Vor einem Jahr hat sich der Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung, Johannes-Wilhelm Rörig, mit der katholischen Kirche auf Strukturen für die Aufarbeitung von Missbrauch geeinigt - das gleiche erwartet er nun auch für die protestantische Seite.
"Ich bin optimistisch, dass wir eine "Gemeinsame Erklärung" auch für die evangelische Kirche noch vor dem Sommer unterzeichnen können", sagte Rörig der Deutschen Presse-Agentur.
Darin werde vermutlich die Einrichtung von vier bis sechs regionalen Aufarbeitungskommissionen festgeschrieben werden. Ähnliches gelte für die katholischen Orden, die von der bisherigen Regelung noch nicht erfasst würden: "Da werden wir voraussichtlich noch im Mai eine "Gemeinsame Erklärung" unterschreiben können", kündigte Rörig an.
Vor einem Jahr, am 28. April 2020, hatte sich Rörig mit der Deutschen Bischofskonferenz auf eine "Gemeinsame Erklärung" geeinigt. Darin wurde festgelegt, dass alle 27 Bistümer unabhängige Aufarbeitungskommissionen einrichten müssen. Ein Jahr später zeigt sich Rörig mit der bisherigen Umsetzung zufrieden.
"Wir haben da ja das Modell der Siebener-Kommission vorgesehen: Zwei Betroffene, zwei externe, von der jeweiligen Landesregierung benannte Experten und maximal drei Kirchenleute." Die Mehrheit der Mitglieder komme also von außen und werde nicht vom Bischof ausgewählt . "Das ist für uns der Ankerpunkt der Unabhängigkeit", sagte Rörig.
Was die Kommissionen in seinen Augen auszeichne, sei ihre Unabhängigkeit in Kombination mit der Beteiligung der Kirche. "Denn es ist natürlich gut, dass die Kirche den Aufarbeitungsprozess nicht bestimmen kann, aber hier weiterhin in der Verantwortung ist." Das sei auch der große Vorteil gegenüber einer rein staatlichen Aufarbeitung von außen. "Ich bin der Meinung, dass uns da schon ein Meisterstück gelungen ist, das bisher in der Öffentlichkeit leider durch die Kölner Wirren überdeckt wurde."
In Köln hatte Kardinal Rainer Maria Woelki ein Missbrauchsgutachten wegen rechtlicher Bedenken zurückgehalten. Dieses Gutachten hatte er jedoch selbst in Auftrag gegeben. Unabhängig davon wird auch in Köln derzeit eine Unabhängige Kommission gebildet.
"Ich glaube, es wird jetzt eine ziemliche Welle der strukturierten Aufarbeitung in der katholischen Kirche starten, denn ich rechne mit ungefähr 20 Kommissionen, die eingerichtet werden", sagte Rörig. 20 deshalb, weil sich einige der 27 Bistümer zusammentun und gemeinsam eine Kommission bilden wollen. "20 Kommissionen mit je sieben Mitgliedern - da haben wir zusammengezählt 140 Expertinnen und Experten, die transparent arbeiten und jedes Jahr einen Bericht über den Stand der Aufarbeitung im jeweiligen Bistum erstellen."
Die externen Kommissionsmitglieder seien vielfach namhafte Wissenschaftler und Juristen. "Wir werden da einige hochrangige ehemalige Richterinnen und Richter finden", sagte Rörig. "Das sind alles unabhängige Leute, die sehr genau hinschauen können."
Die katholische Kirche sei aktuell sicher kein Schwerpunkt sexueller Gewalt gegen Kinder und Jugendliche mehr. Das familiäre und soziale Umfeld sowie das Internet seien die Bereiche, in denen Missbrauch am häufigsten stattfinde. Dies entlaste die Kirche aber nicht von der Pflicht zur Aufarbeitung vergangenen Unrechts.
Rörig scheidet im Laufe dieses Jahres nach zehn Jahren vorzeitig aus, eigentlich wäre er noch bis 2024 im Amt gewesen. "Die Bundesregierung hat mein Amt in den letzten fünf Jahren wie das eines Abteilungsleiters bewertet, das ist aber zum 30. Juni beendet, dann werde ich wieder auf die Ebene eines Unterabteilungsleiters zurückgestuft. Ich finde das grotesk", kritisierte Rörig.
Bei den Koalitionsverhandlungen für die nächste Bundesregierung müsse dringend über eine Aufwertung und genaue Definition des Amtes und seiner Zuständigkeiten gesprochen werden, verlangte er. "Mein Amt ist bis heute ohne gesetzliche Grundlage. Basis ist lediglich ein Kabinettsbeschluss mit ein paar Spiegelstrichen. So kann es auf keinen Fall bleiben."
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