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Unverständliche Sprache: Darum reden Politiker oft so kompliziert

Unverständliche Sprache

Darum reden Politiker oft so kompliziert

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    Formuliert Sätze, bei denen man am Ende nicht mehr weiß, wie sie begonnen haben: Bundeskanzlerin Angela Merkel.
    Formuliert Sätze, bei denen man am Ende nicht mehr weiß, wie sie begonnen haben: Bundeskanzlerin Angela Merkel. Foto: Patrick Seeger, dpa

    Sommer 2016. Die Bürokraten kämpfen sich durch einen Berg von Hunderttausenden unbearbeiteten Asylanträgen. Im Haus der Bundespressekonferenz in Berlin berichtet die stellvertretende Regierungssprecherin Ulrike Demmer aus der Sitzung des Kabinetts. Dauerthema Flüchtlinge. Sie sitzt in Blazer und weißer Bluse vor einer azurblauen Wand. Rechts und links die Sprecher der Ministerien. Vor ihr, verteilt im Saal, eine kleine Gruppe von Hauptstadtjournalisten. Den Raum kennen viele aus den Fernsehnachrichten. Demmer trägt vor: „Heute hat erneut der Leiter des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, Frank-Jürgen Weise, zum Stand der Prozessoptimierung berichtet.“ Ein staubtrockener Satz.

    „Prozessoptimierung“ ist ein Wort aus der Manager-Sprache. Ein Wort, das an Rädchen denken lässt, die gut geölt ineinandergreifen. Ein Wort, das draußen vor den Fernsehschirmen Mut machen soll. Denn das, was man „optimiert“, sollte irgendwann „optimal“ werden, nicht wahr?

    Wer die aktuelle Sprache des Berliner Politik-Betriebes analysiert, stellt fest: Der Gebrauch von Weichspülern, Wortwolken und Wohlfühl-Wörtern hat in den vergangenen Jahren stark zugenommen. Das Ergebnis ist ein Politsprech, der so glatt ist, dass er oft Langeweile und Überdruss erzeugt, bei Wählern genau wie bei Journalisten. Der mit Blabla und optimistisch klingenden Phrasen alles verdeckt - vom Streit in der Sache bis zum Unwissen.

    Beispiele gewünscht? Seit wann haben Dieselautos „Thermofenster“? Und warum sehen so viele Politiker anstelle von nervigen „Problemen“ überall „Herausforderungen“?

    Von der Tendenz zur sprachlichen Verkleisterung profitiert, da sind sich viele Experten einig, vor allem die AfD. Die Populisten setzen sich sprachlich von den anderen Parteien ab. Sie verwenden bewusst Tabuwörter wie „Asylant“ und Kampfbegriffe wie „völkisch“ oder „Volksverdummung“. Das Ergebnis sei eine schleichende Verrohung der Sprache, sagen Kommunikationsexperten. Einer der Lieblingssprüche der AfD-ler lautet: „Das muss man sagen dürfen.“ Das zieht.

    Sprachforscherin: Wer sich nicht mitteilen kann, sollte die Schuld nicht bei anderen suchen

    In einer Forsa-Umfrage zeigt sich: Zwar finden nur zehn Prozent der Bürger die AfD-Chefin Frauke Petry sympathisch. Aber 44 Prozent trauen ihr zu, „verständlich zu reden“.

    Ist der Meinung, Politiker müssten mehr Tacheles reden: Sprachwissenschaftlerin Elisabeth Wehling.
    Ist der Meinung, Politiker müssten mehr Tacheles reden: Sprachwissenschaftlerin Elisabeth Wehling. Foto: Eleonora Palmieri/dpa

    Sprachforscherin Elisabeth Wehling weiß, was bei Menschen im Kopfkino und auf der Gefühlsebene passiert, wenn sie bestimmte Begriffe hören. Und wie das langfristig ihr Denken und Handeln beeinflusst. In ihrem Buch „Politisches Framing - Wie eine Nation sich ihr Denken einredet - und daraus Politik macht“ beschreibt die Wissenschaftlerin, wie etwa der Begriff „Flüchtlings-Tsunami“ Ängste schürt.

