Wird das Coronavirus nach der Delta-Variante noch gefährlicher?
Exklusiv Der Virologe Friedemann Weber erklärt, warum Viren mutieren, wie es zu Delta-Variante kam und weshalb Mutanten gefährlicher oder auch harmloser werden können.
Herr Professor Weber, wir sprechen seit Corona oft von Virusmutanten und Virusvarianten. Gibt es denn einen Unterschied zwischen Mutationen und Varianten?
Friedemann Weber: Ja, streng genommen gibt es einen Unterschied: Eine Mutation ist einfach eine Änderung des Erbguts. In der Wissenschaft sprechen wir von einer Punkt-Mutation, wenn sich das Genom an einer Stelle verändert hat. Eine Virus-Variante hat aber meistens mehr als eine Mutation in ihrem Erbmaterial. Die Varianten zeigen meistens einen ganzen Strauß an neuen Mutationen.
Und wie entstehen diese Virus-Varianten?
Weber: Viren mutieren eigentlich immer. Und bei den sogenannten RNA-Viren, zu denen das SARS-Corona-Virus 2 gehört, ist die Mutationsrate besonders hoch. Das fällt aber oft gar nicht auf, denn die meisten Mutationen wirken sich negativ auf die Nachkommen aus, weshalb sich diese Mutanten nicht verbreiten. Wenn die Umweltbedingungen für Virus stabil sind, werden die Mutanten von ihren nicht-mutierten Geschwistern meist überrannt. Wenn sich aber für das Virus die Umwelt verändert, weil zum Beispiel viele Menschen teilimmun gegen das Virus werden, dann können plötzlich für manche Mutanten die Bedingungen sehr viel besser werden als für ihre elterlichen Viren und sie setzen sich durch.
Wie in Indien Sorglosigkeit die Delta-Variante verursachte
Heute wird von der Alpha-, Beta-, Gamma- und Delta-Variante geredet. Früher benannte man sie nach ihren Herkunftsländern Großbritannien, Südafrika, Brasilien und Indien. Alles Staaten, die mit Sorglosigkeit im Umgang mit dem Virus Schlagzeilen machten: Zuletzt Indien, wo die Feier eines der größten religiösen Feste nun als das weltgrößte „Superspreader-Event“ der Virenverbreitung gilt. Gibt es hier eine Art politischen Zusammenhang mit Verbreitung der Varianten?
Weber: Es ist stark zu vermuten, dass es einen solchen Zusammenhang gibt. Dabei kommen unterschiedliche Ursachen zusammen. Zum einen: Je größer das Repertoire an vorhandenen Viren ist, indem also ein Land eine hohe Durchseuchung verzeichnet, desto mehr Mutationen gibt es automatisch. Und wenn sich für diese Mutanten dann noch Bedingungen zum Positiven verändern, können sie sich durchsetzen. So waren in Indien vermutlich viele Menschen ein bisschen immun, weil sie schon eine leichte Infektion hatten. Aber nicht genug, um eine robuste Immunität zu entwickeln, die das Virus komplett abwehrt. Wenn dazu noch große, dichte Menschenansammlungen kommen, fördert das die Vermehrung derjenigen Mutanten, die sich besonders leicht übertragen. Daraus entsteht am Ende eine Variante, die ansteckender und zusätzlich widerstandsfähiger gegen Teilimmunität ist. Man sieht hier die Darwin’sche Evolution am Werk: Die Variante, die am schnellsten ist, setzt sich gegen die anderen durch und verbreitet sich. Große Menschenansammlungen verstärken die Verbreitung dieser Varianten. Das gilt nicht nur für religiöse Feste, sondern sicher auch für Fußballmeisterschaften. Wenn die Menschen und die Politik dagegen vorsichtiger handeln, haben aggressiv wachsende Varianten nicht so ein leichtes Spiel.
Das heißt, wir können daraus lernen, je niedriger die Infektionsraten und die Inzidenzzahlen sind, desto geringer ist das Risiko, dass sich Varianten ausbreiten können?
Weber: Ja, auf jeden Fall. Je weniger sich das Virus vermehrt, desto weniger Mutanten entstehen und können sich weiterverbreiten.
WHO zählt schon die Epsilon-Variante bis zur Lambda-Variante
Während wir bei der Delta-Variante angekommen sind, zählt die WHO bereits das griechische Alphabet schon von Epsilon bis Lambda mit Varianten hoch, stuft diese aber nicht als besorgniserregend ein. Was bedeutet das?
