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Wie man im Internet manipulieren kann: Die Informations-Panne und ihre Hintergründe

Wie man im Internet manipulieren kann

Die Informations-Panne und ihre Hintergründe

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    «krautchan.net» wirft Polizei Ermittlungsfehler vor
    «krautchan.net» wirft Polizei Ermittlungsfehler vor Foto: DPA

    Von Sascha Borowski und Daniel Wirsching, Waiblingen/Augsburg Es klang überzeugend. Irgendwie selbstverständlich. "Natürlich" muss ein junger Amokläufer seine Tat heutzutage im Internet ankündigen. In Bildern und Videos am besten. Oder, wie es Baden-Württembergs Innenminister Heribert Rech am Donnerstag verkündete, "in einem Chatroom".

    Zweifel daran wurden schnell vom Tisch gewischt. Die Polizei, so versicherte Rech, habe eindeutige Spuren gefunden auf dem Computer von Tim K. Dumm nur: Tim K., der Massenmörder von Winnenden, hatte seinen Amoklauf offensichtlich eben nicht im Internet angekündigt. In einem Chatroom schon gar nicht. Rech und seine Fahnder waren einem Fake, einer Fälschung, aufgesessen. Peinlich.

    Und im Nachhinein auch schwer verständlich - aber durchaus nachvollziehbar. Normalerweise sind in der für Winnenden zuständigen Polizeidirektion Waiblingen drei Beamte für die Öffentlichkeitsarbeit eingeteilt. Inzwischen wurde ihre Anzahl mit Kollegen aus benachbarten Dienststellen auf sieben aufgestockt. Thomas Maile ist einer von ihnen. Er sagt: "Über uns ist ein Informations-Tsunami hereingebrochen - vonseiten der Medien, der Angehörigen und unserer Ermittler. Solche Fehler können deshalb immer wieder passieren. Wir bekommen ständig neue Informationen." Bei dieser Fülle sei es schwierig, alles hieb- und stichfest abzuklopfen. Man könne entweder sämtliche Informationen sammeln, genauestens prüfen und erst dann an die Öffentlichkeit geben. Das dauere mehrere Wochen. Oder man dürfe nichts sagen.

    Die Information, dass Tim K. den Amoklauf im Internet angekündigt habe und dass sich Spuren davon auf seinem Computer gefunden hätten - dieser Fehler sei in der Polizeidirektion Waiblingen passiert, so Maile. Dort habe Innenminister Heribert Rech die Fehlinformation erhalten und danach auf einer Pressekonferenz verkündet. Zu diesem Zeitpunkt soll der Computer von Tim K. aber noch gar nicht ausgewertet worden sein. Man verließ sich offensichtlich vor allem auf zwei jugendliche Zeugen, die den Hinweis in dem Chatroom gelesen haben wollen. Eine andere mögliche Erklärung könnte sein: Zu überhastet suchte man nach einem Ermittlungserfolg.

    Die Polizei beruft sich auf folgenden Ablauf. Am Freitagnachmittag lautete ihre Version: Ein Schüler hat im Internetforum krautchan.net die Amoklauf-Drohung gefunden. Sein Vater habe daraufhin einen Screenshot dieser Seite, das ist so etwas wie eine Fotografie des Bildschirms, in einer E-Mail an die Polizei geschickt. Diese E-Mail sei beim Landeskriminalamt Baden-Württemberg (LKA) gelandet. Weil der Screenshot unscharf gewesen sei, habe sich ein Computer-Fachmann des LKA die Internetseite im Original angeschaut. "Er ist sicher ein glaubwürdiger Zeuge", sagt Thomas Maile. "Der Interneteintrag kann aber deshalb immer noch eine Fälschung sein."

    Krautchan.net ist kein Chatroom (in dem man sich quasi live per Tastatureingabe unterhält), sondern ein sogenanntes Imageboard. Tausende gibt es davon im Internet, virtuelle schwarze Bretter, auf denen Nutzer Bilder einstellen können und Kommentare - meist eher skurriler Art. Krautchan liegt auf einem amerikanischen Server und wird vor allem von deutschen Usern frequentiert - und die sind bekannt für ihre bisweilen geschmacklosen Scherze.

    Doch wie konnte es nun überhaupt zu diesem ominösen Eintrag kommen? Mit am wahrscheinlichsten ist: Der Urheber hat einfach einen bestehenden, harmlosen Eintrag bei krautchan kopiert, mit einem Programm (nach-)bearbeitet und anschließend auf dem Imageboard eingestellt - so, wie es auf diesen Bilder-Foren eben Usus ist.

    Dass der Urheber des schlechten Scherzes nicht nur den Text selbst, sondern möglicherweise auch die Uhrzeit des Eintrags manipulierte, erscheint da nur logisch. Ebenso wie der Text selbst. Er endete mit den Worten "Und jetzt keine Polizei. Keine Sorge, ich trolle nur." Trolle sind Internetnutzer, die andere mit üblen Scherzen ärgern wollen. In diesem Fall wurde einer offensichtlich ernst genommen. Von Fahndern, einem Minister und der Weltpresse. Zumindest einige Stunden lang. Thomas Maile ist frustriert: "Die eigentliche Tat tritt dadurch in den Hintergrund."

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