    Sie findet, Politiker sollten sich angewöhnen, „mehr Tacheles zu reden“. Das sei besser, als sich nur über den Rechtspopulismus der AfD zu empören. Wehling, die neben ihrer Forschung im kalifornischen Berkeley auch deutsche Parteien berät, macht vor, wie Klartext geht. Sie sagt: „Eine politische Gruppe, die es nicht schafft, sich selbst sprachlich mitzuteilen, sollte nicht die Schuld beim Gegner suchen.“ Etwa wenn Wahlen verloren gehen. Wumm, das sitzt!

    Auch die AfD-Politiker sprechen jedoch nicht alle so, wie ihnen der Schnabel gewachsen ist. Dem Vernehmen nach haben sich etliche von ihnen schon von Kommunikationstrainern beraten oder schulen lassen.

    Für die unverständliche Politikersprache gibt es mehrere Gründe

    Doch warum verstecken sich Politiker von etablierten Parteien so häufig hinter Wortnebel? Wieso benutzen sie so viele Konjunktive und schwer verständliche Begriffe, die kaum Bilder im Kopf erzeugen? Weshalb sagen sie, „Vielleicht können Sie sich vorstellen,...“ anstatt „Stellen Sie sich mal vor,...“? 

    Ein Grund ist sicher die ständige Beobachtung, unter der Politiker in Zeiten von Handy-Videos und sozialen Netzwerken stehen. Das Risiko ist groß, dass ein aus dem Zusammenhang gerissener, flapsiger Spruch oder eine verbale Entgleisung im Netz in Endlosschleifen kursiert. Das macht Angst. „In sozialen Medien wird ein Info-Fetzen oft schnell in den Skandalmodus überführt“, erläutert Olaf Kramer, Rhetorik-Professor aus Tübingen. 

    SPD-Chef Sigmar Gabriel (57), der Rassisten und Rechtsextremisten im sächsischen Heidenau 2015 als „Pack“ beschimpfte, ist einer der wenigen, die das enge Sprachkorsett gelegentlich sprengen. Doch auch Gabriel ist meist weniger auf Krawall gebürstet als SPD-Altkanzler Gerhard Schröder (72). Der schrieb den Deutschen mal ins Stammbuch: „Es gibt kein Recht auf Faulheit in unserer Gesellschaft.“

    Rhetorik-Dozent Kramer glaubt, dass die Sprachglättung auch mit einer gestiegenen Zahl von Berufspolitikern zu tun hat. Mit anderen Worten: Wer als Jurist oder Lehrer eine bequeme berufliche Rückfallposition hat, textet vielleicht etwas mutiger als jemand, der nur auf die Polit-Karriere setzt.

    Ein weiterer Grund dafür, dass heute zahmer formuliert wird, dürfte der wachsende Konsens zwischen den Bundestagsparteien sein. Dazu lieferte das Umfrageinstitut Infratest Dimap 2015 interessante Zahlen: So verorten viele Deutsche inzwischen nicht nur die Linkspartei, die SPD, die Grünen und die FDP links von der Mitte, sondern auch die CDU. Im rechten Spektrum sehen sie dagegen nur noch die CSU, die AfD und die NPD.

    Zudem sind Bündnisse wie Grün-Schwarz oder Rot-Rot-Grün heute auf Landesebene kein Tabu mehr. Wenn jeder mit fast jedem koalieren können muss, scheuen viele Politiker eher davor zurück, durch ihre Wortwahl verbrannte Erde zu hinterlassen.

    ---Trennung _Hilfe geben viele Politiker ungern zu_ Trennung---

    Was früher teils gesagt wurde, geht heute nicht mehr

    Das war in der Phase vor der Einheit, als Bonn Sitz des westdeutschen Parlaments war, noch anders. „Die gehören weggeharkt“, schimpfte Helmut Schmidt 1982 im hessischen Wahlkampf. Mit „die“ meinte der wortgewandte SPD-Politiker (1918-2015) nicht etwa die Disteln in seinem Vorgarten, sondern die FDP. Die „Political Correctness“ - mit ihrer entschärften Ausdrucksweise, die niemanden diskriminiert - war damals noch nicht erfunden.

