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Hintergrund: Brexit: Johnsons Sündenbock heißt jetzt Deutschland

Hintergrund

Brexit: Johnsons Sündenbock heißt jetzt Deutschland

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    Boris Johnson erhebt Vorwürfe gegen Angela Merkel. Der Brexit-Deal drohe an Deutschland zu scheitern.
    Boris Johnson erhebt Vorwürfe gegen Angela Merkel. Der Brexit-Deal drohe an Deutschland zu scheitern. Foto: Stefan Rousseau / Michael Kappeler, dpa (Archiv)

    Der Showdown wurde auf einen Samstag gelegt. Am 19. Oktober sollen die britischen Abgeordneten zusammenkommen, um – keine zwei Wochen vor dem geplanten EU-Austrittstermin am 31. Oktober – in einer Sondersitzung über die Zukunft des Vereinigten Königreichs zu entscheiden. Es dürfte hässlich werden, das zeigen die jüngsten Dramen auf der Insel.

    Die Frage ist, in welchem Maß die Situation bis dahin noch eskaliert. Viele Beobachter erkennen in diesen Tagen bereits einen neuen Tiefpunkt. Selbst britische Europaskeptiker haben irritiert reagiert, als die Downing Street nach einem Telefonat mit Angela Merkel verbreiten ließ, dass eine Einigung im Brexit-Streit „im Grunde jetzt und auf lange Zeit unmöglich“ geworden sei. Würde die Bundeskanzlerin wirklich jene Worte genutzt haben, die dann kolportiert wurden?

    Insider meinen nein, doch „die feindselige Art“, wie das Gespräch der beiden Regierungschefs im Nachhinein dargestellt wurde, mache Johnsons Agenda deutlich, schrieb ein britischer Kommentator. Angeblich habe Merkel einen Deal für „überaus unwahrscheinlich“ erklärt. Der Grund: Die EU fordere, dass Nordirland in der Zollunion verbleibe, um eine harte Grenze zu vermeiden. London lehnt das kategorisch ab.

    In Brüssel versuchte man am Mittwoch, die Situation zu entschärfen, nachdem auch EU-Ratspräsident Donald Tusk den Premier am Vortag vor einem „dummen Schwarzer-Peter-Spiel“ gewarnt hatte. Man werde die Verhandlungen konstruktiv weiterführen, beruhigte EU-Chefunterhändler Michel Barnier, selbst dann, wenn die Emotionen in Großbritannien hochkochen sollten. Das war noch außerordentlich beschönigend ausgedrückt.

    Brexit: Großbritannien macht Deutschland zum Sündenbock

    Die Briten haben den Ton auf eine Weise verschärft, die schockiert. Der Sündenbock für das inszenierte Scheitern der Verhandlungen ist für sie gerade Deutschland, das den Brextremisten zufolge nun offen zeigt, was es stets im Sinn hatte: Berlin wolle die stolzen Briten mit dem umstrittenen Backstop, der Garantieklausel für eine unbefestigte Grenze auf der Irischen Insel, unterwerfen.

    Alles eine Falle, so der Vorwurf. Extreme Europaskeptiker verbreiteten in den sozialen Medien die abstoßende Botschaft: „Wir haben nicht zwei Weltkriege gewonnen, um von einem Kraut herumgeschubst zu werden.“ Dies mag zwar lediglich die Ansicht einiger Populisten widerspiegeln. Aber Johnson – und vor allem sein Chefberater Dominic Cummings – gießen unaufhörlich und mit Absicht Öl ins Feuer. Sie schielen auf baldige Neuwahlen, bei denen sie die frustrierten Europaskeptiker für sich gewinnen wollen, denen die Sache mit dem Austritt schon viel zu lange dauert.

    Johnson will Brexit bis zum 31. Oktober durchsetzen

    Johnsons Kernbotschaft lautet: London tue alles, um ein Abkommen zu erreichen. Brüssel dagegen wolle nicht nur keinen Deal, sondern habe nie einen gewollt. Und so sei es nach dieser Lesart auch kaum erstaunlich, dass die jüngsten Vorschläge aus Downing Street abgelehnt wurden, bevor über sie im Detail verhandelt wurde. Ignoriert wird dabei, dass die britischen Pläne alle roten Linien der EU überschreiten und zudem eine doppelte Grenze auf der irischen Insel erforderlich machten. Um Nordirland und die Sorgen und Wünsche der Menschen vor Ort geht es schon lange nicht mehr.

    Es steht nicht gut, drei Wochen vor dem Stichtag. Boris Johnson lehnt es vehement ab, um eine weitere Verlängerung der Scheidungsfrist zu bitten. Im Notfall würde er das Königreich lieber ohne Vertrag aus der EU führen, sagt er gebetsmühlenhaft. Der Widerstand im Parlament aber ist groß. Die Abgeordneten haben erst kürzlich ein No-No-Deal-Gesetz verabschiedet, das den harten Bruch mit Brüssel verhindern soll. Findet Hardliner Johnson hier noch ein Schlupfloch? Von der EU darf er sich keine Hilfe erwarten, vom Unterhaus am 19. Oktober wohl auch nicht.

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