen aufrufen. Hunderte sprechen ihr im Internet ihr Beileid aus. Eine Frau hat eine Spendenseite ins Leben gerufen, mit der sie Geld für Susannas Beerdigung sammelt. Fast 15.000 Euro sind bis Sonntagabend zusammen gekommen.

    „Ich würde Sie einfach nur gern in den Arm nehmen“, schreibt eine Frau auf Facebook der Mutter. „Gott möge Sie trösten“, eine andere. Doch auch hier mischen sich immer wieder politische Botschaften unter die Trauernachrichten. Ein Internet-Nutzer wünscht sich, Ali B. wäre im Irak verurteilt worden – weil ihm dort der Galgen droht. Ein anderer postet ein Bild von Angela Merkel mit Blut an den Händen. Ein Mann, der sich als irakischer Flüchtling vorstellt, hingegen schreibt: „Ich bin hier, um zu zeigen, dass wir dieses Verbrechen ablehnen, dass wir so nicht sind. Wir sind in Frieden nach Deutschland gekommen, wir wollen hier friedlich leben.“ Er ist einer von vielen Asylbewerbern, die sich in diesen Tagen zu Wort melden. So wie der 13-jährige Junge, der den Polizisten den möglichen Tatort nannte – und Ali B. als möglichen Täter. Er ist ein Flüchtling aus Afghanistan. (mit dpa, afp, epd, kna)

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