    Ein anderes Beispiel: Im November 1995 behauptete der Grüne Joschka Fischer - vorschnell, wie wir heute wissen - Kanzler Helmut Kohl (CDU/86) werde in Zukunft nicht mehr sein als „drei Zentner fleischgewordene Vergangenheit“. Nicht nur Kohl-Bewunderer fanden das ungehörig. Doch die Aufregung verebbte rasch. „Wenn Herr Fischer das heute noch mal sagen würde, dann würde Herr Fischer einen Shitstorm bekommen, wo Hunderte, Tausende von übergewichtigen Menschen und ihre Freunde ihm auf seiner Facebook-Seite richtig den Marsch blasen würden“, sagt Jörg Abromeit. In seiner Bonner Redeakademie schult er Politiker und Manager in Sachen Charisma und Sprache. In Berlin hat er eine kleine Niederlassung.

    „Natürlich gibt es gewisse sprachliche Flugverbotszonen, in die man sich nie wagen sollte, dazu gehört alles, was mit Rassismus, Sexismus oder sonstigen Formen von Diskriminierung zusammenhängt“, stellt der Berliner Medienberater Jörg Müller-Brandes fest. Die Grenzen dieser Zonen haben sich aus seiner Sicht in den vergangenen Jahrzehnten verschoben.

    Als CSU-Übervater Franz Josef Strauß (1915-1988) im Januar 1971 polterte: „Ich will lieber ein kalter Krieger sein als ein warmer Bruder“, waren sexuelle Handlungen zwischen Männern in Deutschland noch strafbar. Müller-Brandes ist sich sicher: „Wer als Politiker heute einen solchen Satz sagt, dessen Karriere ist beendet.“

    Kaum einer gibt es zu, wenn er Hilfe in Anspruch nimmt

    Fast alle Abgeordneten, Minister und Staatssekretäre landen irgendwann einmal bei einem Medienberater oder Rhetorik-Trainer. Manche lassen sich gleich zu Beginn der Karriere schulen. Andere suchen erst dann Rat, wenn etwas schief gelaufen ist. Oder wenn der Pressesprecher sagt: „Hören Sie mal Herr Minister, wir müssen mal.“

    Trotzdem spricht kaum ein Polit-Profi darüber. Die Medienberater-Branche ist in Deutschland - anders als in den USA - ein Geschäftszweig im Schatten. „Niemand will zugeben, dass er Hilfe braucht. Hier gilt das deutsche Genie-Postulat“, scherzt ein erfolgreicher Coach. Auch die Klienten, die Jörg Abromeit in Berlin-Mitte empfängt, schätzen Diskretion. An der Tür hängt kein Firmenschild. 

    Räumt offen ein, dass sie sich hat coachen lassen: Katrin Göring-Eckardt, Fraktionsvorsitzende von Bündnis90/die Grünen.
    Räumt offen ein, dass sie sich hat coachen lassen: Katrin Göring-Eckardt, Fraktionsvorsitzende von Bündnis90/die Grünen. Foto: Gregor Fischer, dpa

    Die Fraktionschefin der Grünen im Bundestag, Katrin Göring-Eckardt, hat bei dem Thema keine Hemmungen. Locker berichtet die Theologin von den praktischen Tipps, die ihr ein Medientrainer mitgegeben hat. Zum Beispiel, dass man in Diskussionsrunden nicht nicken soll, weil sonst das Gegenüber nicht mehr aufhört zu reden.

    Doch nach drei Sitzungen brach sie ab, „weil der mich in eine bestimmte Richtung lenken wollte, da wäre dann etwas herausgekommen, was nicht mehr ich bin, und das wollte ich nicht“. Bei den Grünen, sagt die 50-Jährige, werde intern viel über Begriffe diskutiert.

    Zum Beispiel habe die Fraktion beschlossen, dass sie nicht von einer „Flüchtlingskrise“ sprechen wolle, sondern von der „Flüchtlingsfrage“ oder „Flüchtlingsthematik“. Damit soll klar gestellt werden: „Die Krise, die hat der Flüchtling erlebt und nicht wir.“

    Auch den Begriff „Klimawandel“ mieden die grünen Abgeordneten. Er klinge ihnen zu harmlos. Sie sprechen stattdessen eher von der „Klimakatastrophe“.

    Welche Politiker es anders machen

    Fragt man Experten für politische Sprache nach ihren aktuellen Rhetorik-Favoriten, nennen die meisten den ehemaligen Fraktionsvorsitzenden der Linkspartei im Bundestag, Gregor Gysi (68), und Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU/67).