Weber: Varianten mit spezifischen Mutationen werden zunächst als „von Interesse“ eingestuft. Es gibt genaue Definitionen, ab wann eine Variante von Interesse in eine Variante der Besorgnis hochgestuft wird. Dazu zählt zum Beispiel, ob man eine verstärkte Übertragung registriert oder auch, ob Geimpfte in auffälliger Anzahl von Infektionen betroffen sind.
Setzen sich denn in der Praxis immer die ansteckenderen Virusvarianten durch?
Weber: Wenn sich die Bedingungen ändern, indem die Menschen wieder Abstand halten, Maske tragen, sich testen lassen und generell vorsichtiger sind, dann können plötzlich andere Virus-Varianten im Vorteil sein. Möglicherweise jene, die länger im Körper verweilen und nicht so krank machen.
Varianten müssen also nicht immer unbedingt gefährlicher werden?
Weber: Nein, überhaupt nicht. Aber machen Sie bitte keine Schlagzeile: „Professor Weber sagt, das Virus wird zum Schnupfen“! Manche haben tatsächlich erwartet, dass sich das Virus bald in Richtung einer Erkältung mutieren würde. Aber es gibt überhaupt keinen Automatismus, dass Viren sich letztlich in eine weniger aggressive Richtung entwickeln. Es kommt immer auf die Bedingungen an, die bestimmte Strategien von Viren fördern oder eben nicht fördern. Das Coronavirus „will“ sich vermehren. Aber es hat im Grunde nichts davon, dass es die Menschen krank macht und tief ins Gewebe eindringt. Da kommen die Viren ja nie wieder raus, um jemand anderen anzustecken. Es ist durchaus vorstellbar, dass sich eine neue Variante irgendwann in die Richtung entwickelt, dass das Virus harmloser wird. Aber ob und wann das passieren wird, kann niemand vorhersagen.
Virologe: Impfungen bieten Grundschutz auch vor neuen Varianten
Das heißt, es ist auch nicht Gesetz, dass wie bislang eher die Schwarzseher recht behalten?
Weber: Zum Glück nicht. Der Verlauf einer Pandemie oder eine Epidemie hängt von der Anzahl und Verfügbarkeit von Menschen ab, die für eine Ansteckung empfänglich sind. Solange noch genug empfängliche und ungeschützte Individuen vorhanden sind, gibt es für das Virus tatsächlich keinen Grund, sich irgendwie in etwas Harmloseres zurückzuentwickeln. Aber mit den Impfungen produzieren wir eine andere Umwelt für das Virus. Theoretisch könnte das Spiel dann von vorne losgehen, aber es ist zu erwarten, dass die Grundimmunität, die wir durch die Impfung bekommen, uns hochgradig vor schweren Verläufen schützt. Es ist keine neue Variante in Sicht, mit der wir wieder bei null anfangen müssten.
Demnach bleibt Impfen momentan das beste Mittel?
Weber: Nicht nur momentan, sondern das wird auch so bleiben. Eine Therapie wird nie den gleichen Effekt haben wie eine Impfung. Denn eine Therapie kommt ja eigentlich immer zu spät, da ist die Infektion schon passiert. Geimpfte werden immer besser dagegen geschützt sein, schwer zu erkranken, selbst wenn sie sich durch eine neue Variante infizieren sollten.
Zur Person: Professor Friedemann Weber leitet das Institut für Virologie der Uni Gießen und forscht seit langem an hochkrankheitserregenden RNA-Viren, zu denen auch das Coronavirus Sars-CoV-2 gehört.
Die Diskussion ist geschlossen.
"Es ist durchaus vorstellbar, dass sich eine neue Variante irgendwann in die Richtung entwickelt, dass das Virus harmloser wird. Aber ob und wann das passieren wird, kann niemand vorhersagen."
Auch das Gegenteil - dass sich eine gefährlichere Variante entwickelt - ist möglich. Seriöse "richtige Experten" wie Professor Friedemann Weber drücken sich nach der pandemischen Zukunft befragt also sehr vorsichtig aus.
Darüber, ob jemand "richtiger Experte" oder nur ein "pseudowissenchaftlich" argumentierender Dampfplauderer ist, dürfte uns Laien ein Urteil nicht immer leicht fallen.
Einer der mit Sicherheit nicht in die letztere Kategorie gehört ist Prof. Lauterbach. Dafür lag er mit seinen Prognosen, die weitere Entwicklung der Pandemie und des Infektionsgeschehens betreffend viel zu oft richtig.
