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Großbritannien: Der einzige Brexit-Gewinner heißt John Bercow

Großbritannien

Der einzige Brexit-Gewinner heißt John Bercow

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    Der Sprecher des Unterhauses, John Bercow, ganz in seinem Element.
    Der Sprecher des Unterhauses, John Bercow, ganz in seinem Element. Foto: Jessica Taylor, dpa

    Im heillosen Chaos, das die britische Politik gerade prägt, ist er so etwas wie die letzte Bastion der Vernunft. Wenn John Bercow die „ehrenwerten“ Abgeordneten zur Ordnung mahnt, sich einer breiten Palette an „Order“-Versionen bedient, mal ruft, mal brüllt – dann hören und sehen nicht nur die britischen Abgeordneten zu, sondern mittlerweile die ganze Welt. So sehr ist Bercow das Gesicht der (vielen) Abstimmungen zum Brexit geworden, dass ihn ein französisches Radioprogramm gerade zum „Europäer der Woche“ gekürt hat.

    Auf die Rolle hat er sich seit Jahren vorbereitet: Mit Humor und doch diszipliniert inszeniert das Redetalent seit seiner Wahl im Jahr 2009 die Parlamentsdebatten wie ein Entertainer. Zwischenrufern empfiehlt er schon einmal zu meditieren, in Therapie zu gehen oder Yoga zu betreiben, um sich zu beruhigen. Ministern liest er die Leviten, wenn sie an ihrem Telefon herumspielen oder zu lange reden. Aber es sind vor allem seine stimmlich unnachahmlichen „Order“-Aufforderungen, mit denen es der 56 Jahre alte „Speaker of the House“ zum Star britischer Debattenkultur und einzigen Brexit-Gewinner gebracht hat, zumindest außerhalb des Königreichs.

    Brexit: Zweifel an John Bercows Unparteilichkeit 

    Denn auf der Insel ist der Sohn eines Taxifahrers mit jüdisch-rumänischen Wurzeln keineswegs unumstritten. Und das liegt nicht allein daran, dass derzeit ein Ausschuss Vorwürfe untersucht, Bercow habe Mitarbeiterinnen gemobbt und schikaniert. Oder dass er einmal vor sich hinmurmelnd die konservative Fraktionsvorsitzende als „dumm“ bezeichnet hat. Zahlreichen Kritikern dient er regelrecht als Hassfigur. So beschimpfte ein Abgeordneter den 1,67 Meter großen Mann einmal als „scheinheiligen, dummen Zwerg“.

    Auch an seiner Unparteilichkeit gibt es Zweifel. Als Bercow vor kurzem an die Rolle und Bedeutung des Parlaments in den chaotischen Brexit-Verhandlungen erinnerte, warfen ihm Kritiker gleich vor: Will der nicht nur seinen eigenen Einfluss geltend machen?

    Und als Bercow einen Änderungsantrag zuließ, der May dazu zwang, nach drei Sitzungstagen einen Plan B zu präsentieren, rasteten die Brexit-Hardliner im Parlament in unenglischer Manier geradezu aus und warfen dem Sprecher – eigentlich zu Unparteilichkeit verpflichtet – Parteilichkeit vor.

    Eigentlich wartet für den Sprecher des Unterhauses ein Sitz im Oberhaus

    Begründung: Bercow, von dem man weiß, dass er beim Referendum für Großbritanniens Verbleib in der EU gestimmt hat, sei in einem Auto gesichtet worden, auf dem ein Anti-Brexit-Sticker klebte. Der Sprecher konterte, besagter Aufkleber habe sich auf dem Wagen seiner Frau Sally – mit ihr hat er drei Kinder – befunden. Er sei sich sicher, stichelte Bercow, „dass der verehrte Gentleman nicht für eine Sekunde andeuten wollte, dass eine Frau Eigentum des Ehemannes ist. Sie hat ein Recht auf ihre eigene Meinung“.

    Thema erledigt – oder? Offenbar nicht. Medienberichten zufolge kursieren in der Regierung schon Überlegungen, dem konservativen Politiker – der seine Parteimitgliedschaft aber derzeit ruhen lässt – nicht wie üblich nach seinem Amtsende einen Sitz im House of Lords zu gewähren. Es hat seit mehr als 200 Jahren Tradition, dass die Sprecher im Anschluss an ihre Zeit im Unterhaus danach als Abgeordnete ins Oberhaus wechseln können. Aber was ist schon noch normal im Brexit-Land?

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