    Lieblingsgast der Talkshow-Macher aber ist Wolfgang Bosbach - und das hat auch mit Sprache zu tun. Der 64-jährige CDU-Innenpolitiker gilt nicht nur als Sympathieträger, weil er mutig seine Position vertritt. Und weil er sogar die eigene Partei scharf kritisiert. Die Leute mögen ihn auch, weil er Schachtelsätze meidet und verständlich redet.

    Gilt als Verfechter einer klaren Sprache: Der CDU-Bundestagsabgeordnete Wolfgang Bosbach.
    Gilt als Verfechter einer klaren Sprache: Der CDU-Bundestagsabgeordnete Wolfgang Bosbach. Foto: Gregor Fischer, dpa

    Bosbach hat, als wir ihn treffen, gerade eine schwere Operation hinter sich. Erst vor wenigen Tagen konnte er die Klinik verlassen. Jetzt ist der Bundestagsabgeordnete schon wieder in Berlin, strahlt rheinische Gelassenheit aus. Das Rosa seiner Krawatte lässt ihn frisch aussehen. Er sagt: „Wer - wie ich persönlich chronisch fröhlich ist, wer gerne einen Scherz macht und dann auch noch Klartext spricht, wird in der heutigen Zeit schnell als schlichtes Gemüt charakterisiert. Aber glauben Sie mir: Nicht jeder, der total kompliziert formuliert, ist auch tatsächlich ein Intellektueller.“

    Zu den Politikern, die gerne Satzmonster bauen, zählt Medienberater Abromeit auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (62). Er sagt: „Sie benutzt eine so schwierige Syntax, dass ich am Satzende häufig nicht mehr weiß, was sie zu Beginn des Satzes gesagt hat.“ Immerhin mache die CDU-Chefin den Eindruck, als wenn sie es selbst wisse, sagt er.

    Manche Politiker glauben, so stellt Sprachforscherin Wehling fest, dass eine unklare Sprache mit komplizierten Sätzen ihnen Vorteile bringt. Sie sagt: „Wer undeutlich formuliert, ist oft auch konfliktscheu oder weiß nicht, was er will.“ Und: „Durch ungenaue Sprache minimiere ich die Pflicht, Rechenschaft abzulegen für das, was ich erreicht oder nicht erreicht habe.“

    Auf den Begriff kommt es an

    Zu den Begriffen, die in der deutschen Politik seit Jahrzehnten gemieden werden, zumindest wenn es um die Bundeswehr geht, gehört der „Krieg“. Als über den Afghanistan-Einsatz debattiert wurde, gab es längere Zeit große sprachliche Verrenkungen zu beobachten.

    Das Etikett „Terror“ dagegen nehmen Verantwortliche aus Sicht des Rhetorik-Experten Kramer heute viel zu häufig in den Mund. „Und zwar immer dann, wenn es darum geht, extreme Entscheidungen zu begründen.“

    Und warum ist das Wort „Problem“, das bis in die 90er Jahre im Zentrum so vieler politischer Talkshows stand, in Ungnade gefallen? „Es ist fast verboten heute, Problem zu sagen“, berichtet Medienberater Abromeit. Das sei nicht nur in der Politik so, sondern auch in der Wirtschaft: „Da gilt es scheinbar als unschicklich, von Problemen zu sprechen - man entlarvt sich selbst dann als Problembär.“

    Ganz anders sieht es aus mit dem Wort „Herausforderung“. „Problem, das ist richtig schwer, und das macht auch keinen Spaß“, sagt Abromeit. Eine Herausforderung sei dagegen etwas Positives, „da kommt Freude auf, und Ehrgeiz“.

    Selbst Talkshow-Dauergast Bosbach findet es eigentlich gut, „wenn man Rat von Fachleuten einholt“, auch in Sprachsachen. Nur solle man es nicht zu weit treiben, warnt er. Doch wo verläuft für ihn die Grenze? Ernster Blick, Bosbach denkt kurz nach. Dann sagt er: „Dort, wo man dressiert ist, wo man nicht mehr authentisch ist.“

    Anne-Beatrice Clasmann, dpa

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