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Hintergrund: Corona-Krise: Ramelow tritt als deutscher Lockerungsmeister auf

Hintergrund

Corona-Krise: Ramelow tritt als deutscher Lockerungsmeister auf

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    Die Kritik an seinem Vorpreschen reißt nicht ab: Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow.
    Die Kritik an seinem Vorpreschen reißt nicht ab: Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow. Foto: Martin Schutt, dpa

    Was reitet Bodo Ramelow? Diese Frage stellen sich viele, die – ob sie ihn mögen oder nicht – den politischen Instinkt des thüringischen Ministerpräsidenten von der Linkspartei bisher bewundert haben. Nicht nur seine Gegner aus dem konservativen Lager gehen mit dem 64-Jährigen wegen seiner Ankündigung, die bisher bundesweit geltenden Corona-Beschränkungen im Freistaat weitgehend aufzuheben, hart ins Gericht. In einer gefährlichen Phase der Pandemie greife Ramelow damit rücksichtslos nach dem Titel des deutschen Lockerungsmeisters, giften die Kritiker.

    Thüringen will wie Schweden brisanten Weg einschlagen

    Plötzlich erscheint der Freistaat Thüringen als das neue Schweden, ein Land, das in der Corona-Krise einen brisanten Sonderweg einschlägt. Bröckelte die gemeinsame Linie von Bund und Ländern schon bisher, beerdigte Ramelow nun auch die letzten Reste der Corona-Einigkeit. Nicht nur Kanzlerin Angela Merkel und Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (beide CDU) verurteilten sein Vorgehen. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU), der wegen seines konsequenten Handelns in der Corona-Krise gerade beste Umfragewerte erzielt, ist Ramelows erbittertster Gegenspieler in der Lockerungsdebatte. "Ein fatales Signal", nannte er dessen Vorgehen.

    Ramelow rechtfertigt Kurs mit geringen Corona-Fällen in Thüringen

    Ramelow rechtfertigt seinen Kurs mit der geringen Zahl von Corona-Fällen in Thüringen. Unserer Redaktion sagte er: "Die harten Maßnahmen, die Bund und Länder zu Beginn der Pandemie ergriffen haben, waren erfolgreich. Die Zahl der Neuinfektionen ist gesunken, und der Reproduktionsfaktor ist erfreulich niedrig. Mussten wir Anfang März noch mit bis zu 60.000 Schwererkrankten in Thüringen rechnen, liegen wir jetzt bei 233 Infizierten, von denen 20 stationär behandelt werden müssen." Er wolle allerdings "keine Missverständnisse entstehen" lassen, so Ramelow: "Das Virus ist noch lange nicht besiegt, es ist und bleibt kreuzgefährlich. Aber wir können für die Bekämpfung den Krisenmodus verlassen, sollten jetzt die Verantwortung von den Krisenstäben auf die Gesundheitsämter verlegen und den Übergang von Verboten zu Geboten organisieren."

    Auch aus der Kommunalpolitik bekam Ramelow Kritik

    Doch auch aus dem eigenen Land blies Ramelow zuletzt massiver Gegenwind entgegen. Eigentlich wird Ramelow ein ausgesprochen guter Draht zur Kommunalpolitik nachgesagt. Doch seinen Sonderweg bei den Corona-Lockerungen bezeichneten zahlreiche Landräte und Oberbürgermeister aus Thüringen als "falsch". Und hinter vorgehaltener Hand werden sogar im Umfeld der Thüringer Landesregierung aus Linkspartei, SPD und Grünen Zweifel am Kurs des Ministerpräsidenten laut. Dessen Aussage, dass die Menschen lernen müssten, mit dem Corona-Erreger zu leben, wurde teils als Mangel an Solidarität mit Alten und Kranken gewertet. Manche unkten: Ramelow, der so gerne auf Populisten schimpfe, verhalte sich nun selbst wie einer. In fast allen Erklärungen, die zwischen Erfurt und Weimar, Gera und Jena kursieren, spielt die AfD eine Hauptrolle.

    Rechtspopulisten sollten nicht von "Hygiene-Demos" profitieren

    Der Ministerpräsident, so heißt es, fürchte, dass die Rechtspopulisten von den Demonstrationen gegen die Infektionsschutzmaßnahmen profitieren und dadurch weiter erstarken könnten. Bei der Landtagswahl 2019 war die AfD mit starken Zugewinnen zweitstärkste Kraft hinter Ramelows Linkspartei geworden. In Thüringen dominiert zudem die rechtsnationale Strömung um den Landesvorsitzenden Björn Höcke die AfD. Dass ihn der FDP-Mann Thomas Kemmerich durch ein taktisches Manöver der AfD zumindest kurzzeitig als Ministerpräsident ablösen konnte, hat bei Ramelow Spuren hinterlassen, heißt es. Das zuvor fast grenzenlos wirkende Selbstbewusstsein des 64-Jährigen, der in seinem prächtigen Amtszimmer in der ehemaligen Kurmainzischen Statthalterei in Erfurt residiert wie ein barocker Landesvater, gilt seither als angeknackst.

    Sein unerschütterliches Zutrauen in die eigenen Fähigkeiten hatte Ramelow, der aus bescheidenen Verhältnissen stammt, den Aufstieg zum ersten linken Ministerpräsidenten der Bundesrepublik ermöglicht. Obwohl gebürtiger Westdeutscher, verstand er es, die in den Härten der Nachwendezeit verletzte Seele der Thüringer wie kein anderer zu streicheln. Selbst von der Wirtschaft erhält der unideologisch-pragmatische Linken-Politiker gute Noten. Doch nach den Wirren um seine Wiederwahl scheint Ramelow noch immer dabei, sich neu zu sortieren. Und die aktuelle Thüringer Landesregierung habe noch keine Zeit gehabt, sich zu finden, heißt es in Erfurt. Denn kaum im Amt, trat das Coronavirus auf den Plan. Seither herrscht der Ausnahmezustand. Den will Ramelow nun beenden.

    Nach Aufschrei gegen Lockerungen: Mundschutzpflicht bleibt bestehen

    Nach dem gewaltigen Aufschrei um sein Vorpreschen bei den Lockerungen rudert Ramelow nun etwas zurück: "Ich bin auch weiterhin für das Tragen von Mund- und Nasenschutz, etwa dort, wo die Menschen sich sehr nahe kommen wie im öffentlichen Personennahverkehr. Die Hygienevorschriften einzelner Branchen gelten natürlich weiter." Er sei allerdings gegen staatliche Regeln für private Haushalte. Ramelow: "Hier sollten wir zu Empfehlungen übergehen. Die Einschränkung von Grundrechten muss die absolute Ausnahme bleiben, und Demokratie lebt nicht zuletzt vom Vertrauen in die Eigenverantwortung der Bürger."

    Eine große Mehrheit der Bundesbürger vertraut den Corona-Lockerungsplänen des Thüringers indes nicht. Im ZDF-Politbarometer vom Freitag sprachen sich 72 Prozent dagegen aus. Noch scheint Ramelow seinen politischen Instinkt nicht wiedergefunden zu haben.

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