Eine entscheidende Frage ist doch, inwiefern wird Corona - nachdem wir pandemiebedingt gelernt haben mit dem Virus umzugehen - unsere Art zu leben verändern.
Der renommierte Zukunftsforscher Matthias Horx meint dazu:
"Solche Ereignisse sind wie echte Krisen im privaten Leben: Sie verändern uns grundlegend und auf Dauer, entweder in Richtung Elend oder in Richtung Neuerfindung. Wir sind mitten in einem Veränderungsprozess, der die ganze Gesellschaft, die Wertsysteme, die gesellschaftlichen „Verhältnisse“, auch die Alltagsformen umpflügt." . . .
"Wir sind durch Corona in einem neuen pandemischen Zeitalter aufgewacht. Das heißt nicht, dass es dauernd Lockdowns und neue Keime geben wird, und wir in Ganzkörpermasken herumlaufen. Aber die Realität ist: Wir kommen aus der Natur nicht raus. Wir stehen in diesem Jahrzehnt vor einer großen Wende, vor einer generellen Ökologisierung unseres Lebensstils, die vielleicht die größte Herausforderung der Menschheit ist."
https://bnn.de/magazin/zukunftsforscher-horx-corona-wende-oekologisierung-neue-welt
Schön, dass man nun - so ist mein Eindruck - vermehrt richtige Experten zu diesem Thema befragt und sich nicht an pseudowisschaftliche Aussagen von Ministern oder Politikern orientiert (so ist z. B. K. Lauterbach viel mehr Politiker als ein wahrer "Gesundheitsexperte", auch wenn er vielleicht 1 oder 2 Semester Vorlesungen zur Epidemiologie gehört hat; im Wesentlichen hat er Gesundheitsökonomie studiert, also wie man das Gesundheitssystem finanziell "optimiert" - das hat mit Viren und deren Ausbreitung wenig bis gar nichts zu tun) - nur so kann eine transparente Meinungsbildung vonstatten gehen. Vielen Dank!
wikipedia:
Ab 1982 studierte er Humanmedizin an der RWTH Aachen und an der University of Texas at San Antonio (USA). 1991 wurde er im Rahmen von Studien an der Kernforschungsanlage Jülich und an der University of Arizona in Tucson von der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf mit der Dissertation Weiterentwicklung des Parametric Gammascopes auf der Grundlage von experimentellen und klinischen Studien zum Dr. med. promoviert. Von 1989 bis 1992 studierte er an der Harvard School of Public Health, wo er 1990 einen Master of Public Health (MPH) mit Schwerpunkten Epidemiologie und Health Policy and Management erlangte und 1992 einen Master of Science in Health Policy and Management.[4][5] Von 1992 bis 1993 hatte er ein Fellowship der Harvard Medical School inne.[6] Gefördert von der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung, erlangte er dort 1995 den Abschluss Scientiæ Doctor (Sc.D.). Einer seiner Betreuer war Amartya Sen.[7] 2010 erhielt Lauterbach die Approbation als Arzt in Deutschland[8]; diese hatte er nach dem Abschluss seines Medizinstudiums zunächst nicht beantragt.[9]
1996 wurde Lauterbach als neu berufener Professor mit der Gründung des Institutes für Gesundheitsökonomie, Medizin und Gesellschaft (IGMG) beauftragt, das Ende Februar 1997 an der Universität zu Köln gegründet wurde.[10] 1998 wurde Lauterbach Direktor des neu gegründeten Instituts für Gesundheitsökonomie und Klinische Epidemiologie (IGKE) an der Universität zu Köln; damit war auch seine Berufung als Professor verbunden. Dort ist er aufgrund seines Bundestagsmandats beurlaubt. Von 1999 bis zur Wahl in den Bundestag im September 2005 war Lauterbach Mitglied des Sachverständigenrates zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen. 2003 war er Mitglied in der Kommission zur Untersuchung der Nachhaltigkeit in der Finanzierung der Sozialen Sicherungssysteme („Rürup-Kommission“). Seit 2008 ist er Adjunct Professor für Gesundheitspolitik und -management an der Harvard School of Public Health, wo er auch noch regelmäßig unterrichtet.[11] Bis zum Jahr 2003 veröffentlichte Lauterbach 294 Publikationen und verfasste bzw. teilverfasste zehn Bücher.[12]