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Asylstreit: Nach Asylstreit: Koalition zieht gebeutelt in die Sommerpause

Asylstreit

Nach Asylstreit: Koalition zieht gebeutelt in die Sommerpause

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    Die Spuren der nervenaufreibenden letzten Wochen sieht man ihr zumindest an diesem Abend nicht an: Kanzlerin Merkel bei der baden-württembergischen Stallwächterparty in Berlin.
    Die Spuren der nervenaufreibenden letzten Wochen sieht man ihr zumindest an diesem Abend nicht an: Kanzlerin Merkel bei der baden-württembergischen Stallwächterparty in Berlin. Foto: Kay Nietfeld, dpa

    "Hier ist man wenigstens nett zur Kanzlerin", seufzt eine Frau im hellblauen Sommerkleid, als Winfried Kretschmann, ganz galanter Gastgeber, Angela Merkel wie eine gute alte Freundin begrüßt. Der baden-württembergische Ministerpräsident hatte zur "Stallwächterparty" in die Landesvertretung mitten in Berlin eingeladen. Im Kalender der Hauptstadt gilt das als inoffizieller Auftakt der parlamentarischen Sommerpause. Und neben Merkel sind rund 1500 Gäste gekommen – mit einer prominenten Ausnahme.

    Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU), der eigentlich zugesagt hatte, fehlt. Und es scheint nicht, als würde er allzu sehr vermisst in der Berliner Runde. Dafür gibt es noch einen kleinen Seitenhieb. Kretschmann sagt mit Blick auf die politischen Turbulenzen in Berlin: "Auf die Stallwächterparty ist Verlass. Sie ist sozusagen ein Ankerzentrum der Humanität."

    Kretschmann überreicht Merkel ein Insektenhotel

    Die Viertele-Gläser mit eiskaltem Weißwein, mit denen sich Kretschmann, der populäre grüne Landesvater, und die Kanzlerin von der CDU zuprosten, beschlagen in der Abendhitze. Angeregt ist die Unterhaltung, es wird viel gelächelt und gelacht. Mit sichtlichem Appetit kostet Merkel Gegrilltes vom Schwäbisch-Hällischen Landschwein – eine echte Spezialität.

    Kretschmann schenkt ihr ein Wildbienen-Hotel, sie verspricht, es im Garten des Kanzleramts anzubringen. "Dass ich so ein praktisches Geschenk bekomme, habe ich nicht gedacht." An dem Insektenhotel könne sie nun festmachen, ob in Berlin City die Wildbiene anbeiße oder nicht.

    "Und wenn es nicht klappt, nehme ich das gerne in die Uckermark", sagt sie mit Blick auf ihren zweiten Wohnort. Artenvielfalt ist das Motto, es ist ein netter Abend, den Merkel sichtlich genießt. Obwohl sie bald schon wieder aufbrechen muss. Ihr steht noch der Koalitionsausschuss bevor.

    Trotz Asylstreit: Merkel wirkt gelassen

    Viele Zaungäste sind verblüfft, wie entspannt, wie gelöst Merkel im blumengeschmückten Garten der Landesvertretung wirkt, fragen sich, wie sie das nur wegsteckt, all den Ärger über die Ultimaten und die Rücktrittsdrohungen Seehofers, die Verhandlungen bis tief in die Nacht.

    Auch der Tag war bislang alles andere als nett für die Kanzlerin, nur Stunden liegt die unschöne Begegnung mit Viktor Orbán, ihrem ungarischen Erzfeind in der Flüchtlingspolitik zurück. Und doch schafft es Merkel offenbar, für kurze Zeit abzuschalten – als würde ihr der Gedanke Trost spenden, dass die CDU die CSU zum Regieren gar nicht unbedingt bräuchte.

    Dass notfalls auch die Grünen ein guter Partner wären. Schwarz-Grün, das ist offenkundig auch für die Wirtschaft kein Schreckgespenst mehr. Mercedes, Porsche und Audi präsentieren im Eingangsbereich hochglanzpolierte Luxuswagen – die ihre vielen Pferdestärken aus Batterien ziehen.

    Nach heftigen Debatten freuen sich die Politiker auf die Sommerpause

    Ein Grüppchen baden-württembergischer CDU-Bundestagsabgeordneter mit hochgekrempelten Hemdsärmeln unterhält sich bei Pils aus dem Schwarzwald über die Unionskrise der vergangenen Wochen. Manche sehen sich in der Flüchtlingspolitik näher bei Seehofer als bei ihrer eigenen Parteichefin Angela Merkel. Doch die "brutale, äußerste Rücksichtslosigkeit", so ein Parlamentarier, mit der Seehofer seine Forderungen vorangetrieben habe, sei unverzeihlich: "Wir dürfen die Einheit der Union niemals wieder so leichtfertig aufs Spiel setzen."

    Es sei gut, da sind sich die CDU-Leute mit Kollegen von SPD und Grünen einig, dass jetzt die Sommerpause ein wenig Zeit zum Durchatmen biete – und zum Heilen der Wunden. Politiker jeder Couleur geben im kleinen Kreis zu, was in einem Milieu, in dem jeder bestrebt ist, ständig Tatkraft zu demonstrieren, eigentlich ein Tabu ist: Dass sie müde sind, tief erschöpft von den vergangenen Monaten.

    Sie berichten, dass sie seit mehr als einem Jahr kaum zur Ruhe gekommen sind, der Ausnahmezustand des Wahlkampfs sei direkt in die zermürbende Phase der Regierungsbildung mit dem gescheiterten Jamaika-Projekt und dem mühseligen Weg zur Neuauflage der GroKo übergegangen.

    Im Einwanderungsgesetz sehen viele den nächsten Streit schon vorprogrammiert

    Und dann der holprige Start der Regierung, der ständige Streit in der Großen Koalition, die sich ständig am Rande des Auseinanderfallens bewege. Der rauere Ton im Bundestag, für den hauptsächlich, aber nicht nur, die rechtspopulistische AfD sorge, zehre zusätzlich an den Kräften.

    Auch Seehofer, sagen jene, die ihn in den vergangenen Wochen fast täglich erlebt haben, könne eine Auszeit jetzt dringend gebrauchen. Angegriffen wirke der Innenminister, dünnhäutig wie nie.

    Später am Abend macht die Nachricht die Runde, dass sich Merkel, Seehofer und die SPD-Spitze im Koalitionsausschuss auf einen gemeinsamen Weg in der Asylpolitik geeinigt haben. Doch dass dies nun für dauerhafte Harmonie in der Regierung sorgen wird, glaubt keiner. Das geplante Einwanderungsgesetz, munkeln Abgeordnete, drohe gleich zum nächsten Zankapfel zu werden.

    Während die SPD auf ein umfassendes Gesetzeswerk zur Einwanderung hoffe, sei die Haltung bei der Union klar: Da dürfe es nur um ausgewählte Fachkräfte gehen. Doch an diesem Abend überwiegt die Freude, dass es die Regierung irgendwie zumindest in die Sommerpause geschafft hat – der nächste Streit kann bis zum Herbst warten.

    Dass er kommt, steht außer Frage. Als ein Feueralarm die Feier kurz unterbricht, macht eine Theorie die Runde: "Da haben bestimmt die Bayern wieder gezündelt."

    Hören Sie auch unseren aktuellen Podcast zum trügerischen Frieden in der Union:

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